Wertschätzende Kommunikation mit Kindern
Menschen sind unterschiedlich und genau so agieren, handeln und kommunizieren sie. Und doch zeigt sich in der Interaktions- und Beziehungsgestaltung von Erwachsenen mit Kindern häufig eine Form der Kommunikation, die umgekehrt von Kindern mit Erwachsenen undenkbar wäre. Im ersten Teil von »Wie sprichst Du mit mir?« (siehe Betrifft KINDER 11-12/2018) sensibilisierte die Erziehungswissenschaftlerin Caroline Ali-Tani für jene Machtungleichheit in Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen. Lesen Sie im zweiten Teil über die Auswirkung dieser Kommunikationsform auf den Umgang von Kindern untereinander.
Kinder sind unsere zukünftige Gesellschaft und unser Umgang mit ihnen ist folgenreich. Dennoch leben wir ihnen nicht immer vor, wie wir uns ihr Zusammenleben wünschen. Wenn z.B. unterschiedliche soziale Rollen die Kommunikation beeinflussen, lernen Kinder, dass Verhaltensweisen vom Status in-nerhalb der Gesellschaft abhängen und ein wertschätzender, achtsamer Umgang miteinander keine grundsätzliche Haltung darstellt.
Doch Kinder haben ein Recht darauf, dass ihnen mit derselben Wertschätzung und Achtsamkeit und demselben Respekt begegnet wird, wie man es für sich selber auch wünscht. Sie sollen sich im Hier und Jetzt wohl und angenommen fühlen und ihre spezifische Lebensphase bewusst und zufrieden ausleben können. Deshalb sollten wir ihnen Kommunikationsregeln vermitteln und authentisch vorleben, die sie als gerecht wahrnehmen und die nicht implizit deutlich machen, dass man zu den Stärkeren oder Älteren gehören oder möglichst bald erwachsen sein muss, um alle Privilegien genießen zu können, die Kindern versagt bleiben.
Mit den folgenden Beispielen soll deutlich werden, dass Machtungleichheiten die Kommunikation Erwachsener mit Kindern negativ beeinflussen können und sich dies unmittelbar auf deren Kommunikation miteinander auswirkt.
Max (5 Jahre alt) sitzt auf dem Teppich und spielt mit Bausteinen. Eine Erzieherin sitzt am Tisch daneben und hat Marie (3 Jahre alt, mit diagnostiziertem Förderbedarf) auf ihrem Schoß. Da sie aufstehen möchte, fragt sie Max, ob Marie zu ihm auf dem Teppich darf und er sagt: »Ja!«. Marie setzt sich zu ihm, sagt »Hallo!« und möchte sich einen der Bausteine nehmen. Max nimmt ihn ihr weg und die beiden streiten sich kurz, bis Max ausdrücklich sagt: »DU befehlst mir nichts! Hol mir den Reifen!« Marie befolgt die Anweisung und die Rollen zwischen den beiden scheinen geklärt zu sein. Das »Spiel« verläuft daraufhin so, dass Max nach Bauelementen verlangt und Marie sie ihm zu seinem Platz trägt.
Ohne viele Worte sind die Rollen – verbunden mit einer Hierarchie, die die Interaktionen bestimmt – klar verteilt und von beiden akzeptiert. Max entscheidet, ob Marie auf den Teppich darf oder nicht. Marie hingegen nimmt eine passive Rolle ein und ist abhängig von Max Genehmigung. Sie darf mit auf den Teppich, doch es beginnt kein gleichwertiges, gemeinsames Spiel, bei dem beide dasselbe Recht auf die Spielzeuge haben, wie Max sehr deutlich macht (»DU befehlst mir nichts!«). Maries Reaktion ist bemerkenswert: Die Unterordnung scheint aus ihrer Sicht gerechtfertigt. Sie gibt keine Widerworte, sondern fungiert als Max Assistentin, die ihm die benötigten Bauteile herbeiträgt.
Auch wenn aus der Beobachtung heraus nicht eindeutig analysiert werden kann, warum genau die Kinder sich so-fort in ein ungleiches Machtverhältnis einfügen, weisen doch insbesondere die gegensätzlichen Vielfaltsaspekte der beiden Kinder daraufhin, dass sie eine gesellschaftlich reproduzierte und von Bezugspersonen vorgelebte Ungleichheit übernehmen. Max wird von der Erzieherin angesprochen, um über Marie zu entscheiden. Als Legitimation für die Machtungleichheit zwischen Max und Marie kommen sowohl das Geschlecht (Junge versus Mädchen), die psychische bzw. physische Fähigkeit (»Nicht-behindert« versus »mit Förderbedarf«) und das Alter (5 Jahre versus 3 Jahre) in Betracht.
Solche und ähnliche, von Erwachsenen vorgelebte, adultistische Machtungleichheiten lassen Kinder erkennen, dass für unterschiedliche Personengruppen – z.B. aufgrund des Alters – unterschiedliche Regeln gelten, wodurch sie lernen, ihr Gerechtigkeitsempfinden, ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen zu unterdrücken: Je älter man ist, umso mehr Rechte, Privilegien und Macht besitzt man.1 Ungerechtigkeit wird durch höheres Alter legitimiert und als Normalität ausgelebt. Adultistisches Verhalten bewirkt – neben vielem anderen, was wir uns für unsere Kinder wirklich nicht wünschen –, dass Kinder ihren Gerechtigkeitssinn verleugnen und akzeptieren, dass gegenüber gesellschaftlich untergeordneten Personengruppen andere Regeln gelten und eine Machtausübung legitim ist. Dass sie dieses Verhalten nicht nur hin-, sondern auch übernehmen, zeigt sich – wie im Beispiel von Marie und Max – in vielen Interaktionen älterer Kinder gegenüber jüngeren Kindern, wodurch eine Grundlage für verschiedene andere Diskriminierungsarten geschaffen wird.2
Wie wir in den Wald hineinrufen ...
