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Ein sicherer Ort für Gefühle, Nähe und Bindung
Trost wirkt stärker, als wir denken. Mit dem Modell der Trosttankstelle veranschaulicht Gundula Göbel, wie angemessenes Trösten Kindern hilft, mit ihren Gefühlen umzugehen.
Trösten ist weit mehr als nur eine liebevolle Geste – gerade für Kinder ist es ein wichtiger Baustein für ihre emotionale Entwicklung und Sicherheit. Die gut versorgte Bindungswurzel Trost wirkt ein Leben lang auf Kinder und stärkt damit auch ihre Bewältigungsstrategien. In Momenten von Wut, Schmerz, Angst, Trauer oder Enttäuschung schenkt das Trösten Kindern Vertrauen und ein Gefühl von Geborgenheit. Es zeigt dem Kind: »Du bist nicht allein«, und »Gefühle sind veränderbar«. Ob durch Streicheln, Zuhören, Worte, Nähe, ein Pflaster, Trostverse oder einfaches Dasein – Erwachsene können Kindern durch Trost helfen, ihre Gefühle anzunehmen, zu regulieren und zu verändern.
Timo im Kindergarten
Anna bringt ihren fünfjährigen Sohn Timo in den Kindergarten. Er geht dort seit zwei Jahren gerne hin. An diesem Morgen ist Timo mit allem unzufrieden und unausgeschlafen. Als sie den Kindergarten betreten, schmeißt er sich auf den Fußboden des Gruppenraumes und weint. Anna spricht mit ihm, fragt ihn, was los ist, und streichelt ihn, um ihn zu trösten. Sie setzt sich zu ihm auf den Fußboden. Aber Timo bleibt weinend liegen. Timos Lieblingserzieherin kommt und meint es gut, sie möchte helfen. Sie begrüßt Timo, will ihn trösten und dazu auf den Arm nehmen. Timo reagiert spontan und tritt und haut die Erzieherin. Zum Glück hat er eine verständnisvolle Erzieherin. Sie geht einen Schritt zurück und entschuldigt sich für das unerlaubte Anfassen und Einmischen. Sie sagt: »Timo, ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.« Anna ist erleichtert über diese Reaktion. Sie streichelt Timo noch eine Weile, dann kommt er in ihren Arm, weint und lässt sich durch ihre Nähe, ihre liebevollen Worte und ihre Hand auf seinem Rücken trösten. Die Co-Regulation von Anna war für Timo hilfreicher Trost. Anna half Timo, seine Gefühle anzunehmen und zu regulieren. Sie war einfach da für ihn. So war eine gute Verbundenheit zu Anna für Timo spürbar, und diese gab ihm Sicherheit.
Bindungswurzel Trost
Die angemessen und achtsam versorgte und genährte Trost-Bindungswurzel (Teil des Bindungsbaum-Konzepts) stärkt beim Kind Resilienz, also seine psychische Widerstandkraft. Trost gibt ein Gefühl von Verbundenheit, zeigt Kindern, dass sie mit ihrem Schmerz nicht allein sind. Sie erleben, dass es für starke Gefühle, Schmerz und Krisen Co-Regulation sowie Regulations- und Trost-Strategien gibt, um diese zu überwinden. Herausforderungen sind zu bewältigen – heute und auch in Zukunft. Was für eine wichtige Erfahrung für ihre psychische Gesundheit! Gut genährte Bindungswurzeln halten Stürme aus, auch wenn emotionale Herausforderungen, Krisen, Verlust oder Trauer wie eine Entwurzelung (Haltlosigkeit) wirken. Kinder brauchen sichere und verlässliche Bezugspersonen, um Trost als Regulation, Unterstützung, Erleichterung und Stärkung anzunehmen. Oft sind Kinder durch ihre Gefühle überflutet, sie erleben und zeigen ihre Gefühle mit dem ganzen Körper. Gut gemeinte Worte oder Erklärungen können kaum gehört oder verstanden werden. Ebenso ist ein Kind wegen des noch unreifen Nervensystems nicht in der Lage, das eigene Stresssystem allein zu beruhigen. Die liebevollen Berührungen und die achtsame Stimme der Bezugsperson oder ihr Dasein – In-Verbundenheit-Sein – deaktivieren das Stresssystem. Bei psychischem und physischem Stress, Schmerz oder Gefühlsüberschwemmung wird im Körper das als Stresshormon bezeichnete Cortisol freigesetzt. Bei angemessenem Trost sinkt der Cortisolspiegel. Wenn Kinder durch fehlenden Trost, Alleinsein mit ihren starken Gefühlen, durch Auszeiten oder anderen Stress ständig erhöhte Cortisolwerte haben, wirkt sich das negativ und langfristig auf die Entwicklung des Gehirns aus.
