Sandra Benedetti beschreibt, wie in Italien Genossenschaften den Familien helfen, viele neue Kindertageseinrichtungen anzubieten.
In Italien werden Kindertageseinrichtungen von einer Vielzahl öffentlicher und privater Organisationen betrieben. In jüngster Zeit gibt es Bemühungen, engere Beziehungen zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu fördern. In diesem Prozess sind die örtlichen Verwaltungen die Hauptakteure.
Die Entwicklung der Einrichtungen
Die Geschichte der Kindereinrichtungen folgt in Italien zwei klar unterscheidbaren Wegen. Krippen (nidi) für Kinder unter drei Jahren entstanden im öffentlichen Sektor, als das faschistische Regime das Nationale Institut für Mutterschaft und Kindheit einrichtete. Diese Organisation wurde 1971 geschlossen und ihre Verantwortungsbereiche den Verwaltungsbehörden der Regionen und Gemeinden übertragen. Bis vor kurzem gab es Krippen daher ausschließlich in öffentlicher Trägerschaft.
Im vergangenen Jahrzehnt eröffneten privat betriebene Krippen, einige davon als Service für die Beschäftigten von Unternehmen, andere als kommerzielle Einrichtungen. Außerdem gibt es einen Boom von Genossenschaften, die kommunale Krippen übernehmen. Dazu werden Vereinbarungen zwischen Genossenschaften und Gemeinden getroffen und darin Standards festgelegt, die – im Gegenzug zur Subventionierung – erfüllt werden müssen. Kinderkrippen sind so nicht länger das Monopol der öffentlichen Hand. Ende 2005 wurden 39 Prozent aller Krippen von privaten Trägern betrieben, vor allem von Genossenschaften, die übrigen von kommunalen Trägern.
Kindergärten (scuole dell‘infanzia) für Kinder zwischen drei und sechs Jahren haben eine andere Geschichte. Sie stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert, als gemeinnützige oder soziale Organisationen, besonders katholische Gemeinden, die in Armut lebenden Kindern helfen wollten.
In den 60er Jahren eröffneten einige Kommunen – vor allem im Norden – ihre eigenen Kindergärten. Erst 1971 begann der Staat, Kindergärten einzurichten. Seitdem gibt es einen Unterschied zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen, was den rechtlichen Status, die Finanzierung und die Bezahlung des Personals betrifft, wobei der Staat kommunale Kindergärten und die von Organisationen des sozialen Sektors als privat betrachtet. Heute betreibt der Staat 59 Prozent aller Kindergärten, 25 Prozent gehören privaten Organisationen (vor allem der katholischen Kirche) und die übrigen 16 Prozent den Gemeinden.
Ein Gesetz aus dem Jahr 2000 veränderte die Situation. Es wird nun die Bedeutung des privaten und sozialen Sektors bei der Organisation, Bereitstellung und dem Management von Angeboten anerkannt. Es fordert mehr Zusammenarbeit zwischen den Bereichen bei der Bereitstellung und dem Betreiben von Einrichtungen. Das Gesetz führte auch das Subsidiaritätsprinzip ein. Damit wurde es möglich, dass nicht vom Staat unterhaltene Kindergärten – egal ob in privater oder kommunaler Trägerschaft – staatliche Zuschüsse erhalten, wenn das Bildungsministerium anerkennt, dass bestimmte Bedingungen erfüllt werden, z.B. für die Gebäude, die Personalausstattung und die pädagogische Konzeption.
Exemplarisch: Die Region Emilia Romagna
Die Regionalverwaltungen spielen in Italien die führende Rolle – zwar nicht als Träger von Kindergärten, aber doch immer dann, wenn es darum geht, Einrichtungen für junge Kinder zu unterstützen. Die Regionen unterscheiden sich sehr deutlich in der Bedeutung, die sie ihrer Arbeit beimessen, und wie effektiv sie die Aufgabe lösen. Führend ist hierin die Region Emilia Romagna in Norditalien.
Angebote für Kinder unter drei Jahren
In der Region gibt es 730 traditionelle Krippen: 32 Prozent davon haben private Organisationen als Träger, vor allem Genossenschaften; elf Prozent haben konfessionelle Träger, der Rest ist kommunal organisiert. 26 Prozent aller Kinder nutzen die Einrichtungen; das liegt weit über dem Landesdurchschnitt von zehn Prozent.
Zusätzlich gibt es 180 ergänzende Einrichtungen (Kinderräume und Spielzentren für Kinder und Eltern), 45 experimentelle Einrichtungen (wie Familienerzieher, die Kinder aus einer Gruppe von drei Familien zu Hause bei einer der drei Familien betreuen) und 21 Familienunterstützungszentren.
Ein regionales Gesetz von 2004 gibt diesen Einrichtungen den Rahmen. Dazu gehört:
- Es definiert strukturelle und organisatorische Kriterien, um Krippen oder andere Einrichtungen zu eröffnen, und legt die Vorschriften für die Anerkennung und Betriebserlaubnis fest.