Hinter jeglichen Interaktionen zwischen Kind und ErzieherIn steht eine bestimmte Haltung, der ein Bild vom Kind zugrunde liegt und die zum Beispiel in der Art und Weise zu kommunizieren zum Ausdruck kommt. Eine Haltungsveränderung kann man nicht befehlen oder verlangen, da die Haltung bewusst oder unbewusst inneren Überzeugungen entspricht und Fachkräfte – wie jeder andere Mensch auch – die aus ihrer Sicht im jeweiligen Moment richtige Handlung wählen. Was allerdings alle Fachkräfte gemeinsam haben, ist das Interesse am Wohl des Kindes. Deshalb sollte es nicht darum gehen, unterschiedliche Umgehensweisen einzelner Teammitglieder mit Kindern zu verurteilen, sondern gemeinsam einen Blick auf die Kinder zu richten. Ihre Verhaltensweisen und ihre Kommunikation geben implizite Rückmeldung darüber, welche Werte ihnen authentisch vorgelebt werden. Nur diese – und nicht die von Fachkräften und Bezugspersonen theoretisch vertretenen – werden von ihnen übernommen. Das überzeugendste Argument und der eindrücklichste Impuls für Reflexionen und Veränderungen ist der, wenn die Beobachtungen der Kind-Kind-Interaktionen zeigen, dass diese nicht dem werteorientierten, respektvollen, empathischen und achtsamen erzieherischen Anspruch entsprechen.
Betrachtet man die Interaktion zwischen Max und Marie vor diesem Hintergrund noch einmal, so zeigt sich, dass beide ungleiche – mit Macht und Unterordnung verknüpfte – Rollen eingenommen haben und diese offensichtlich als legitim ansehen. Die einseitige Ansprache der Erzieherin gibt einen Hinweis darauf, wie den Kindern legitimierte Ungleichwertigkeit von Bezugspersonen vorgelebt wird.
In einer anderen Kita fiel auf, dass der Alltag stark von Reglementierungen und Zurechtweisungen durch ErzieherInnen geprägt war, wie beispielsweise »Nein! Was wollt ihr jetzt damit!«, »Markus! Vom Erzieherstuhl wegbleiben! Du kennst die Regeln!«, »Oben ist kein Tobebereich!«, »Lukas! Ich glaube, du kannst nochmal eine Auszeit im Garten nehmen!«, »Setz dich hin, Freund! Oder soll ich es machen?« oder »Setz dich an den Tisch!«, die sich unmittelbar im Kommunikationsverhalten der Kinder fortsetzten. Die Aussage eines Erziehers »Setz dich hin, Freund! Oder soll ich es machen?« wurde z.B. sofort von einem anderen Jungen ergänzt, der sagte: »Sonst kriegst du Verbot!« Auch die Kind-Kind-Interaktionen und Spielsituationen waren geprägt von gegenseitigem Zurechtweisen und Beäugen in Bezug auf Fehlverhalten. Als drei Jungen mit Legosteinen auf dem Teppich spielen, bestand die Kommunikation untereinander ausschließlich aus Sätzen wie: »David! Heute ist kein Mitbringtag!« oder »Man darf nicht in die Legokiste.«
Entstehende Konflikte (»Die wollen mir das klauen!«) während des Spielens wurden unmittelbar einer Erzieherin berichtet und nicht nur die ErzieherInnen, sondern auch die Kinder untereinander achteten stark darauf, dass Regelverstöße sofort gemeldet (»Christiane! Die räumen nicht auf!«) und sanktioniert werden. Die Kommunikationsweise der ErzieherInnen gegenüber den Kindern spiegelte sich parallel im Kommunikationsverhalten der Kinder untereinander wider.
Jegliche Kommunikation mit Kindern und vor allem deren Art und Weise beeinflussen das Selbstbild und das Selbstbewusstsein der Kinder. Die Gesamtheit der Reaktionen, die sie auf ihre Lebensäußerungen erfahren, formt sie.3 Wenn Kinder statt positiver Rückmeldungen auf ihre Gefühle und Verhaltensweisen lediglich Anweisungen, wie sie nicht sein sollten und was sie nicht tun sollten, erhalten, liegt es nahe, zu versuchen über Beobachtung und Meldung von Regelverstößen anderer Kinder positive Anerkennung zu bekommen.
Caroline Ali-Tani M.A. arbeitet als Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Paderborn im Arbeitsbereich »Inklusive Pädagogik« insbesondere zum Thema Inklusion, Partizipation und Vielfalt in Kindertagesstätten, vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung und Wahrnehmung von Vielfalt in der frühpädagogischen Praxis.
Kontakt
1 Vgl. Ritz M. (2013): Adultismus – (un)bekanntes Phänomen: Ist die Welt nur für Erwachsene gemacht? In: Wagner P. (Hrsg.): Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung. Freiburg S. 165–173, S. 172
2 Vgl. NCBI (National Coalition Building Institute) (2012): »Not 2 young 2 … – Nicht zu jung, um zu …« Online verfügbar unter: www.ncbi.ch/ de/projekte/inaktive-projekte/adultismus (o4.12.2018)
3 Vgl. Leitner B. (2011): Mit Kindern reden – Verbindliche Kommunikation mit den Jüngsten. Online verfügbar auf: kita-fachtexte.de (04.12.2018)
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/19 lesen.