Glücklicherweise konnte ich im Jahr 2006 an der UNESCO-Konferenz über Kunsterziehung in Lissabon teilnehmen. Auf der Konferenz erzählte Ken Robinson, der Direktor für Bildungspolitik im John-Paul-Getty-Zentrum in Los Angeles, die Geschichte von einem Kind, das in einem Kurs zeichnete und malte. Der Lehrer fragte, was es da gerade zeichne. »Ich male ein Bild von Gott«, war die Antwort. »Das ist ja interessant«, erwiderte der Lehrer. »Ich dachte nicht, dass irgendjemand weiss, wie Gott aussieht.« »In einer Minute wissen es alle«, antwortete das Kind.
Jeder, der jemals mit jungen Kindern gearbeitet hat, kann ähnliche Geschichten erzählen, die Kunst, Kreativität, Selbstvertrauen, Erkundungen und Erforschungen, Wissen und Spass miteinander verbinden – eine starke Verbindung, sowohl im Hinblick auf die persönliche Entwicklung als auch auf die Entwicklung der Gemeinschaft.
Die UNESCO-Konferenz war in vieler Hinsicht ein bedeutendes Ereignis. Das Thema Kunsterziehung bekam zum ersten Mal einen derart wichtigen Status auf internationaler Ebene. Die Konferenz gab den Delegierten die Möglichkeit, Eindrücke von den Themen und Erfahrungen von Politikern und Praktikern aus allen politischen und sozialen Zusammenhängen zu bekommen, und sie schuf die UNESCO-Road Map für die Kunsterziehung. Ausgangspunkt der Road Map ist die Erklärung der Menschenrechte. Die Road Map legt eine Reihe von Empfehlungen fest, die international bedeutsam sind.
Viele Themen der Road Map spiegeln sich in den Artikeln in diesem Heft wider. Es gibt aber auch so etwas wie eine sich wiederholende Ironie, die es wert ist, hier erwähnt zu werden. Diese Ironie drückt sich in den Artikeln von Herwig Deweerdt, Richard Holloway und Colwyn Trevarthen aus, wenn sie uns daran erinnern, dass »wir Erwachsene uns vor der Spontaneität der Kinder fürchten«, dass wir »das Spiel unserer Kindheit zuordnen..., dass Genie nichts anderes ist als die Fähigkeit, die Kindheit wieder zurückzuerobern«, und dass »Kinder geborene Künstler sind, ... und diese intuitive Kunst mehr ist als einfach nur Spiel«.
Alle Erwachsenen müssen von den Kindern lernen, die Dinge wieder miteinander zu verbinden, die Helena Rodrigues im Zusammenhang mit Musik »die Komponenten von Körper und Geist« nennt: »physiologische, rationale, emotionale und geistige Komponenten«. Wenn wir uns damit befassen, wie Kunsterziehung für die frühen Jahre entwickelt werden soll, müssen wir zuerst anerkennen, dass die kindzentrierte Methode Vorteile für Menschen jedes Alters hat.
Die zentrale Stellung der Kunst in Bildung und Lernen ist das Thema für viele Autoren dieser Ausgabe. Ein anderes Thema ist die Kunst als Kommunikationsmittel oder als Sprache. Ana Angélica Albano berichtet von einem Beispiel aus Brasilien, Ida Berendsen von einem aus Dänemark, dem »Ramatising«-Projekt. Die Beziehung zwischen Kunst und Kreativität ist wieder ein anderes Thema. Als Ken Robinson gebeten wurde, Kreativität zu definieren, sagte er: »Phantasie ist die Fähigkeit, originell zu denken, und Kreativität ist angewandte Phantasie.«
Einige Autoren dieses Heftes haben jedoch Vorbehalte gegenüber der »Kreativität«. Herwig Deweerdt zum Beispiel meint, dass wir bei jungen Kindern lieber einfach von »Sprache« reden sollten statt mit Begriffen wie Kunst und Kreativität zu jonglieren. (Wenn Sie mehr über das Thema Kreativität lesen wollen, empfehle ich die aktuelle Veröffentlichung des Arts Council England »Die Rhetorik der Kreativität: Ein Literaturüberblick«.
Dieser Bericht untersucht das Konzept der Kreativität, indem er neun verschiedene Bedeutungen des Begriffs erfasst. Er »klärt und entwirrt die Menge und Vielfalt der Theorien und Auffassungen des Konzepts«.
In Schottland erkunden wir gegenwärtig – wie auch andernorts –, wie man das Potential jedes Kindes in der Realität umsetzen kann. Die Kreativität junger Menschen steht, wie ich meine, im Zentrum dieses Prozesses. Einen interessanten Bericht zu diesen Themen schrieb Paul Roberts für das English Department of Children, Schools and Families.
http://www.culture.gov.uk/Reference lib-rary/Publications/archive 2006/nurturing creativity.htm
In seinem Artikel zitiert Colwyn Trevarthen Alfred North Whitehead: »Das Paradox, das so viele vielversprechende Bildungstheorien ruiniert, besteht darin, dass ein Training, das eine Fähigkeit hervorruft, zugleich so sehr geeignet ist, die Lust und das Vergnügen an der Phantasie zu ersticken.« Ich denke, hier finden wir Raum, um von jungen Kindern zu lernen – egal, ob das geschieht, indem wir die Technik nutzen, um auf neue Weise zu lesen und zu interpretieren wie in dem Beispiel aus Portugal, oder indem wir die Chance nutzen, still an einem Teich mit einer steinernen Skulptur zu sitzen, auf die Wasseroberfläche zu schauen, nachzudenken und zu philosophieren (ja, bitte, zu philosophieren!) wie in dem Beispiel aus Norwegen.
