Matti Bergstrom und Pia Ikonen untersuchen den Einfluss der Hirnforschung auf das Angebot von Räumen für junge Kinder. Sie vertreten die These, dass der freie Raum in der Natur die beste Umgebung für Kinder ist, um ungehindert zu lernen
Die Hirnforschung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Wir wissen jetzt beispielsweise, dass die neuronalen Mechanismen, die für das Verhalten von Menschen verantwortlich sind, erst nach der Pubertät vollständig reifen. Entscheidende Veränderungen finden im Alter von zwei und drei Jahren, von sechs bis sieben Jahren und am Ende der Pubertät statt. Die Bedürfnisse des Kindes sind in jedem dieser Stadien anders. Wenn diese Bedürfnisse gut befriedigt werden, kann sich das Gehirn des Kindes voll entwickeln und seine Kapazität ganz ausschöpfen.
Die Entwicklung des Gehirns
Unser Gehirn ist ein System mit zwei »Polen«: Einer ist einfach, es ist der Hirnstamm, den wir auch als das Gehirn des Kindes bezeichnen können. Er gibt chaotische Signale weiter. Der andere, der Neokortex, ist hoch entwickelt. Er ist der Sitz unserer motorischen und sensorischen Fähigkeiten und gibt geordnete Signale weiter. Der Neokortex ist der letzte Teil des Gehirns, der seine völlige Reife erreicht. Bei einem jungen Kind – bis zu sechs oder sieben Jahre alt – hat sich der Bereich des Gehirns, der Logik und Ordnung umfasst, der Neokortex, noch nicht entwickelt und das Kind hängt mehr von seinen inneren Gefühlen ab und davon, was für diese Gefühle wichtig ist. Das ist der Grund, warum das Verhalten junger Kinder oft chaotisch ist.
Chaos und Ordnung stimmen entweder überein oder kollidieren im neuro-mentalen Selbst. Das ist ein Bereich im Mittelhirn, in dem mentale Phänomene wie Gefühle und Bewertungen ihren Platz haben. Das neuro-mentale Selbst ist ein Treffpunkt zwischen innerer und äußerer Welt und kombiniert die inneren Werte mit dem Wissen davon, was in der äußeren Umgebung vor sich geht.
Nicht »Welt der Phantasie«, sondern »Welt der Möglichkeiten«
Die Kollision zwischen Chaos und Ordnung – zwischen inneren Gefühlen und äußeren Sinneseindrücken – ruft eine rege Aktivität des Gehirns hervor. Im Mittelhirn fließt die Information. Sinneseindrücke aus der Umwelt und Ideen aus dem »chaotischen« Hirnstamm treffen auf Gefühle. Die Information wird auf eine unvorhersehbare Weise verarbeitet, die nicht unserem erwachsenen Sinn für Logik entspricht. Es ist vielmehr das, was wir meist als freie Imagination oder Phantasie bezeichnen. Bei Kindern ist die Phantasie noch viel stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen, weil der Neokortex sich langsamer entwickelt und »chaotische« Signale stärker als »geordnete« Signale sind.
Phantasie erscheint uns manchmal als unwichtig und weniger nützlich als die Information. Der Begriff »Welt der Phantasie« wird oft abwertend benutzt. Aber die Welt der Phantasie im Gehirn der jungen Kinder enthält freie Ideen, Werte und Möglichkeiten, das künftige Verhalten zu verstehen, was die Entwicklung des Gehirns ermöglicht. Ein besserer Ausdruck als »Welt der Phantasie« wäre »Welt der Möglichkeiten«, denn diese Freiheit der Gedanken gibt den Kindern die mentalen Bedingungen, die sie brauchen, um die Möglichkeiten zu sehen, die sie in ihrer Umwelt verwirklichen können (oder nicht können). Ein solcher Begriff, der das Potential der inneren Welt hervorhebt, würde dazu führen, dass die Erwachsenen den Wert dieser Welt besser erkennen. Sie ist die Nahrung für die Entwicklung des Gehirns und das Rohmaterial für Kreativität.
Spiel und Kreativität
Spielaktivitäten und Kreativität sind Synonyme. Beide beinhalten die Erschaffung von Ordnung aus dem Chaos. Wir nennen es Spiel, wenn es Kinder sind, die es tun; wir nennen es Kreativität, wenn es um das Tun von Erwachsenen geht. In beiden Fällen wird die errichtete Ordnung wieder zerstört und eingerissen, so dass neue und unvorhergesehene Gedanken auftauchen können. Kinder spielen mit Gegenständen, die sie als Spielzeuge behandeln; Erwachsene können mit Gedanken, Theorien, Paradigmen spielen. In beiden Fällen werden die »Spielobjekte« auseinander genommen und zerstört, und neue Gegenstände, Ansichten und Theorien tauchen auf. Innovationen entstehen. Aber das kann nur geschehen, wenn die Individuen frei dafür sind; sie brauchen Freiheit, was den Raum betrifft, den sie bewohnen, und Freiheit in der Welt, die sie umgibt. Nur dann kann etwas Neues gelernt werden.
Freies und geordnetes Spiel
Es gibt viele Theorien über die Art des Spiels, die für das Kind am besten ist, in welchem Alter und für welche Dauer. Es wird oft gesagt, dass Spielaktivitäten das Kind für das Leben in unserer Gesellschaft vorbereiten. Das kann dazu führen, dass Spielaktivitäten programmiert werden, um die geordnete und logische Welt der Erwachsenen nachzuahmen. Aus unserer Sicht ist das falsch.
Solche geordneten Strukturen erlauben der chaotischen Kraft des Hirnstamms nicht, sich am Spiel zu beteiligen, und unterdrücken die Kreativität. Wir nennen das programmierte Spiel auch geordnetes oder strukturiertes Spiel. Spiel, das das »chaotische« Gehirn des Kindes befähigt zu handeln, nennen wir freies oder wildes Spiel. Das freie Spiel hilft den Kindern, die Möglichkeiten der Welt zu nutzen und bietet die Freiheit, die das Gehirn braucht, um zu wachsen.
Natürlich kann Chaos auch eine zerstörerische Kraft sein, und Kinder müssen davor möglicherweise geschützt werden. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Zerstörung dazu neigt, unsere Ordnung zu zerstören – nicht ihre.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 08 lesen.
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