- Es fördert die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen.
- Es regelt die rechtliche Anerkennung der »pädagogischen Koordinatoren«. (Pädagogische Koordinatoren unterstützen die Beschäftigten mehrerer Kindertageseinrichtungen bei der Entwicklung der pädagogischen Arbeit.)
- Es fördert eine Kultur und Pädagogik der Integration und Einbeziehung aller Kinder, um jeder Form von Benachteiligung vorzubeugen.
- Es fördert Vielfalt im System öffentlicher und privater Einrichtungen, obwohl bestimmte Bedingungen und Regeln für alle gelten.
Mit diesem Gesetz werden private Träger, ob sie nun aus dem sozialen Bereich kommen oder profitorientiert arbeiten, mit allen Rechten in das System der Region einbezogen, behalten dabei aber ihre eigene Identität und garantieren den Familien die Qualität ihrer Einrichtungen.
Um offiziell anerkannt zu werden, müssen private Träger nicht nur die organisatorischen und strukturellen Standards erreichen, die im Gesetz festgelegt sind, sondern müssen vielmehr auch:
- ein pädagogische Konzeption haben;
- mit einem pädagogischen Koordinator arbeiten;
- den Beschäftigten Zeit für Fortbildung per Arbeitsvertrag zusichern, entsprechend den Arbeitsbedingungen in staatlichen Einrichtungen;
- sich an Projekten der Zusammenarbeit beteiligen, um dem Ziel eines integrierten pädagogischen Systems in der Region näher zu kommen;
- Methoden der Evaluierung ihrer Einrichtung anwenden.
Angebote für Kinder von drei bis sechs Jahren
Die Region verfügt über annähernd 1500 Kindergärten, die 96 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe einen Platz bieten. Fast die Hälfte der Kinder (44 Prozent) besucht staatliche Kindergärten, etwas mehr als ein Drittel (35 Prozent) besucht Kindergärten privater Träger und das verbleibende Fünftel (21 Prozent) geht in Kindergärten der Gemeinden.
Die Region unterstützt die Kindergärten selbst und fördert enge Verbindungen mit anderen Einrichtungen: mit Krippen, Schulen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Subventionen konzentrieren sich auf die Qualität des Systems, indem die Mittel für Aus- und Fortbildung und andere Projekte zur Verbesserung des pädagogischen Rahmens vergeben werden. Private Einrichtungen werden unterstützt, um allen Kindern die gleichen Bildungsmöglichkeiten zu gewährleisten, unabhängig davon, welche Art von Kindertageseinrichtung es besucht.
Das Gesetz ermöglicht Vereinbarungen zwischen der Region, den Gemeinden und Vereinigungen von Kindertageseinrichtungen, die auf Projekte und Ziele wie die folgenden gerichtet sind:
- flexiblere Öffnungszeiten;
- gemeinsame Arbeit der pädagogischen Personals;
- die materielle Umgebung (Ausstattung, Raumgestaltung) zu verbessern;
- Kindergärten, zusätzliche Angebote und Grundschulen zu verbinden;
- Beteiligung von Eltern zu fördern;
- die Dokumentation der pädagogischen Arbeit zu verbessern.
Andere Projekte der Region
Die Regionalverwaltung hat den Austausch guter Praxisbeispiele zwischen den Einrichtungen öffentlicher und privater Träger gefördert. Der Austausch vertieft die Kenntnisse aus Theorie und Praxis einer pädagogischen Arbeit mit jungen Kindern, die in der Region entwickelt wurde und bereits seit einiger Zeit nationales und internationales Interesse geweckt hat. Das Programm des Austauschs wird von drei Gemeinden geleitet:
- Bologna ist zuständig für den den Kontakt mit den zusätzlichen Angeboten.
- Modena leitet den Austausch, der verschiedene Arten von Krippen betrifft.
- Reggio Emilia leitet den Austausch zwischen staatlichen, privaten und von Gemeinderäten getragenen Kindergärten.
Die Zukunft ist ungewiss
Gegenwärtig sind die Einrichtungen noch nicht wirklich dem Markt unterworfen. Gemeinsame Qualitätsstandards werden angewendet. Private Träger, besonders Genossenschaften, übernehmen jedoch in zunehmender Zahl Verantwortung für Einrichtungen. Sie treffen auf ernsthafte Herausforderungen; beispielsweise müssen sie in den Einrichtungen eine hohe Qualität sichern. Das kann sich als schwierig erweisen, wenn die Kommunen keine angemessenen Zuschüsse gewähren. Schwierig kann es auch dort werden, wo es keine parallel von den Kommunen getragenen Einrichtungen gibt, die einen Vergleich ermöglichen.
Ein anderes Problem kann die Frage sein, wie man ein einheitliches System herstellen kann und wie die Managementkompetenzen bei privaten Organisationen garantiert werden kann.
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