Der Verein für Kinderspielplätze und Erholung (VKE) entwirft seit einigen Jahren in Bozen/Italien Spielmöglichkeiten für Kinder und Erwachsene. Ferruccio Cremaschi interviewt dessen Direktor Roberto Pompermaier
Welche Vorstellungen von Spiel liegen Ihrer Arbeit zugrunde?
Frei gewähltes Spiel ist die wichtigste Tätigkeit im Leben von Kindern und muss es bleiben. Wenn Kinder zusammen spielen, üben sie ihre Konzentration, ihre Fähigkeit zu Zusammenarbeit und Konfliktschlichtung, ihre Ausdauer, Achtung und Toleranz anderen gegenüber. Bewegungsspiele regen die kognitive Entwicklung an: schaukeln, klettern, rennen, verstecken, Ballspiele. Sinneserfahrungen mit Sand, Erde, Wasser und Luft entspannen. Naturerfahrungen wie Säen, Pflanzen, Pflegen, Ernten unterstützen das Weltverstehen. Frei gewähltes Spiel fördert die Persönlichkeitsentwicklung.
Welche Motive leiten die Aufmerksamkeit und den Vorrang, die Sie dem Spiel im Freien geben?
Wir haben uns dafür entschieden, weil Spiel und Spielzeug für drinnen sehr stark beachtet wird, das Spiel im Freien aber, egal ob im öffentlichen oder privaten Raum, unter enormer Nichtbeachtung leidet.
Warum sollen Kinder im Freien spielen?
Wir sagen »Aktionsraum« (nach einer Studie von Baldo Blinkert für die Stadt Freiburg, 1995) und verstehen darunter ein frei zugängliches, sicheres Gebiet, das sowohl den Fähigkeiten als auch den organisatorischen und kreativen Möglichkeiten fünf- bis elfjähriger Kinder entspricht. Das Gelände ermöglicht Kindern gleichen Alters, etwas miteinander zu tun. Die Qualität solcher Aktionsräume hat den größten Einfluss auf Kinder im Alltag. Das trifft allem voran die Freizeit am Nachmittag. Die Merkmale ihrer Straße und der Nachbarschaft haben weit größeren Einfluss als Alter, Geschlecht, Familie oder Beruf und Sozialstatus der Eltern – zumindest in zeitlicher Hinsicht.
Was konnten Sie über das Verhalten von Kindern in offenen Räumen im Gegensatz zu strukturierten beobachten?
Bei unserer Arbeit berücksichtigen wir den Widerspruch, an dem wir selbst mitwirken: freies Spiel kann nur in freien, veränderbaren Aktionsräumen geschehen, während strukturierte Spielplätze meist unveränderbar sind. Andererseits führt die durchdringende Funktionalisierung der Stadt dazu, dass nicht strukturierte Spielorte immer in Gefahr sind, zu verschwinden. Erwachsene erkennen sie nicht als Spielorte, weil die »typischen« Zeichen eines Spielplatzes fehlen, etwa Rutsche, Schaukel und Sandkiste. Sie erkennen sie auch nicht an. Kinder verbringen – besonders in Städten – die meiste Zeit in der Gegenwart Erwachsener. Das ist Kindern zur zweiten Natur geworden und deshalb fällt es ihnen schwer, offene Räume zum Spielen zu erobern. Diese Fähigkeit muss unterstützt und gepflegt werden.
Welche Elemente sollte ein Spielraum aufweisen, wie weit kann dies natürlicher Raum sein und was muss geschaffen werden?
Das Thema »natürlich contra künstlich geschaffen« kann nicht besprochen werden, ohne Günter Beltzig, einen der berühmtesten Spielplatzgestalter Deutschlands, zu erwähnen. Spielplätze sind ihm zufolge mono-kulturelle Funktionsräume, in denen eine sehr begrenzte Nutzergruppe eine sehr begrenzte und vorbestimmte Tätigkeit ausübt; außerdem ist ihr Platzangebot gering und begrenzt, Verschleiß und Schmutzanfälligkeit sind eher gering zu halten und Störungen jeglicher Art für die Umgebung möglichst auszuschließen.
Spielplätze können auch als »Ersatzräume« definiert werden, weil sie Ersatz bieten für Aktivitäten, Erfahrungen, Abenteuer und Verhalten, welche im Normalfall in unserer Umgebung nicht mehr verfügbar sind. So gesehen ist Spiel in »natürlicher Natur« nur dann möglich, wenn Natur unbegrenzt zur Verfügung steht oder wenn ihre Nutzung strenger Zeitbegrenzung unterliegt. Ein Beispiel soll dies erläutern. Wenn 500 Schüler ihre tägliche Pause in einem Wald direkt neben ihrer Schule verbringen würden, wäre er in kurzer Zeit verwüstet. Darum kann es manchmal besser sein, in strukturierten Räumen und für einen bestimmten Zweck synthetisches Material zu nehmen, denn es hält länger, lässt sich besser nutzen, ist gesünder und ökologischer als natürliches Material. Unsere Abenteuerspielplätze sind Ruinen, sie stehen für die Reste früherer Planungen und Nutzungen; sie können niemals wie natürliche Natur sein. Planung und Organisation müssen sie erst wieder natürlich machen. Um einen natürlichen Abenteuerspielplatz zu gestalten, müssen wir daher Räume schaffen, die mit den charakteristischen Merkmalen der Natur ähnlich genutzt werden – in Verbindung mit wirklich natürlichen Flächen an den Rändern, die jedoch unbenutzt bleiben.
Welche pädagogischen Richtlinien fließen in die Spielplatzplanung ein?
Das Einfachste ist, wie meistens, das Komplizierteste: demütig sich an den Bedürfnissen der Nutzer zu orientieren und sie bestmöglich zu befriedigen suchen in der jeweiligen Situation. Jede Form von Eigensucht als Planer, Politiker oder Verwaltungsmensch kann kontraproduktiv sein.
Wie ist Ihr Verein mit Blick auf Europa aufgestellt?
Ich denke, dass wir recht ungewöhnlich sind, allein schon durch unsere Größe mit über 3000 Mitgliedern und Familien in 22 Gemeinden in der Provinz Bozen. Doch als Bürgerinitiative unterscheiden wir uns nicht von hunderten anderer, die über die Jahre und auch in Zukunft sich dem Recht der Kinder verschrieben haben, im öffentlichen und im privaten Raum zu spielen.
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