Piero Sacchetto schildert seine Bedenken über die Verwendung des Wortes »Kreativität«.
Eine Ausstellung im Municipal Centro di Documentazione Raccotinfanzia (Zentrum für die Dokumentation von Kindheitserfahrungen) in Ferrara zeigt Ausstellungsstücke, die auf den dokumentierten Erfahrungen von fünfjährigen Kindern in den städtischen Kindergärten in Norditalien beruhen. Während eines Schuljahres haben zwei Erzieher des Laboratorio delle Arti (Laboratorium für die Künste) Kinder mit Bildern, Gedanken, Orten – realen wie imaginären – bekannt gemacht, indem sie sich auf die Straßen der Stadt hinauswagten, ihre Museen und Paläste besuchten.
Sie befassten sich mit einer Vielzahl von Themen und machten sich keine Sorgen darüber, ob sie die Kinder dazu bringen würden, etwas zu »produzieren«. Sie folgten dem Rhythmus der Kinder und schlugen ihnen zugleich andere vor. Vor allem versuchten sie, mit den Kindern Gedanken zu konstruieren und auszutauschen. Sie begannen mit der Wahrnehmung: Sie betrachteten Dinge aus Abstand, eingeschlossen die Bilder, Lichter und Farben, und schauten sich dann die Formen und Texturen aus der Nähe an.
Ich habe den Untertitel der Ausstellung – Laboratorien für Künste und Gedanken – als Ausgangspunkt für diesen Artikel gewählt. Meiner Meinung nach sollte die damit angesprochene Verbindung zwischen Kunst und Gedanken weder unterschätzt noch für selbstverständlich gehalten werden. Die Gründe dafür möchte ich hier erklären.
An italienischen Schulen und sogar in den Kindergärten ist immer noch die Tendenz verbreitet, die Kunst oder die Künste oder – noch allgemeiner – die nichtverbalen Sprachen in ein allgemeines Schubfach einzusortieren, an dem das Schild »Ausdruck« klebt und in dem all das, was im Bereich der seriösen Studien und der traditionellen Disziplinen nicht akzeptiert wird, dann doch zu akzeptieren ist.
Diese Haltung führt am Ende dazu, eine gefährliche Dualität zu konstruieren: Einerseits gibt es Aktivitäten, in denen das Denken, der Gedanke, dominiert. Andererseits gibt es Aktivitäten, bei denen Ausdruck, Phantasie und Vorstellungskraft vorherrschen. Und hier taucht dann immer das Wort »Kreativität« auf, das offensichtlich eine mehrdeutige, unklare Bedeutung hat, das aber zur Erfahrung von Ausdruck gehört und imstande ist, diese Erfahrung hervorzubringen, zu pflegen und produktiv zu machen. Was generell als Ausdrucksaktivität angesehen wird, ergibt dann auch, so wird angenommen, ein Produkt, das als »kreativ« gilt. Ausdrucksaktivitäten bringen Kreativität hervor, und Kreativität verleiht diesen Aktivitäten ihre Bedeutung: Das sind ein kreativer Zusammenhang, ein kreativer Ansatz, ein kreatives Subjekt und ein kreatives Produkt – alle in einer Art Kreislauf und einem sich endlos fortsetzenden Prozess.
Doch etwas daran überzeugt mich nicht ganz. Allgemein bin ich der Auffassung, dass da ein Risiko besteht, dass die Kreativität zu oft zu einem kurzgefassten »Steno«-Konzept wird, zu einem der Konzepte, die genutzt werden, um den Denkprozess abzukürzen, manchmal aus einer Notwendigkeit heraus und in anderen Fällen einfach aus Faulheit. Von solchen Konzepten glaubt man gleichzeitig jedoch, sie hätten ihre eigene, einzigartige Bedeutung.
Wenn man sich die Zeit nimmt, in die Schachtel mit Konzepten, an der »Kreativität« steht, hineinzuschauen, erkennt man die vielfältigen, irritierenden Bedeutungen des Wortes selbst, die Ebenen der Gedanken, aus denen es zusammengesetzt ist. Ich meine daher, dass das Konzept der Kreativität vorsichtig behandelt werden sollte. Man sollte Vereinfachungen vermeiden, die – statt der Erfahrung Bedeutung zu verleihen – darauf hinauslaufen, sie zu leugnen oder erheblich zu entstellen. Eine solche Vereinfachung kann zum Beispiel den Eindruck vermitteln und die Idee fördern, dass Kreativität etwas ist, das nur in der Kunst eine Rolle spielt. Das kann dazu führen, dass die Bedeutung der Kreativität in der Naturwissenschaft übersehen wird – ebenso wie in der Arbeit mit analogen Modellen, die Wissenschaftler immer verwendet haben und weiter in ihrer Forschung, in Experimenten und Systematisierungen verwenden.
Eine eigene Diskussion könnte man an diesem Punkt über die Rolle beginnen, die die Naturwissenschaft nicht nur für unser Wissen, sondern auch für unsere Phantasie spielt: Phantasie, die nicht isoliert entsteht, sondern in den kulturellen und sozialen Kontext verwoben ist, in dem wir aufwachsen. Kann es sein, dass die Zurückhaltung, die wir manchmal in Bezug auf die Wissenschaften spüren, auch von der Tatsache abhängt, dass wir nicht in der Lage sind, innezuhalten und über unsere Art des Denkens und Konstruierens – und also des Erschaffens – von Gedanken nachzudenken? Niemand hat uns das gelehrt. Mit anderen Worten, niemand gab uns die Chance, über das Denken selbst nachzudenken.
Wenn wir zum Thema der Kunst zurückkehren, ist eine andere mögliche Vereinfachung, die uns auf eine falsche Fährte lockt, zu denken, dass die Kreativität beim Verwenden von Sprachen entsteht und nicht beim Denken, das die Sprachen lenkt, organisiert und ihnen ihre Logik und ihre Wirkung verleiht. Oder die Vereinfachung, dass Kreativität in einem konkreten Produkt und seiner Originalität gefunden werden kann. Aber wenn Originalität dem Schöpfer des Produkts zugeschrieben werden kann, so liegt sie doch auch in der Wahrnehmung des Konsumenten, der seine eigene kognitive Ausstattung besitzt; es handelt sich um eine interaktive Beziehung. So werden manchmal moderne Kunstwerke als originell bezeichnet, obwohl sie wirklich nichts Originelles an sich haben.
Wenn wir zu meinem Thema, der Beziehung zwischen Kunst und Gedanken, zurückkehren, sollten wir uns fragen, was unsere Vorstellung von Kunst, Künstlern und den Sprachen der Kunst verändern würde, wenn wir unsere Aufmerksamkeit von der Praxis der Kunst und ihren Produkten zu der besonderen Art, die Welt zu betrachten, verschieben müssten – zu der Art und Weise, die Welt zu spüren, und der Art und Weise, Teil dieser Welt zu sein, für die sich der Künstler entscheidet? Der Schwerpunkt unserer Aufmerksamkeit wird sich von den Händen, der Technik, der Farbe und Form des Produkts zu der Art und Weise verschieben, wie wir die Welt sehen und daher auch über die Welt denken und wie wir uns selbst in dieser Welt sehen.
Es geht nicht darum, feindselig auf Hände, Gegenstand und Gedanken zu blicken, sondern, darum, den Weg zu gehen, der sie verbindet und ihre gegenseitige Unentbehrlichkeit deutlich macht. »Es ist nicht der Klebstoff, der die Collage macht«, warnte uns Max Ernst. Es ist nicht nur der Ausdruck, der die Kreativität ausmacht, möchte ich hinzufügen.
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