Essen soll uns erfreuen und uns gut tun. Francoise Léon zeigt, wie die Freude am Essen von der Geburt an bei den Babys erkennbar ist, und untersucht einige Faktoren, die darauf Einfluss haben, welche Speisen wir mögen.
Wie entsteht Genuss? Eine charakteristische Eigenschaft von Nahrungsmitteln ist es, unsere Sinne zu wecken: den Gesichts-, Geruchs-, Gehör- und den Tastsinn (wenn wir beispielsweise knusprige Speisen essen). Das ist eine unumstrittene Quelle für Vergnügen und Genuss. Freude empfinden wir jedoch auch, wenn uns ein Bedürfnis befriedigt oder ein Wunsch erfüllt wird und das mit einer lebenserhaltenden Aktivität verbunden ist. Wenn es ums Essen geht, entsteht diese Freude, weil das Essen das unangenehme Hungergefühl beseitigt. Freude kann in diesem Sinne als Erfahrung betrachtet werden, die die Menschen von ihrer Geburt an machen.
Beobachtungen des Gesichtsausdrucks von Kleinkindern, wenn sie auf unterschiedliche Nahrung reagieren, können uns helfen, ihre Freude an der jeweiligen Erfahrung mit verschiedenen Speisen einzuschätzen. Diese Methode hat jedoch ihre Grenzen: Sie ist beispielsweise davon abhängig, wie die Menschen in der Umgebung des Kindes den Gesichtsausdruck interpretieren. Die große Variationsbreite bei individuellen Reaktionen macht die Analyse ebenfalls schwierig. Trotzdem zeigen diese Beobachtungen vom ersten Moment des Lebens an, dass das Kind auf unterschiedliche Geschmacksrichtungen (süß, sauer, bitter, salzig) reagieren kann und dies auch zeigt, indem es einen Gesichtsaudruck annimmt, der sich je nach der Natur der Stimuli verändert. Süßes wird zum Beispiel akzeptiert und führt zu einer gewissen Entspannung, die die Erwachsenen meist als Freude interpretieren, während ein saurer Geschmack eine ganz charakteristische Grimasse hervorruft.
Lustempfindungen und Vorlieben für bestimmte Speisen
Es gibt eine emotionale Reaktion auf Stimuli, die man als »hedonistische Reaktion« kennt (vom griechischen Wort hedone abgeleitet, das für Freude steht) und die in ihrer Intensität wechselt: von der Indifferenz im Fall einer so genannten neutralen Stimulierung zur Ablehnung oder Freude im Fall von negativen oder positiven Stimuli. Bei Kindern hängen die hedonistische Reaktion und das Konsumverhalten sehr eng zusammen.
Das heißt: Wenn der erste Hunger gestillt ist, kann die Menge an Nahrungsmitteln, die spontan gegessen wird, etwas über den größeren oder kleineren Genuss aussagen, den ein junges Kind empfindet, wenn es eine bestimmte Speise isst. Die Messung der aufgenommenen Speisenmenge bei Neugeborenen, die zwischen einem und drei Tagen alt sind, hat beispielsweise gezeigt, dass eine süße Flüssigkeit vor einer geschmacklosen Flüssigkeit bevorzugt wird. Die Neugeborenen, die an diesem Versuch beteiligt waren, konnten auch zwischen süßen Lösungen verschiedener Konzentration unterscheiden. Sie tranken mehr von der Lösung, die am meisten Zucker enthielt.
Faktoren, die die Freude an Lebensmitteln beeinflussen
Der Genuss, den man beim Essen einer Speise empfindet, ist je nach dem Individuum und dem Kontext, in dem die Speise gegessen wird, unterschiedlich. Es gibt viele verschiedene Faktoren, die die Vorlieben beim Essen und folglich die Freude an Speisen beeinflussen. Man kann sie in drei Kategorien einteilen: Faktoren, die mit dem Individuum zu tun haben (physiologische, biologische, psychologische usw.), Faktoren, die nicht im Individuum selbst begründet sind (sozio-ökonomische, kulturelle, regionale usw.) und schließlich Faktoren, die direkt mit der Nahrung zu tun haben (Aussehen, Geruch, Beschaffenheit usw.). Ich werde mich hier auf zwei Faktoren konzentrieren, die einen besonders großen Einfluss auf die Entwicklung von Vorlieben für bestimmte Speisen bei Kindern haben.
Der Einfluss der Vertrautheit
Der Einfluss der Vertrautheit auf Vorlieben beim Essen ist in vielen Experimenten untersucht worden, in denen sowohl Kindern als auch Erwachsenen wiederholt neue Speisen angeboten wurden. Viele dieser Studien zeigen, dass die hedonistische Reaktion oder – mit anderen Worten – der Genuss an den neuen Speisen wächst, je öfter Kinder und Erwachsene diese Speisen essen.
