Sechs Fragen an Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis
Wer sich ein paar Tage in einigen der Kinderkrippen und Kindergärten in Reggio Emilia umsieht, der gewinnt völlig neue Vorstellungen davon, was eine Krippe, ein Kindergarten sein kann und wozu Kinder imstande sind, wenn man ihre Kräfte gezielt und umfassend anregt. Kinder sind reich, mächtig und kompetent, sagen die Pädagoginnen in Reggio/Emilia. Was kann Erziehung also anderes sein als die Kunst, diesen Reichtum, diese Stärke zu bewahren und zu fördern? Kinder, so die Überzeugung der Reggio-Pädagogen, haben nicht nur eine Sprache, sie haben hundert Sprachen, in denen sie entdecken, denken, ihre eigenen Geschichten zu erzählen können. Wer den Austausch mit Kindern auf das gesprochene Wort reduziere, der wird nie verstehen, wie ihre Welterfahrung sich bildet.
Und wie soll man Kinder erziehen, wenn man sie nicht versteht? Die Reggianer selbst beschreiben ihre Arbeit gern als »Pingpongspiel«. Sie fangen die Bälle auf, die ihnen die Kinder zuwerfen und werfen sie wieder zurück, wobei sie häufig eine andere Flugbahn wählen und manchmal auch den Ball wechseln. Dieses pädagogische Ballspiel ist kein planloses Hin und Her, sondern eine aufwendige Kombination aus Beobachtung, Analyse und wohl überlegter Intervention, und es basiert auf der philosophischen Grundlage der Ko-Konstruktion.
Was bedeutet Ko-Konstruktion als Interventionsmethode?
Konstruieren heißt etwas formen, bilden. Ko-konstruieren bedeutet: zusammen mit anderen etwas formen, bilden. Nach Williams ist der Schlüssel zur Konstruktion von Wissen die Interaktion. Ko-Konstruktion beruft sich auf die Auffassung des sozialen Konstruktivismus, wonach Lernen durch Zusammenarbeit stattfindet, also »ko«- konstruiert wird.
Bei der Ko-Konstruktion von Wissen steht die Erforschung von Bedeutungen, weniger der Erwerb von Fakten im Vordergrund.
In der Praxis fördern wir erfahrungsgemäß eher den Erwerb von Fakten: Wir regen Kinder und Erwachsene an, Beschreibungen, Daten, Informationen etc. zu sammeln. Dazu müssen sie zuhören, wiederholen, beobachten und beschreiben.
Die Erforschung von Bedeutung dagegen meint, eigene Ideen zu entwickeln und auszudrücken, die Welt zu interpretieren und diese Interpretationen mit anderen auszutauschen und zu diskutieren. Die Erforschung von Bedeutungen ist somit ein ko-konstruktivistischer Prozess, in dem Kinder und Erwachsene miteinander in einer »Lerngemeinschaft« die Bedeutungen und ihr Verständnis von Dingen und Prozessen teilen, diskutieren und verhandeln.
Was fördert ko-konstruktives Lernen?
Drei Elemente unterstützen ko-konstruktivistisches Lernen: Design, Dokumentation, Diskurs. Forman definiert diese Elemente wie folgt:
Erstens: Design bezieht sich auf alle Aktivitäten von Kindern und Erwachsenen, mit denen sie ihre Aktionen, Pläne oder angestrebte Lösungen darstellen. Also zum Beispiel Bilder, Skizzen, Bauten etc.
Zweitens: Dokumentation bezeichnet jede Aktivität, die Beschreibungen zu einem beobachteten Verhalten macht, die es anderen ermöglicht, es zu verstehen.
Drittens: Diskurs bezeichnet die intensive Bemühung durch konstruktive Auseinandersetzung, Konflikterfahrungen und permanenten Perspektivenwechsel und ähnlichem einander zu verstehen.
Durch Design und Dokumentation können Kinder und Erwachsene ihre eigenen Ideen ausdrücken und die anderer kennen lernen. Dies kann durch Fachkräfte in Krippen, Kindergärten, Schulen, in der Aus- und Weiterbildung usw. besonders gefördert werden, indem sie anregen, durch eine Vielzahl von Medien auszudrücken, wie sie die Welt begreifen.
Dokumentationen können sehr vielfältig sein, zum Beispiel: Aufzeichnungen von Aussagen und Diskussionen der Kinder und unter Erwachsenen. Oder Bilder, Arbeiten von Kindern, Filmsequenzen, aber auch Beobachtungen, Kommentare, Notizen und Fragen der Fachkräfte zum Verhalten von Kindern und ihren Lernprozessen sowie den eigenen.
Anhand der Dokumentationen können Fachkräfte begreifen, wie zum Beispiel ihre eigenen Antworten und Reaktionen das Verhalten der Kinder beeinflussen, wie der Prozess des Austausches von Ideen stattfindet, ob er zum Beispiel gehemmt oder gefördert wird.
Indem sie die Lernprozesse von Kindern und ihre eigenen immer besser verstehen, können sie ihre Interventionsmethode entsprechend verändern und dem Lernen der Kinder anpassen. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass Kinder Bedeutung dann »ko-konstruieren«, wenn sie am Thema interessiert sind und intensiv mit anderen zusammen arbeiten.
Dokumentationen, die widerspiegeln, wie die einzelnen Kinder die Welt begreifen, dienen als eine wichtige Grundlage für den Diskurs.
Unter Diskurs verstehe ich den Prozess, bei dem das individuelle Verständnis und zugeschriebene Bedeutungen miteinander ausgehandelt werden. Das heißt mit Kindern und Erwachsenenen über ihre Ideen, Vermutungen, Missverständnisse etc. zu reden und den gegenseitigen Austausch über ihre Vorstellungen anzuregen, anstatt ihnen bloße Fakten und vorgefasste Lösungen zu vermitteln.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/08 lesen.