Stig G. Lund wirft einen kritischen Blick auf die europäische Berufspolitik.
Bildung und Betreuung in der frühen Kindheit stehen ganz oben auf der Agenda der EU, was einen wesentlichen Beitrag zum Konzept des lebenslangen Lernens und der Lissaboner Strategie für Wachstum, Arbeit und Ausbildung und zur Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit leistet. Doch die Europäischen Verträge geben der EU nur begrenzte Möglichkeiten, sich in die Bildungspolitik der Mitgliedsstaaten einzumischen.
Erlaubt ist nur, Erfahrungen miteinander zu teilen, sich über Best-Practice-Beispiele auszutauschen und ähnliche freiwillige Aktivitäten. Trotzdem ist die EU – der Rat, die Kommission und das Parlament – aktiv am Thema Bildung beteiligt, was auch den Bereich der frühkindlichen Bildung einschließt. Die Europäische Union ist dadurch auch aktiv, was die Beschäftigten in diesem Bereich betrifft.
Doch die Bildungsmethodik ist nicht der einzige Weg, auf dem sich die EU mit der frühkindlichen Bildung und Betreuung befasst. Seit vielen Jahren fördert sie frühpädagogische Kindertageseinrichtungen als notwendige Voraussetzung für die Gleichberechtigung der Geschlechter in Beschäftigung und Studium. Ein Austausch von Erfahrungen fand statt (Beispiel: das EK-Netzwerk 1986-1996), Regierungen haben gemeinsame Prinzipien und Ziele festgelegt (1992: Ratsempfehlungen über die Kinderbetreuung), Sozialprogramme wurden mit Mitteln ausgestattet, gemeinsame Ziele für die Plätze in den Kinderbetreuungseinrichtungen in den Mitgliedsstaaten wurden festgelegt (Barcelona-Ziele, 2002).
Ausbildung und Wettbewerb, Kinderbetreuung und Vereinbarkeit
Hier können wir die Spaltung in Denken und Politik der EU spüren: Einerseits gibt es Vorstellungen von Gleichberechtigung und Beschäftigung, die zu »Kinderbetreuungs«-Einrichtungen mit »Kinderbetreuungs«-Fachkräften führen; andererseits gibt es eine Ausbildungsagenda, die zur »Vor-Elementarausbildung« mit »Lehrern« führt. Beide ignorieren eine dritte, ganzheitliche Methode, die man in Dänemark, aber auch in anderen Teilen Europas anwendet, nämlich die »Sozialpädagogik« mit »Pädagogen«, die Betreuung, Lernen, Wohlergehen und allgemeine Erziehung verbindet (siehe Beitrag von Sos Bayer in diesem Heft).
Die Spaltung von Bildung und Betreuung wurde schon vor vielen Jahren vom Childcare Network (Kinderbetreuungsnetzwerk) der Europäischen Kommission (EK) festgestellt und kritisiert. Heute besteht diese Teilung jedoch nicht nur in vielen Mitgliedsstaaten weiter, sondern ist auch in der EU selbst vorhanden, wo die Verantwortung für Betreuung und Ausbildung von Kindern zwischen der Generaldirektion (Directorate-General) für Bildung und Kultur und der für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit aufgeteilt ist.
Beide sind mit Initiativen für junge Kinder beschäftigt. Aus dem Bildungsbereich kam im September 2006 das Dokument »Efficiency and equity of the European education and training systems«.
Diese Veröffentlichung hebt die Bedeutung der Vorschulbildung hervor, denn Untersuchungen zeigen, dass frühes Lernen später zu besseren Ergebnissen in der Schule, höheren Beschäftigungsraten und einer besseren Gesundheit führt. Die Mitgliedsstaaten sollten, so empfiehlt die Europäische Kommission, »mehr in die Vorschulbildung investieren«. Und: »Die Versorgung der Einrichtungen mit speziell ausgebildeten Vorschullehrern muss verbessert werden.« Von Bedeutung für die Ausbildung dieser Beschäftigten ist, so erklärt die Europäische Kommission, dass »die Art der Kindertageseinrichtungen und der angewendeten Pädagogik sich auf das Lernen konzentrieren sollte – sowohl im Bereich der persönlichen als auch der sozialen Kompetenzen«.
