Wida Berendsen beschreibt die Bedeutung, die die ästhetischen Tätigkeiten in der Ausbildung von Pädagogen in Dänemark haben.
Die Ausbildung in Dänemark
In Dänemark legen wir besonderen Wert auf die Bildung der Persönlichkeit und das Verständnis für Demokratie – sowohl in den Kinderzentren als auch in der Ausbildung der Pädagogen, die mit Kindern arbeiten. Wir denken, dass Kinder und Studenten sich entwickeln, wenn sie an »kreativen« Tätigkeiten teilnehmen.
Die Ausbildung von Pädagogen hat ihre Wurzeln bei uns in zwei Traditionen. Die erste stammt von den politischen und pädagogischen Ideen der Aufklärung her, die Hedwig Bagger und Anna Wulff beeinflusst hat. Bagger und Wulff eröffneten den ersten Kindergarten in Dänemark, der auf den Theorien von Friedrich Fröbel aufbaute. Die pädagogischen Methoden waren nicht nur auf passive Kinderbetreuung begrenzt, sondern gaben den Kindern auch die Möglichkeit zu Spiel, Lied, Musik und Bewegung, zum Zeichnen und Malen. Die Kinder lernten, dass diese Aktivitäten einander bedingen. Die zweite Tradition geht auf die dänische Kinderpsychologin Sofie Rifbjerg (1886-1981) zurück. Diese Tradition hat ihre Wurzeln in den Theorien von Rousseau. Seine Theorie beruhte auf der Entwicklungspsychologie des Kindes und betonte kreative Aktivitäten und deren Rolle beim Formen der individuellen Persönlichkeit.
Die Untersuchungen von Stig Brostrom stellen fest, dass die beiden Traditionen – formales Lernen und die kreative, individuelle Methode – heute oft die Basis für die Wahl von Aktivitäten in dänischen Kindereinrichtungen sind. Diese Traditionen fand man auch im Curriculum für die Ausbildung von Pädagogen – bis zur neuen Gesetzgebung im Jahr 2007. Freude und Spaß sind seit vielen Jahren die Schlüsselthemen. Die Freude am Kreativen stand im Mittelpunkt – ebenso ästhetischer Sinn, Werte und Qualität, künstlerische und handwerkliche Fähigkeiten und Ausdrucksfähigkeiten und -fertigkeiten. Ein besonderes Fach – »Värkstedsfag«, ungefähr mit »Werkstattaktivitäten« zu übersetzen – war Teil der pädagogischen Ausbildung. In anderen Studiengängen in Dänemark gibt es so etwas nicht.
Värkstedsfag – die Verbindung von Handwerk und Kunst
Das Fach Värkstedsfag ist nicht mit einer der klassischen akademischen Disziplinen verbunden. Es setzt sich zusammen aus Elementen wie Arbeit mit Holz, Nähen und bildende Kunst und ist mit Geisteswissenschaften wie Kunstgeschichte, Philosophie, Anthropologie, Semantik, Kommunikations- und Medienwissenschaften verknüpft. Traditionell legt das Fach besondere Bedeutung darauf, dass Kinder die Möglichkeit bekommen, sich selbst auszudrücken, zu experimentieren und ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Das fördert die allgemeine Charakterentwicklung (die »ganze Person«), eine kritische Perspektive und schließlich auch die Gestaltung einer neuen und besseren Gesellschaft.
Daneben wird auch der abstrakten Kunst Bedeutung beigemessen, wie man sie in den spontanen, außerhalb des Unterrichts entstandenen Zeichnungen der Kinder und der sogenannten primitiven Kunst findet. Diese Arbeiten geben einen originellen menschlichen Ausdruck wieder und sprechen spontan jeden an – unabhängig von der künstlerischen oder kulturellen Qualifikation.
Die Globalisierung und Veränderungen in den Fächern
Die Globalisierung und die Veränderungen in den Kommunikationsmethoden der Postmoderne haben viele Herausforderungen für kreative Menschen mit sich gebracht. Wir reden vom »langen Abschied von den Künsten« – ein Abschied vom Künstler als göttlichem Genie zugunsten von der Kunst als Methode in alltäglichen Organisationen. Modernismus oder Emanzipation stehen nicht länger im Mittelpunkt der Ausbildung von Pädagogen, stattdessen geht es um die postmoderne Auseinandersetzung über die Definitionsmacht und Kommunikation vor dem Hintergrund des globalen Marktes. Wir brauchen nicht länger um Freiheit zu kämpfen, denn die Freiheit ist zur Bedingung für die persönliche Entwicklung geworden. Es geht nicht nur darum, im Leben die richtigen Entscheidungen zu treffen, sondern ein »Selbst« unter vielen möglichen zu wählen.
Neue Untersuchungen von Anna Maj Nielsen (Universität Aarhus), Kirsten Drotner (Universität von Süddänemark) und anderen haben das Verständnis von der künstlerischen Herangehensweise an die kreative Arbeit verändert:
- Die ästhetische Produktion ist nicht nur eine experimentelle Forschung; ästhetische Produktion bedeutet, die Realität zu testen.
- Ästhetische Prozesse sind Lernprozesse.
- Die ästhetische Produktion dreht sich nicht nur um Freude und Spaß, sie ist vielmehr ein Beitrag zur persönlichen Entwicklung.
