Unter den Geflüchteten, die jährlich nach Europa kommen, sind viele tausend Kinder. Kinderrechte haben eine Vergangenheit und eine Gegenwart. Richard Sancho Andreo fragt nach ihrer Zukunft in Frankreich.
Die Nachrichten zeigen uns oft Bilder von Kindern, die hilfsbedürftig in einem westlichen Land eintreffen – allein oder begleitet von einem Elternteil. Immer häufiger müssen immer jüngere Kinder auf der ganzen Welt ihre Familien und ihr Zuhause verlassen, um in einem anderen Land eine Zukunft zu finden. Kinder und Jugendliche machen heute weltweit 50 Prozent der Geflüchteten aus. Sie sind besonders verletzlich und manchmal bereits vor der Geburt Opfer von Menschenhandel. Tausende von Organisationen haben es sich zur Aufgabe gemacht, sie aus den Fängen des Leidens zu befreien und ihnen Schutz und Fürsorge zu geben.
Kinder auf der Flucht
In den letzten Jahren haben wir eine immer größere Vielfalt der Situationen ausländischer Minderjähriger erlebt. Lange Zeit war die Einwanderung nach wirtschaftlichen Bedürfnissen organisiert, und Kinder kamen durch Familienzusammenführung nach Frankreich. Häufig folgten Mutter und Kinder nach einigen Jahren dem Vater, der die grundlegenden Lebensbedingungen bereitstellen konnte: Einkommen und Wohnung. Das französische Recht unterstützte diese Form von Arbeitsmigration und Familienzusammenführung. Seit etwa zehn Jahren hat sich mit der Ankunft einer großen Anzahl von Flüchtlingen, v.a. unbegleiteten Minderjährigen, die Situation geflüchteter Kinder stark verschlechtert: Ungünstige Wohnverhältnisse, Gesundheitsprobleme und kriegsbedingte Traumata haben den Zugang zu Rechten deutlich erschwert.
Jährlich durchlaufen etwa 50.000 Familien, deren Asylantrag noch nicht oder negativ beantwortet wurde, das System der Aufnahme- und Abschiebelager. Für Kinder im Schulalter ist dort das Recht auf Bildung und manchmal auch auf ein Mittagessen garantiert. Für Kinder unter drei Jahren aber sind die Lager und die dort angebotenen sozialen Dienstleistungen völlig unzureichend. Die rechtlich unsichere Lage dieser Kinder fordert den Staat und die Kommunen heraus, die für ihren Schutz verantwortlich sind.
Um dieses Phänomen in Frankreich und in Europa besser zu verstehen, ist es notwendig, nach den Gründen zu fragen, die Minderjährige und ihre Eltern dazu drängen, aus Afrika zu fliehen, sich auf oft gefährliche Reisen zu begeben und dabei schwere psychische und physische Ausbeutung und gesundheitliche Schäden zu riskieren. Kinder- und JugendtherapeutInnen sind sich einig, dass diese Kinder ihr ganzes Leben lang traumatisiert bleiben werden. Selbst wenn sie die Fähigkeit haben, sich der neuen Lebenswelt anzupassen, brauchen sie besondere Unterstützung – damit ihre Rechte respektiert werden, aber vor allem, damit ihr Leben einen Sinn bekommt. »Warum leben und immer weiterkämpfen, wenn wir doch schlechter behandelt werden als Hunde«: Solche Worte sind ein Zeichen dafür, dass diese Kinder sich ihrer Situation sehr wohl bewusst sind und keinen Ausweg sehen.
Trauma und vielfältige Herausforderungen
Geflüchtete Kinder haben oft mehrere Traumata angehäuft und brauchen daher besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung. Unter den Flüchtlingen, die in Frankreich aufgenommen werden, sind jährlich 8.000 bis 10.000 Kinder und Jugendliche. Sie haben Härten durchgemacht, die kein Kind erleben sollte. »Zunächst geht es Flüchtlingen psychisch recht gut, weil es ihnen gelungen ist, sich selbst zu retten und an einem sicheren Ort anzukommen«, sagt Marie Rose Moro, Leiterin der Pariser Kinder- und Jugendeinrichtung Maison de Solenn. »Wenn sie ankommen, überwiegt die Erleichterung, und dieses Gefühl kann je nach der Art ihrer Ankunft andauern. Wenn sie auf menschliche und solidarische Weise aufgenommen werden, wird sie das trösten. Wenn sie andererseits mit Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit empfangen werden, reaktiviert dies den Schmerz und die Traumata der Vergangenheit«, erklärt die Kinderpsychologin.
Viele NGOs arbeiten mit migrantischen Kindern, schützen ihre Rechte, bilden sie aus und bereiten sie auf eine Berufsausbildung vor. Auch die kommunale Politik geht, unterstützt vom Staat, teilweise auf ihre Bedürfnisse ein. Jedoch zeichnet sich ab, dass die Probleme über die Möglichkeiten von NGOs und staatlichen Programmen hinausgehen. Es ist dringend notwendig, alle kommunalen Behörden und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen einzubeziehen, damit geflüchtete Kinder mit übergreifenden Maßnahmen versorgt werden können.
Eltern und Kinder leben in immer vielfältigeren menschlichen, sozialen und rechtlichen Situationen: Patchwork-Familien, Familien mit einem Elternteil, gleichgeschlechtliche Elternpaare. Diese unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Familiensituationen haben sich auf das französische Recht und die Rechte der Kinder ausgewirkt. Dies gilt umso mehr für Familien, die sich in einer prekären Situation befinden, wie migrantische, geflüchtete und illegalisierte Familien. Sie müssen sich dem Schock der Anpassung an ein neues Leben und ein neues Bildungssystem stellen. Für diese Familien ist es schwierig, ihre Rechte zu kennen und zu wissen, auf welchem Weg sie sich Zugang zu ihnen verschaffen können. Sie müssen sich sozialgesetzliches und juristisches Fachwissen aneignen, um ihre Gesundheit und Sicherheit zu bewahren.
In Frankreich müssen Fachkräfte, die solche Familien unterstützen, sich die Frage stellen, wie sich Schutz, Bildung und Selbstbestimmung und die unterschiedlichen kulturellen und familiären Hintergründe vereinbaren lassen.
Richard Sancho Andreo ist Berater für Kultur- und Bildungsprojekte und Projektleiter bei der Eurometropole Straßburg.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa heute 03/20 lesen.