Die brasilianische Verfassung von 1988 war die erste auf der Welt, die die Rechte der Kinder anerkannt und in ihre Artikel aufgenommen hat.
Was bietet diese Verfassung Kindern? Und was hat sie Kindern tatsächlich bisher gebracht? Fúlvia Rosemberg auf der Suche nach Antworten
Ein Bruch mit der Vergangenheit
Brasiliens föderale Verfassung wurde 1988 von der demokratisch gewählten National Constituent Assembly (Nationalversammlung) nach zwei Jahrzehnten Herrschaft der Militärdiktatur angenommen. Man nannte sie die Verfassung der Bürger; politische Parteien, Gewerkschaften und soziale Bewegungen hatten die Menschen dafür mobilisiert. Die neue Verfassung installierte erneut eine demokratische, republikanische Ordnung im Land. Zum 20-jährigen Jubiläum der Verfassung wurde ihr Einfluss auf das Leben in Brasilien positiv bewertet: Sie hat die Demokratie und fortschrittliche individuelle und soziale Rechte wieder im Land etabliert.
Die Verfassung markiert den Bruch mit der Vergangenheit. Sie steht zu den Prinzipien des sozialen Wohlfahrtsstaates und macht auch Bildung und Gesundheit zu allgemeingültigen Werten. Sie führte Rechte für indigene Völker und andere Minderheiten ein, dadurch wird das Land offiziell als multi-ethnisch und multi-kulturell anerkannt (in Brasilien leben schätzungsweise 291 indigene Ethnien, im Land werden 180 indigene Sprachen gesprochen). Die auf die Annahme der neuen Verfassung folgende öffentliche Politik führte zu wachsenden Geburtenraten unter indigenen Ethnien. Die zweisprachige Schulausbildung für indigene Gruppen wurde eingeführt. Die Verfassung garantiert zum ersten Mal eigene Rechte für Kinder und Jugendliche, die nicht nur an die Rechte der Familie geknüpft sind. Sie sind in dem berühmten Artikel 227 festgeschrieben (im Kapitel über die Familie, Kinder, Jugendliche und alte Menschen), sie wurde einstimmig von der Nationalversammlung gebilligt und von einer gewaltigen allgemeinen Mobilisation unterstützt (eineinhalb Millionen Unterschriften kamen dafür zusammen) (vgl. Kasten).
Die rechtliche Situation hat sich, verglichen mit der früheren Situation, die 1979 im Code for Minors (Richtlinie für Minderjährige) festgelegt worden war, völlig verändert: weg von der Rechtsdoktrin von »Minderjährigen in von der Norm abweichenden, ungeregelten Lebenslagen«, die entweder kriminell oder Empfänger von Hilfeleistungen und Wohltätigkeit waren, hin zu einem »umfassenden Schutz«. Genauer gesagt, garantiert die Verfassung Kindern und Heranwachsenden eigene Rechte (siehe Kasten). Mit den Worten der Juristin Martha de Toledo Machado gruppieren sich diese Rechte rund um fünf Prinzipien:
- umfassender Schutz
- Respektierung des besonderen Status von Menschen, die sich in der Entwicklung befinden
- Gleichheit des juristischen Status für alle Kinder und Jugendlichen (was die Unterscheidung aus dem Code for Minors zwischen Kindern in »geregelter« und »ungeregelter«, von der Norm abweichender Lebenssituation beseitigt)
- absoluter Vorrang der Kinderrechte, wodurch Interessen von Kindern und Heranwachsenden Priorität bekommen
- Beteiligung aller in der Gesellschaft am Schutz der Rechte von Kindern und Heranwachsenden
Obwohl die brasilianische Verfassung noch vor der UN-Kinderrechtskonvention datiert ist, ist sie von ähnlichen Prinzipien inspiriert worden, die in das »Statute on Children and Adolescents« (Statut über Kinder und Heranwachsende) (ECA) von 1991 übertragen worden sind. Von Juristen als eine der fortschrittlichsten Richtlinien in Lateinamerika gefeiert, garantiert das Statut Kindern (bis zu zwölf Jahren) und Heranwachsenden (bis zum Alter von 18 Jahren) die Rechte, die (auf Englisch) mit den drei P verbunden sind: Protection, Promotion und Participation (Schutz/Förderung/Beteiligung und Mitwirkung). Um zu ermöglichen, dass die drei Protagonisten, die in der Verfassung als verantwortlich für die Förderung der Kinderrechte genannt werden – die Familie, die Gesellschaft und der Staat – zusammenwirken, erfand das ECA Rechtsräte und Vormundschaftsräte mit gesellschaftlicher Mitwirkung und Kontrolle. Solche Räte sind allerdings bis heute noch nicht in allen Gemeinden gegründet worden.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 17/09 lesen.
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