Vertrautheit ist mit der Erfahrung verbunden, die das Individuum mit einer bestimmten Speise macht, und ist folglich eine sehr persönliche Angelegenheit. Sie ist stark von der Kultur abhängig, in der das Kind aufwächst, denn es sind die Menschen, mit denen es zusammenlebt, die ihm bestimmte Speisen anbieten.
Der Einfluss der sozialen und gefühlsmäßigen (sozio-affektiven) Beziehung
Der Einfluss von Eltern und anderen Erwachsenen
Es versteht sich von selbst, dass Eltern entscheidenden Einfluss auf die Vorlieben des Kindes für bestimmte Speisen haben, obwohl sie diese Vorlieben nicht unbedingt teilen müssen. Die Beziehung ist jedoch nicht klar umrissen. In einer Studie wurden Eltern und Kinder unabhängig voneinander gebeten, Speisen nach ihren Vorlieben zu sortieren. Die Kinder, die an der Studie teilnahmen, waren im Alter zwischen drei und sechs Jahren. Es wurde nach folgenden Produkten gefragt: acht verschiedene Früchte, acht verschiedene Arten von Sandwichs, neun Sorten Gemüse und acht verschiedene Snacks. Die Ergebnisse zeigten jedoch nur wenige Ähnlichkeiten in der Rangliste, die die beiden beteiligten Gruppen – Eltern und Kinder – aufstellten. Das war überraschend, denn Kinder dieses Alters essen meist gemeinsam mit ihren Familien, so dass man erwarten könnte, dass sie dieselben Gerichte bevorzugen wie die Eltern. Paul Rozin sprach in diesem Zusammenhang vom »Paradox der Familie«.
Es wurde jedoch nachgewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit signifikant wächst, dass ein Kind eine Vorliebe für eine bestimmte Speise entwickelt, wenn ein Erwachsener diese Speise besonders mag. Ein positiver Kontext bei den Mahlzeiten muss also einen Einfluss darauf haben, ob das Kind viel oder wenig Genuss empfindet.
Der Einfluss von Geschwistern und Gleichaltrigen (Peers)
Die Ähnlichkeit zwischen Geschwistern, was das Essen angeht, das sie mögen oder nicht mögen, ist tatsächlich so groß, wie man vernünftigerweise vermuten würde. Eine Studie zeigte, dass 76 Prozent der Ablehnungen bei Brüdern und Schwestern übereinstimmen, während Eltern und Kindern nur 24 Prozent der Abneigungen teilen.
In vergleichbarer Weise scheinen Kinder gleichen Alters einen wichtigen Einfluss auf die Vorlieben für bestimmte Speisen zu haben. Die Gruppe der Peers übt einen besonders starken Einfluss auf junge Kinder aus. Ein Kind kann tatsächlich seinen Geschmack verändern, indem es seine Kohorte nachahmt. Diese Nachahmung führt zu Vorlieben, die angenommen werden, doch unter Zwei- bis Dreijährigen ist Nachahmung vor allem ein Instrument der Kommunikation. Nachahmung ist auch ein Mittel, sich mit der Gruppe zu identifizieren.
In einer Studie wurden neun Gemüsesorten nach ihrer Beliebtheit angeordnet. Der Wissenschaftler bildete dann vier Gruppen, zu jeder gehörten drei Kinder, die die Sorte A der Sorte B vorzogen, und ein »Zielkind«, das die Sorte B der Sorte A vorzog. Der soziale Einfluss der Gruppen wurde dann drei Tage lang studiert. Das Zielkind bekam sein Essen als letztes und konnte so sehen, was die anderen Kinder der Gruppe wählten. Nach vier Tagen war bei 71 Prozent der Kinder die Vorliebe für die Speise, die sie ursprünglich nicht gemocht hatten, gewachsen, und bei 82 Prozent der Kinder war die Vorliebe für das ursprünglich gewählte Gemüse gesunken. Das Experiment zeigt den Einfluss, den Kinder bei Mahlzeiten auf andere Kinder ausüben.
Zusammenfassend kann man sagen, dass viele verschiedene Faktoren die Vorliebe für bestimmtes Essen beeinflussen, aber wenn die Kinder in einer sie unterstützenden Umgebung essen, kann die Freude am Essen mit anderen geteilt und auf diese Weise eine positive Einstellung zu Nahrungsmitteln gefördert werden.
Francoise Léon ist Spezialistin für die Vorlieben von Kindern für bestimmte Speisen.
Zurück zur Übersicht
Zum Seitenanfang