Das Curriculum nimmt in Schottland die Form von Richtlinien an, nicht von Vorschriften, und befindet sich im Prozess der kompletten kritischen Überarbeitung. Es gibt viele Elemente des neu entstehenden Curriculums »Curriculum for Excellence« (http://www.curriculumforex-cellencescotland.gov.uk/), die ein großes Potential für Kunsterziehung enthalten. Die bisher veröffentlichten Dokumente erklären, dass es der Sinn der Bildung ist, »alle jungen Menschen darin zu unterstützen, erfolgreich zu lernen und effektiv daran mitzuwirken, verantwortungsbewusste Bürger und selbstbewusste Persönlichkeiten zu werden«. Neben anderen Dingen steht das Streben, fachspezifische Barrieren niederzureißen. Es geht darum, dass die Lehrer im Unterricht mehr mit anderen Profis zusammenarbeiten und mehr Möglichkeiten zum experimentellen Lernen schaffen. Kunst und Kultur zu nutzen ist ein guter Weg, um diese Ziele zu erreichen. Daher existiert jetzt das Potential, Kunst und Kultur innerhalb der formalen Bildung zu sehen.
Doch Kreativität ist nicht allein den Künsten vorbehalten. Im Curriculum for Excellence sagen zum Beispiel auch die Naturwissenschaften interessante Dinge über die Neugier und den Forscherdrang – notwendige Komponenten der Kreativität. Einige Artikel dieses Ausgabe von »KINDER in Europa« – darunter der von Piero Saccheto, die Fallstudie von Reggio Emilia über das Lichtprojekt und das dänische Beispiel über Vaerkstedsfag – zeigen die natürliche Verbindung zwischen Kreativität, Wissenschaften und Künsten.
Der schottische Kunstrat (Scottish Arts Council) hat gemeinsam mit der schottischen Regierung und sieben örtlichen Behörden eine innovative Methode der gemeinsamen Arbeit mit dem Curriculum entwickelt. Dabei unterrichten Künstler und Lehrer gemeinsam und streifen dabei quer durch das Curriculum. Das hat dazu geführt, dass Physiklehrer mit Tänzern, Mathematiklehrer mit Fotografen usw. zusammenarbeiten.
Einstein sagte den berühmt gewordenen Satz: »Als ich mich und meine Denkweise genauer betrachtete, kam ich zu dem Schluss, dass die Gabe der Phantasie mehr für mich bedeutet hat als mein Talent, mir positives Wissen anzueignen.«
Fakten haben ohne Vorstellungskraft nur einen begrenzten Wert. Theorien haben, selbst wenn sie überprüft worden sind, nur einen begrenzten Wert, wenn sie man sie nicht mit anderen Menschen teilen kann, und um sie mit anderen zu teilen, muss man Worte, Bilder, Klänge und Bewegungen nutzen – mit anderen Worten: die Künste. Damit sind wir wieder beim Thema der Kommunikation.
Die schottische Regierung finanziert zum Beispiel zurzeit 13 »Kulturelle Pfadfinder«-Projekte im ganzen Land.
Sinn dieser Projekte ist es, Methoden zu erforschen, die den Anspruch auf Kultur und die kulturelle Planung entwickeln. Die Projekte werden als Community Planning Partnerships (Gemeindeplanungspartnerschaften) von örtlichen Behörden durchgeführt und sind in Gemeinden konzentriert, in denen die kulturelle Partizipation der Bewohner unterrepräsentiert ist. Ein solches Projekt veranstalten auch die Gemeinderäte von Renfrewshire, East Renfrewshire und Inverclyde. Es konzentriert sich auf Vorschulkinder, ihre Eltern und Erziehungsberechtigten in Gebieten mit vielfältigen Mangelerscheinungen.
Die Beiträge aus Norwegen und Palästina illustrieren sehr deutlich die Verbindung zwischen den Künsten und der lokalen Identität/der Identität der Gemeinde. In bewegenden Worten stellt Ramzi Abu Redwan fest: »Musik schafft einen Weg, die Identität eines Menschen zu schützen – in einer Situation der Besatzung des Landes, in der alles getan wird, um die Identität der Menschen auszulöschen.«
Diese Veröffentlichung wird – so hoffe ich – dabei helfen, die Agenda separat in unseren einzelnen Ländern und auch gemeinsam weiterzuentwickeln. Zusammen mit der Konferenz, die »KINDER in Schottland« für Dezember 2008 plant, wird uns das in die Lage versetzen, einige der besten Beispiele und Erfahrungen aus der Praxis zu verbreiten, und uns allen hoffentlich deutlich machen, dass wir Fortschritte machen und uns mit Hilfe junger Menschen auf demselben Weg voran bewegen.
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