Vom Rutschen im Matsch und Laufen im Bach
Wortwörtlich im Flow sind die Freiburger Waldkinder ganz besonders dann, wenn es uns allen fast schon wieder zu warm ist. Dann werden die Gummistiefel rausgeholt, und ab geht’s ins Bächlein. Vom Bachlaufen und was man sonst noch alles mit Wasser und Matsch anstellen kann, erzählen die Teammitglieder Kerstin Lange und Jana Seidel-Burger im Gespräch mit Jutta Gruber.
Wasser ist unser täglicher Begleiter. Weil gleich bei unserer Schutzhütte ein kleiner Bach fließt, sind unsere Kinder von klein auf dort zugange. Für die unter Dreijährigen ist das Schöpfen und Schütten ja ohnehin das, was sie leidenschaftlich gern machen. Und zwar nicht nur an den sogenannten schönen Tagen. Tatsächlich schließen wir nicht aus, dass sie auch im Winter oder bei Regen dort spielen. Es ist ja etwas ganz anderes, ob sie ihre Welt im Frühling, im Sommer, im Herbst oder im Winter erkunden – oder im Regen. Es gibt Tage, da ist der Wasserstand höher, meist im Frühjahr und im Herbst, weil da viel Regen fällt, und Tage, meist im Sommer, an denen der Bach wenig Wasser führt. Je nachdem, wie hoch das Wasser angestiegen ist, erlauben wir den Kindern hineinzugehen, damit sie dort ihre Erfahrungen machen können, oder wir erlauben es ihnen ausschließlich in unserer Begleitung.
Manchmal steigt das Wasser bis zu einem halben Meter an. Dann dürfen die Kinder selbstverständlich gar nicht in den Bach und auch nur bis zu einem bestimmten Abstand an ihn heran. Die Grenze, bis wohin sie gehen dürfen, markieren wir durch einige mit Bachwasser befüllte Eimer, aus denen sie – statt aus dem Bach – Wasser schöpfen können. In Hitzeperioden kann es sogar sein, dass der Teil unseres Baches ganz austrocknet. Dann machen wir uns gern auf die Suche nach verbliebenen Wasserstellen – zum einen, um selbst Erfrischung zu finden, aber auch, um unsere Eimer wieder zu füllen. Denn im Wald haben wir, neben unserem mitgebrachten Trinkwasser, nur den Bach.
Hurra, es regnet!
Regentage sind für uns das schönste Wetter, denn mehr Erfahrung als bei Regen geht wahrscheinlich gar nicht. Er prasselt von oben auf uns herab, fließt die Wege hinunter und in den Bach hinein. Nasse Wege und Abhänge lassen sich besser und schneller hinabrutschen und noch besser, wenn wir zusätzlich Wasser aus Eimern auf die Wege schütten, und am allerbesten, wenn wir den Kindern beim Rutschen noch einen Eimer Wasser hinterher, Richtung Po, schütten. Die warten da richtig drauf: »Kannst du noch mal Wasser?« Erst heute waren wir knapp drei Stunden bei Regen draußen. Am Ende waren alle bis auf die Unterhosen nass – nicht nur die Kinder. In der Schutzhütte haben wir für alle Fälle eine große Kiste mit Wechselwäsche und einen Ofen. Den machen wir an besonders regnerischen Tagen an, damit sich die Kinder dort bei angenehmer Temperatur umziehen und aufwärmen können.
Weltwissen
In den Bach dürfen die Kinder mit Gummistiefeln bzw. sobald es hinreichend warm ist. Meist erlauben wir ihnen schon ab dem Frühjahr auch barfuß ins Wasser zu gehen. Es ist ja nicht so, dass sie da dann stundenlang spielen. Da ist so viel Spannendes zu beobachten. Nach einem besonders kräftigen Regenguss kann es sein, dass Gartenabfälle und Stöcker angespült wurden und die Kinder sich fragen, wohin die wohl weiterschwimmen, wenn sie sie aus der Böschung befreien. Oder eine Gießkanne fällt absichtlich oder unabsichtlich ins Wasser. Wo wird sie hängenbleiben? Komme ich dort allein ran oder muss ich um Hilfe rufen? Gefährliche Situationen erleben wir am Bach nicht. Selbst wenn ein Kind auf der kleinen Böschung abrutscht und in den Bach fällt, versucht es schon beim Fallen, Halt zu finden und sich abzustützen. Wir haben in all den Jahren nicht einmal erlebt, dass ein Kind mit dem Gesicht im Wasser ruhig liegen geblieben wäre. Dieses Gefühl, plötzlich von Wasser umschlossen zu sein, vielleicht sogar das Gesicht und dann vielleicht auch noch mit recht kaltem Wasser, das überall reinschwappt und reinfließt, und nach dem Sturz triefend nass zu sein und an der Schutzhütte das Wasser aus den Gummistiefeln zu kippen, das ist schon ein spannendes Erlebnis.
Donata Elschenbroich weist in ihrem Buch »Weltwissen der Siebenjährigen« zu Recht darauf hin, dass es zum Welt-wissen eines Kindes gehört, einmal in einen Bach gefallen zu sein. Wahrscheinlich plädiert sie damit für die gesamten Umstände, die dazu führen, dass Kinder überhaupt in einen Bach fallen können und dabei dennoch ausreichend begleitet sind: ein Bach und Erwachsene, die Kinder nicht davon abhalten, eigene Erfahrungen zu machen, statt jedes nasse Ärmelchen zu vermeiden, aus Sorge, das Kind könnte krank werden.
Manche Eltern bringen tatsächlich solche Sorgen mit. Sie wissen aber auch, dass Wasser – zu allen Jahreszeiten und Witterungen – ein viel zu schönes Element ist, als dass wir es den Kindern vorenthalten sollten. Üblicherweise verlieren die Eltern ihre Sorgen, sobald ihr Vertrauen in uns während der Eingewöhnung wächst. Die Eingewöhnung dauert bei uns meist um die sechs Wochen, wobei die Eltern die ersten zwei bis drei Wochen vor Ort sind und beobachten können, wie achtsam die Kinder ihre Welt erkunden und wie achtsam wir sie dabei begleiten. Bei uns gewöhnen wir tatsächlich bewusst nicht nur die Kinder ein, sondern auch ihre Eltern. Erst wenn sie sicher sind, dass unsere Aufmerksamkeit immer bei ihren Kindern ist, bzw. dass wir sofort nach ihnen schauen, wenn wir mal einen Moment lang nicht genau wissen, wo sie sind, ist auch die Zeit gekommen, dass sie ihre Kinder unserer Aufsicht überlassen können.
Kerstin Lange ist Diplom-Sozialpädagogin und hat zusammen mit der Diplom-Forstwirtin Jana Seidel-Burger die Einrichtung Waldkinder e.V. in Freiburg wesentlich aufgebaut und gestaltet. Dort betreuen sie zusammen mit ihrem Team Kinder im Alter von eineinhalb bis zwölf Jahren in mehreren altershomogenen Gruppen. Gemeinsam sind sie Co-Autorinnen der 2020 bei verlag das netz erschienenen Publikation Natürlich draußen. Mit den Jüngsten im Naturraum unterwegs und teilen neben der Liebe zur Natur auch die Leidenschaft für Atelier- und Werkstattpädagogik.
Kontakt
www.waldkinder.net
Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05-06/2023 lesen.