Erwachsene als Vorbild
Ein Kind schaut und spürt genau hin, wie Erwachsene ihm oder anderen Personen helfen und wie sie sich verhalten. Kinder gucken sich alles bei ihren Eltern und anderen Erwachsenen ab – auch wie und ob getröstet wird. Erwachsene sind damit Vorbilder, und das Modell-Lernen gewinnt an Wichtigkeit. Diese Sätze schwächen und verwehren Trost:
- »Das ist doch nicht so schlimm.«
- »Hör auf mit dem Theater.«
- »Beruhige dich.«
- »Was sollen denn die Leute sagen?«
Ironie oder Lächerlich-Machen ist eine Verweigerung von Trost und löst häufig hilflose und wütende Gefühle aus. Für Erwachsene ist es wichtig, zu reflektieren, warum ihnen das Trösten möglicherweise schwerfällt. Erfahrungen wie Kränkungen, Demütigungen oder das Nicht-Ernstnehmen unserer Gefühle in der eigenen Kindheit verschließen oftmals das Herz gegenüber Kindern. Nur spüren die betroffenen Erwachsenen das meist nicht und auch nicht ihre eigene Hilflosigkeit. Feinfühligkeit und das liebevolle Trösten sind ihnen nicht oder nur teilweise zugänglich. Manchmal ist es Erwachsenen gerade deshalb in Stresssituationen unmöglich, zu trösten. In ihrer Abwehr werten sie es ab, Kinder zu trösten. Sie werden hart, perfektionistisch, ungerecht, ironisch und streng. Viele Erwachsene haben in ihrer Kindheit erlebt, dass ihre Gefühle nicht beachtet wurden und sie statt Trost Ablenkung und Abwertung erfahren haben. Das prägt ihr Trostverhalten, ist aber durch Reflexion veränderbar.
Reflexionsfragen
- Wie wurde ich als Kind getröstet?
- Wer hat mich getröstet und in welchen Situationen?
- Wie tröste ich heute Kinder?
Trösten – eine vergessene Zauberkraft
Schon in der Säuglingszeit werden die wesentlichen Grundlagen dafür geschaffen, ob ein Kind seine Gefühle auslebt und verinnerlicht hat: »Ich bin nicht allein«, »Meine Eltern geben mir Halt, Verlässlichkeit und erfüllen meine Grundbedürfnisse.« Diese Erfahrungen werden im Körper abgespeichert und erinnert. Keine Strafen und kein Schimpfen – Trost braucht Achtsamkeit, denn kindliche Botschaften müssen gelesen und verstanden werden. Dabei geht es beim Trösten zunächst um Dasein, Ermutigung und Zuhören, weniger um Lösungen. Getröstete Kinder können sich mit ihrem Potential entfalten und sichere Verbundenheit spüren. Leider wurde das Thema Trost/Trösten über viele Jahre eher nebenbei betrachtet und nicht als wichtiger Bindungsbaustein sichtbar. Aufgrund der Erfahrungen in meiner psychotherapeutischen Praxis habe ich mich entschlossen, dieses Thema mit Schulungsmaterialien zu untermauern. Die Trosttankstelle ist ein Modell und eine Metapher dafür, wie Trösten möglich ist, was emotionale Begleitung von Kindern beinhaltet und was es braucht, um selber trösten zu können. Trost ist eine der wichtigsten Bindungswurzeln – der Nährstoff für emotionale Sicherheit.
Gundula Göbel ist als Kinder- und Jugend-Psychotherapeutin, Trauma- sowie Familien- und Paartherapeutin in ihrer Praxis tätig. 2012 entwickelte sie das Bindungsbaum-Konzept sowie das Modell der Trosttankstelle.
Kontakt
Material zum Thema Trost
Die Materialien sind bei www.thekla.de/shop oder www.infantastic.de erhältlich:
Bindungsbaum-Konzept: Bonding-Bindung-Bildung
Schulungsbox inkl. Broschüre »Die Kraft des Tröstens« und »Trosttankstelle«
10-Fragen-Reflexionskarten Trost für Teams und Elternabende
Göbel G. (2015): Trost – Wie Kinder lernen, Traurigkeit zu überwinden. Beltz
Weiterbildung: Die Kraft des Tröstens. Anfragen bitte direkt an die Autorin.