Es ist besorgniserregend, dass die Terminologie hier von einem so begrenzten Vokabular bestimmt wird: Lehrer, Vor-Elementarausbildung, Bildung. Das passt auch genau in die Lissaboner Strategie, den Wettbewerb in Europa über diesen Weg, die Bildung, zu stärken. Für andere Aspekte der frühkindlichen Bildung und Betreuung, etwa die Betreuung, besteht offenbar das Risiko, dass sie übersehen werden.
Der Bereich für Soziales in der EK konzentriert sich darauf, die Zahl der Plätze in den Kindertageseinrichtungen zu erhöhen, um so zum Erreichen der Beschäftigungsziele, der Chancengleichheit und der Vereinbarkeit von Beschäftigung und Familie beizutragen. 1992 erkannte die Ratsempfehlung zur Kinderbetreuung die Bedeutung der Ausbildung und Weiterbildung der Fachkräfte an: »Ausbildung und Fortbildung der Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen (sollten) der Bedeutung und dem sozialen und erzieherischen Wert ihrer Arbeit entsprechen.« Zehn Jahre danach hatte man in den Zielen von Barcelona über das Personal in den sich immer weiter ausbreitenden Kindertageseinrichtungen jedoch überhaupt nichts zu sagen. Zurzeit arbeitet das Directorate an einer weiteren Empfehlung zum Thema Kinderbetreuung, um die frühere durch eine neue zu ersetzen. Das Thema wird auch mit dem Directorate Erziehung diskutiert, und diesmal wird die Frage der Ausbildung des Fachpersonals im Text vorkommen.
Hochschulbildung oder Berufsausbildung
Die beiden Herangehensweisen können wesentliche Auswirkungen darauf haben, wie das Fachpersonal strukturiert und ausgebildet wird. Die Vorstellung von »Kinderbetreuung« kann dazu führen, dass es Beschäftigte als Betreuer gibt. Das Konzept der »Vor-Elementarbildung« führt dazu, dass die Fachkräfte Schullehrer sind. Ein Dokument der Kommission von August 2007 über die »Verbesserung der Qualität der Lehrerbildung« definiert den Lehrer als Beschäftigten in der »Allgemeinbildung« und »schließt so Personen aus, die außerhalb des formalen Bildungssystems arbeiten«. Schließt diese Definition frühpädagogische Fachkräfte ein, die formal keine Lehrer sind, sich selbst aber sehr wohl als Beteiligte am Lernen ansehen, beispielsweise Pädagogen oder Fachkräfte in der Kinderbetreuung?
Wir brauchen eine ganzheitliche Herangehensweise an die frühpädagogischen Tageseinrichtungen, die Betreuung und Lernen als untrennbare Einheit ansieht. Aber diese Herangehensweise kann nicht für ganz Europa entwickelt werden, ohne traditionell vorhandene Aufspaltungen in Frage zu stellen, nämlich die Trennung zwischen »Betreuung« und »Beschäftigten in der Kinderbetreuung« für Kinder von der Geburt bis zum Alter von drei Jahren einerseits und »Bildung« und »Lehrer« für Kinder zwischen drei und sechs Jahren andererseits; zwischen der Berufsausbildung, die sich auf die Ersteren konzentriert, und der Ausbildung auf Hochschulniveau für die Letzteren; zwischen großen Unterschieden in Status, Bezahlung und Arbeitsbedingungen – die Spaltung in den pädagogischen Zielen, im Inhalt und in den Methoden der Arbeit ist dabei noch gar nicht erwähnt. Bislang hat die EU sich selbst auf diesem Gebiet geteilt und keine Führungsqualitäten gezeigt...
Stig G. Lund ist Fachreferent bei BUPL, der Gewerkschaft der Pädagogen in Dänemark.
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 15/08 lesen.
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