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Raum geben und Bedürfnisse erfüllen mit Gewaltfreier Kommunikation
Wahrnehmen statt bewerten ist eine der Lektionen, welche die Familienberaterinnen Amira Al-Sadi und Carolin Steiner dank der Gewaltfreien Kommunikation in ihrer pädagogischen Praxis umsetzen lernten. Unsere Redakteurin Jutta Gruber sprach mit ihnen.
Liebe Amira Al-Sadi und liebe Caro Steiner, ihr habt in diesem Sommer eine Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation (GfK) abgeschlossen. Hat sich in dieser Zeit eure pädagogische Praxis verändert?
CSt: Tatsächlich bekam ich mit der GfK eine neue Sichtweise auf meine pädagogische Praxis. Insbesondere in heraus-fordernden Situationen. Als kürzlich z.B. der vierjährige Tom die gleichaltrige Ida getreten hat, ermahnte und schimpfte ich nicht, sondern sagte: »Halt, stopp, auseinander«, um für Sicherheit zu sorgen. Dann setzte ich mich zwischen sie. Ich erzählte ihnen, was ich gesehen hatte und spiegelte Toms Gefühle: »Du bist total sauer, weil Ida sich mitten in dein Fußballfeld gesetzt hat?« Damit schaffte ich eine Ja-Umgebung. Beide Kinder fühlten sich ernst genommen und waren bereit, neue Strategien und Lösungen für ihre Gefühle zu finden.
AA-S: Bei mir hat sich meine pädagogische Haltung vertieft – nicht nur den Kindern, sondern auch meinen Kolleg:innen und den Eltern gegenüber. Ich habe gelernt, mich schneller von Verurteilungen zu lösen und mich immer wieder daran zu erinnern, dass alle zu jeder Zeit ihr Bestmögliches geben. Die Wirkung dieser Haltung erlebe ich im Verhalten meines jeweiligen Gegenübers.
Woran erkennt ihr, dass sich eure pädagogische Haltung auch den Kolleg:innen gegenüber verändert bzw. vertieft hat?
CSt: In Begegnungen mit Kolleg:innen versuche ich, wie in eigentlich allen Begegnungen, wenn es zu Unverständnis oder gar Reibungen kommt, stets den Satz, »Alle tun immer das Bestmögliche, was ihnen zur Verfügung steht«, präsent zu haben und aus dieser Annahme heraus zu reagieren.
AA-S: Ich höre aktiver zu, ohne sofort eine Lösung parat zu haben. Dazu übe ich mich, immer wieder und gezielter als früher nachzufragen, um das Bedürfnis hinter einer Aussage oder einer Handlung zu verstehen.
Kann man die Sichtweise der GfK umsetzen, angenommen, man ist damit die einzige im Team?
CSt: Angenommen, man ist die Einzige im Team, die nach GfK arbeitet, muss das nichts an der Arbeit am Kind ändern. Angenommen, eine Interaktion mit einem Kind weckt Widerstand und Unverständnis bei einer Kollegin, dann darf deren Wahrnehmung, Gefühl und Interpretation sein und bei ihr bleiben. Wir arbeiten ja nicht so oder so, um einer Kollegin zu gefallen. Empathie schenken – auch der Kollegin – geht natürlich immer, letztlich aber bleiben wir mit unserem Fokus beim Kind.
AA-S: Tatsächlich empfinde ich das nicht immer als einfach. Manchmal vermisse ich mehr »gemeinsame Sprache«. Gleichzeitig erlebe ich, dass ich mit meiner neuen Haltung etwas bewirke, eine Dynamik verändere. Das motiviert mich, dranzubleiben, auch wenn ich dafür manchmal Geduld brauche. Ich vertraue darauf, dass mein Prozess Kreise zieht.
Gab es magic moments, in denen euch aufging, dass GfK mehr als eine Methode ist?
CSt: Mit der GfK verändern wir unsere innere Haltung und damit unsere Wahrnehmung auf Situationen – in der Kita, aber auch in jedem anderen Lebensbereich. Zum Beispiel als Mutter oder Freundin. Kinder reagieren besonders unmittelbar auf unsere Haltung. Mit ihrer stets direkten Art haben sie mir schon jede Menge magic moments ge schenkt.
AA-S: Für mich war es ein Prozess, ein langsames Verstehen und Spüren, wie sich Beziehungen verändern, wenn ich wirklich hinsehe und achtsam reagiere. Wenn ein Kind plötzlich von sich aus kooperiert, ohne dass ich ihm eine Belohnung in Aussicht gestellt oder gar mit einer Strafe gedroht hätte – wie ich es in meiner ersten Ausbildung zur Fachfrau Betreuung in der Schweiz noch gelernt hatte – spüre ich die Wirkung der GfK in Echtzeit. Diese Momente sind unfassbar bereichernd und bestätigen mir, dass das mein Weg ist. Ein schöner Nebeneffekt: Mein inneres Kind wird dabei direkt ein Stück mitgeheilt.