Wir bemühen uns nicht länger darum, die Wahrheit im künstlerischen Ausdruck zu suchen. Stattdessen suchen wir Erfahrungen und Wissen, die auf unseren Sinnen beruhen. Wir bringen Gegenstände hervor, die wir in sozialem und kulturellem Kontext sehen und damit verknüpfen können. Kreativität ist nicht mehr nur ein Teil unserer persönlichen Entwicklung, sondern gehört auch zur Formung unserer sozialen und kulturellen Identität.
Die Praxis im Kopenhagener Pädagogikseminar
Am Kopenhagener Pädagogikseminar (Copenhagen College for Pedagogues) haben wir die Handwerks- und Workshop-Aktivitäten in drei Fächer geteilt: Holzarbeit, Töpferei und Zeichnen/Malen. In der Holzarbeit arbeiten wir mit harten Materialien wie Holz, Metall und Stein; in der bildenden Kunst mit dem Malen und Zeichnen und in der Töpferei mit formbaren Materialien. Experimentelle und künstlerische Methoden stehen – mit dem Spiel als Schlüsselbestandteil – im Mittelpunkt unserer Lektionen, wenn wir Dinge wir Skulpturen, Bilder und Utensilien – oder einen Mix aus allem – zum praktischen Nutzen oder einfach zur Freude kreieren.
Seit 2007 – nachdem die Gesetzgebung die Pädagogikausbildung verändert hat, wurden die Handwerks- und Workshop-Aktivitäten mit dem Studium Generale in der neuen Bachelor-Ausbildung für Pädagogen kombiniert. Das neue Fach – värksted, natur og teknik (Handwerk, Natur und Technik) – konzentriert sich auf das Experimentieren, Erkunden und darauf, einen Ausdruck zu finden für Natur, Bilder und Objekte. Es bringt 30 der 210 Credits, die erforderlich sind, um den ganzen Kurs abzuschließen. Ziel ist, dass die Pädagogen künftig besser kreative Räume für die Kinder schaffen, damit die Kinder ihr Potential in Begegnungen mit Natur und Kunst ausschöpfen können. Das Fach konzentriert sich darauf, die kreativen und experimentellen Aspekte des Handwerks, der Kunst, Wissenschaft und Technik in Anspruch zu nehmen. Es verlangt Pädagogen, die die unterschiedlichen Ausdrucksmittel kennen, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln, kreativ und neugierig zu sein und neue didaktische Methoden zu erforschen und zu entwickeln. Mit dem neuen Fach sind wir vom Kreativsein im physischen Sinne des Begriffs weitergegangen zum Kreativsein im innovativen Sinne des Wortes.
Ein Lehrprogramm, das zur neuen Praxis wurde
Ein Lehrprogramm in der neuen Ausbildung könnte wie folgt aussehen:
Als Teil der Grundausbildung arbeiten die Studentinnen und Studenten an ihren formalen Fertigkeiten im visuellen Ausdruck, beispielsweise arbeiten sie an den Beobachtungsmethoden – am Schauen und Zeichnen/Malen ihrer visuellen Eindrücke. Nachdem sich die Studenten Kenntnisse über die Materialien, Techniken und künstlerischen Methoden angeeignet haben, arbeiten wir an Projekten. Dabei nutzen wir eine neue Methode des Mind Mapping: »Collage mind mapping«. (Weitere Informationen darüber bekommen Sie von der Autorin.)
Die Studenten sind zum Beispiel imstande, eine Karte von den Konzepten und Bildern der Gruppe, mit der sie arbeiten wollen, zu entwickeln. Dabei finden sie neue Wege und Methoden heraus, ihre künstlerischen Fähigkeiten zu nutzen. Im Jahr 2002 führte das zwei Studentinnen unseres Colleges, Mette Morck Christensen und Jane Jenny Shested, dazu, das Ramatisering zu erfinden. (Ramatising – im Dänischen kommt das Wort rama aus der griechischen Sprache und heißt sehen.) Diese Methode bezieht die Visualisierung der Gedanken und Ideen der Kinder mit ein, wenn sie über ihr alltägliches Leben sprechen.
Eines dieser Ramatising-Projekte förderte die Interaktion und den Dialog zwischen den Pädagogen und den Kindern aus Einwandererfamilien. Das Projekt brachte die Kinder dazu, sich ihres Potentials zur persönlichen Entwicklung bewusst zu werden, und zeigte auch Möglichkeiten für Veränderungen in der Gesellschaft auf. Die Teilnehmer am Projekt bastelten kleine Figuren, mit denen sie visualisierten, was sie sagen wollten. Ein Junge baute die kleinen Figuren, die auf dem Foto zu sehen sind, und stellte so dar, wie er sich fühlte (gemeint ist die kleine rote Figur in der Mitte), wenn er sich zwischen seinen Freunden (den wütenden Figuren), seiner Familie (im Hintergrund) und den Pädagogen gefangen fühlte, die nach Meinung des Jungen seine Themen »abduckten«.
Die Figuren führten dazu, dass die Kinder sich sicher fühlten, wenn sie redeten, und regten ihre Sprachentwicklung an. Sie können jetzt sogar dank der künstlerischen Arbeit schwierige Erfahrungen in Worte fassen – eine Rolle, die die Künste seit Jahrhunderten spielen.
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