In vielen Gärten, aber auch auf verwildertem Brachland, in Wäldern und auf Wiesen wachsen zahlreiche Nutzpflanzen, von denen wir nur wenige kennen, obwohl sie von unseren Vorfahren seit langem verwendet werden. Hinzu kommen mehr oder weniger viele Züchtungen dieser Pflanzenarten, die der Wildform mitunter kaum noch ähnlich sehen, aber aufgrund bestimmter Eigenschaften und Inhaltsstoffe für uns heute sehr wertvoll und wichtig sind.
Herbert Österreicher stellt Nutzpflanzen vor, über die es Bemerkenswertes zu berichten gibt und die gerade auch für Kinder interessant sind.
Lästiges Unkraut?
Unscheinbare, mittelhohe Pflanzen mit eher unregelmäßig gelappten Blättern, gelben Blütchen, aus denen sich dünne Samenschoten entwickeln, und einer dicken, schrumpligen Wurzel – das könnte eine der vielen Formen der Speiserübe (Brassica rapa ssp. rapa) sein. Sie wächst vor allem auf Brachland und »Unkrautfluren«, an Wegrändern oder im Uferbereich von Bächen und Flüssen. Die Pflanze verstreut ihre Samen in weitem Umkreis. Weil sie sehr genügsam ist und mit nahezu jedem Standort zurechtkommt, sehen wir sie meist als »Unkraut« an. Dabei dient sie dem Menschen seit langem auf sehr verschiedene Weise: einerseits als Gemüsepflanze, Arzneipflanze und Tierfutter (Nährwert, Inhaltsstoffe), andererseits zur Gründüngung und Bodenverbesserung (Humusanreicherung durch tief reichendes Wurzelwerk). In jüngster Zeit machen bestimmte Formen der Speiserübe sogar als Edelgemüse von sich reden.
Eine lange und wechselvolle Karriere
Die zu den Kohlgewächsen gehörenden Rüben wurden bereits im Altertum verwendet und sind seit Jahrhunderten ein Grundnahrungsmittel der Menschen in Europa. Vermutlich reicht ihre Karriere viel weiter in die Vergangenheit zurück, denn wir wissen, dass viele der heute noch bekannten Wurzeln und Knollen von Möhre, Pastinake oder Petersilie bereits in der Jungsteinzeit, also vor rund 10.000 Jahren, gegessen wurden. Allerdings veränderten sich die Pflanzen vor allem in den letzten Jahrzehnten durch Auswahl und Kultivierung stark. So besaß das »Ur-Gemüse« oft nur bleistiftdicke Wurzeln und viel kleine Knollen, hatte mehr Bitterstoffe und meist eine blassgrau-gelbliche Färbung.
Im Mittelalter waren Rüben nichts für Feinschmecker. Die Menschen kochten Rüben, Wurzeln und Knollen damals so lange, bis sie Mus waren und als Brei gegessen wurden. Diese Zubereitungsart war so weit verbreitet, dass sie einer großen Gruppe pflanzlicher Nahrungsmittel ihren Namen gab: Gemüse.
Neben der Speiserübe (Brassica rapa ssp. rapa) gibt es als besonders nahe Verwandte eine Unterart, der so genannte Rübsen (Brassica rapa ssp. oleifera), der wie Raps zur Ölgewinnung angebaut wird. In früheren Jahrhunderten war das vermutlich sogar der Hauptverwendungszweck dieser Pflanzen. Im Mittelmeerraum seit über 4.000 Jahren kultiviert, lieferten Rübsen und Raps Lampenöl, das bis zur Einführung des billigeren Petroleums sehr geschätzt war – eine der wenigen Möglichkeiten künstlicher Beleuchtung.
Zurück zur Speiserübe. Die Bedeutung, die diese Pflanze im Mittelalter für die menschliche Ernährung und zur Fütterung der Haustiere hatte, wird in der Vielzahl weiterer Namen deutlich: Rübenkohl, Wilde Rübe, Feldkohl, Wasserrübe, Ackerkohl, Weiße Rübe, Tellerrübe, Krautrübe, Futterrübe.1 Nicht immer ist klar, welche Art damit gemeint war.
Andere Namen verweisen auf die Anbauzeit. Im März oder April ausgesäte und ab Mai geerntete Rüben heißen meist pauschal Mairüben. Die Aussaat im Juli und die Ernte im Herbst machen dieselbe Pflanzenart zur Stoppel- oder Herbstrübe. Es gibt aber auch Formen, die ausschließlich im Spätsommer und Herbst ausgesät werden. Manche dieser Herbstrüben sind nur regional verbreitet und haben eigene Bezeichnungen erhalten. Zu ihnen gehören Sorten wie die Bayerische Rübe, die Gatower Kugel und das legendäre Teltower Rübchen.
Zwar wurden die verschiedenen Formen der Speiserübe nach und nach von der Kartoffel verdrängt, aber einige Varietäten sind bis heute erhalten und werden – wenn auch selten und in kleinen Mengen – immer noch kultiviert. Zu diesen Varietäten gehört das Teltower Rübchen, das sich seines Aromas wegen einen besonderen Ruf erwarb. Ursprünglich wohl aus Polen oder Finnland stammend, wurde diese Rübe ab dem 18. Jahrhundert vor allem im Gebiet von Teltow angebaut. Es handelt sich um eine Herbstrübe, die in den sandigen, mageren Böden der Mark Brandenburg angeblich ein besonders gutes Aroma entwickelt. Das brachte ihr den Namen Märkische Rübe ein.
Im 18. und 19. Jahrhundert galt sie als Delikatesse, und nicht nur Berühmtheiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Immanuel Kant oder Theodor Fontane ließen sie sich liefern, sondern auch der französische Königshof. Ein erstaunlicher Aufstieg, wenn man bedenkt, dass sie davor ein »Arme-Leute-Essen« war.
Nachdem das Rübchen Anfang des 20. Jahrhunderts und zu DDR-Zeiten nur noch selten angebaut wurde, erlebte es in den 1990er Jahren ein Comeback und wird heute in der gehobenen Küche verwendet. Der Geschmack ist angenehm herbsüßlich und hat eine Schärfe, die dem Rettich ähnelt. Beim Putzen ist das deutlich zu riechen. Seit 1994 ist der Name »Teltower Rübchen« durch ein Patent geschützt.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/10 lesen.