Die GfK unterscheidet die Wolfssprache von der Giraffensprache. Dabei geht es aber nicht darum, möglichst »lieb« zu reden. Worum geht es dann?
CSt: Vielleicht kann ich das mit einem Beispiel veranschaulichen. Als der fünfjährige Franz kürzlich zu mir »du bist blöd, geh weg« sagte, nachdem ich ihn gebeten hatte, seine Anziehsachen an die Garderobe zu hängen, statt sie wild im Eingangsbereich zu verteilen, hätte der Wolf in mir das persönlich nehmen können, und ich hätte mich vom Kind beleidigt gefühlt. Verletzt und verärgert hätte ich vielleicht so etwas wie »so redest du nicht mit mir« oder »so etwas sagt man nicht« erwidert. Die Giraffe in mir erinnerte mich jedoch an die Grundannahme der GfK, dass das Kind nicht etwas gegen mich, sondern etwas für sich getan hat. Und so fragte ich es stattdessen nach seinen Gefühlen: »Du findest das gerade total blöd, dass ich dich gebeten habe, aufzuräumen? Du bist genervt und hast überhaupt keinen Bock?« Dank der Giraffe fand ich heraus, dass das Kind eigentlich »ich brauche deine Unterstützung, hilf mir, es zu schaffen« sagen wollte. Mein innerer Wolf wiederum zeigte mir an, warum mich die Worte von Franz verletzten und dass es wichtig ist, dies in einem ruhigen Moment für mich zu reflektieren.
AA-S: Es geht darum, zu verstehen, dass die Giraffe unsere Bedürfnisse im Blick hat und der Wolf uns auf unsere unerfüllten Bedürfnisse aufmerksam macht. Der Wolf ist also nicht »böse«, sondern wichtig. Die Giraffe hilft uns, den Wolf zu hören und zu verstehen und findet Strategien für die Bedürfniserfüllung al-ler Beteiligten. Es geht in der GfK nicht um »liebe« Worte, sondern um eine liebevolle Haltung. Genial ist, dass wir mit der Giraffensprache auch klare – und zwar genau unsere – Grenzen setzen lernen. Und das alles ganz ohne Machtmissbrauch und ohne Verurteilung. Im letzten Winter war ein Kind, das mit Bauklötzen geworfen hatte, in einen Konflikt mit einer Pädagogin geraten und aus dem Kindergarten in den Garten gerannt. In Hausschuhen und ohne Jacke bei eisigen Temperaturen. Ich ging ihm mit dem Gedanken, »Er braucht gerade Hilfe«, nach und sagte zu ihm: »Du bist gerade richtig sauer?!« Er blieb stehen, setzte sich auf einen Baumstamm und meinte: »Jaaaa!« Ich antwortete: »Hm, das sehe ich. Du bist deswegen in den Garten gerannt, oder?« Er nickte. Ich wartete noch ein paar Atemzüge. Dann legte ich meinen Arm hinter seinen Rücken und sagte: »Puh, mir ist ganz schön kalt hier draußen, so ohne Jacke. Ich begleite dich jetzt rein und wir setzen uns auf die Garderobenbank.« Zurück im Warmen, schenkte ich ihm Empathie und besprach mit ihm die Gruppenregel, »Wir werfen nicht mit Bauklötzen«, und unser Bedürfnis nach Schutz, das uns wichtig ist. Später erzählten mir die Kolleginnen, dass sie über die Kooperationsbereitschaft des Kindes gestaunt hätten, da sie ihm in vergleichbaren Situationen bislang immer durch den ganzen Garten hinterherrennen mussten, um ihn einzufangen. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel. Es zeigt, welche positive Wirkung die Haltung der GfK haben kann.
Amira Al-Sadi begleitet Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und erhöhtem Förderbedarf in Baden-Württemberg. Carolin Steiner arbeitet in einer Waldkita-Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern. Kennengelernt haben sich die Familienberaterinnen – www.caro-steiner.de und @amira.herzundhaltung – in der Ausbildung zur LilaLiebe®-Beraterin mit der Gewaltfreien Kommunikation nach Kathy Weber, der Autorin des 2025 erschienenen Buches »Mein Kind macht, was es will. Das Handbuch für einen Familienalltag ohne Machtkämpfe«.
Kontakt
www.kw-herzenssache.de



