Warum wir streiken
Selbst der stetige Schneeregen drückt nicht auf die kämpferische Stimmung, die am 8. März die Leipziger Innenstadt bestimmt. Die Gewerkschaften Verdi und GEW haben zum bundesweiten Streik im öffentlichen Dienst aufgerufen, auch viele Kitas und Horte haben sich am Frauenkampftag angeschlossen. Die feministischen und gewerkschaftlichen Forderungen überschneiden sich in einigen Themen: Sie kämpfen gegen die schlechte Bezahlung von Frauen und die geringe Wertschätzung von Care-Arbeit (Sorgearbeit). Schließlich sind es immer noch über 70 Prozent Frauen, die unter den schlechten Arbeitsbedingungen in sozialen und erzieherischen Berufen leiden. Der sogenannte Gender Paygap ist hier besonders groß. Für 10,5 Prozent mehr Gehalt kämpfen deshalb die Streikenden an diesem Tag, und die Erzieherin Susan moderiert die Kundgebung auf einer kleinen Bühne. Über die vielen Gründe fürs Streiken sprach sie mit unserer Redakteurin Emilia Miguez.
Ich war ziemlich beeindruckt, mit wieviel Elan die Streikenden sich organisiert haben. Woher kommt diese Entschlossenheit?
Es brennt einfach gerade überall. Jede Person, mit der ich spreche, erzählt mir, dass ihr Gehalt nicht mehr reicht. Es hat sich eine große Erschöpfung breitgemacht. Ich bekomme es bei meinen Kolleg:innen besonders intensiv mit, viele sind langzeitkrank, weil es ihnen psychisch nicht gut geht. Sie sind ausgebrannt und können nicht mehr.
Die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Lohn, das entspricht gerade mal der Inflationsrate. Da kann man nicht wirklich von einer Aufwertung sprechen.
Genau, das stimmt! Wir fordern deshalb mindestens 500 Euro mehr Gehalt, damit vor allem die unteren Entgeltgruppen wirklich unterstützt werden. Für mein eigenes Gehalt habe ich ausgerechnet, dass sich daraus bei mir eine Lohnsteigerung von 15 Prozent ergibt. Ich arbeite jedoch nur Teilzeit, deswegen wird es bei mir wiederum nicht ganz so viel sein.
Die Arbeitgeber:innen haben in der Öffentlichkeit verbreitet, dass die Streiks auf den Rücken der Familien ausgetragen würden. Auf der Kundgebung hat euch das ziemlich wütend gemacht, warum?
Ja, sie spielen mit unserem sozialen Gewissen und behaupten, wir lassen unsere Schutzbefohlenen im Stich. Und das ist ganz klar falsch! Ich kann dazu nur sagen, dass die Bedingungen gerade so schlecht sind, dass es auch keinen Unterschied mehr macht, wenn wir mal ein paar Tage streiken. Nicht unser Streik gefährdet die Menschen, sondern die schlechten Bedingungen, die die Arbeitgeber:innen und politisch Verantwortlichen nicht ändern.
Wann hast du gemerkt, dass du dich gewerkschaftlich engagieren möchtest? Hat sich das schon in der Ausbildung gezeigt?
Ich bin richtig gerne Erzieherin. Aber schon die Ausbildung ist sehr schlecht vergütet, und es wird schnell deutlich, wie schlecht die Bedingungen in den Kitas sind. Wenn ich heute unsere Praktikant:innen erlebe, sehe ich auch bei ihnen, dass sie manchmal nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht. Der Betreuungsschlüssel ist schlecht, häufig bin ich alleine mit bis zu 20 Kindern. Leider ist der Betreuungsschlüssel jedoch Ländersache, und wir können gewerkschaftlich daran nicht viel ändern. Mir ist echt wichtig, die Bedingungen für die Kinder zu verbessern, und gleichzeitig möchte ich für mich einstehen, weil das Menschen in sozialen Berufen viel mehr abgesprochen wird. Wir leisten echt anstrengende Arbeit, und oft laufen soziale Aktivitäten unter Nächstenliebe und Christlichkeit – ehrenamtlich versteht sich. Und ja klar, ich mache das super gerne, aber ich habe Anspruch auf einen fairen Lohn, mit dem ich mich und mein Kind versorgen kann.
Wie nimmst du die Unterstützung durch die Familien wahr?
Dieses Jahr hatte ich das Gefühl, es gibt viel mehr Verständnis. Klar, letztes Jahr waren die Kitas erst zu wegen Corona, und dann haben wir auch noch gestreikt. Ich verstehe das total! Es ist belastend, wenn man sich um seine Existenz sorgen muss. Ich versuche den Familien deswegen in Eins-zu-eins-Gesprächen unsere Situation zu erklären. Ohne rosarote Brille. Ich will ihnen natürlich keine Angst machen, aber ich bin ehrlich und erkläre, dass ich es unter den derzeitigen Bedingungen nicht schaffe, ausreichend auf ihr Kind einzugehen, sondern gerade mal die dringendsten Bedürfnisse erfüllen kann. Die Eltern erleben ja die vielen Ausfälle, Gruppenaufteilungen, und wie ich allein mit 20 Kindern dastehe. Niemand will sein Kind so betreut wissen. Die Gründe, warum wir streiken, sind den meisten klar.
Führt das auch dazu, dass sich die Familien mehr einbringen?
Leider kämpfen sie nicht mit uns. Ich lade Eltern immer wieder ein, zum Streik dazuzukommen. Auch den Kindern erkläre ich im Morgenkreis, was Streiken bedeutet und was wir machen, wenn die Kita zu hat. Leider folgen unserer Einladung eher wenige Familien. Die Einzelnen, die doch kommen, sind sehr unterstützend! Ich fände es super, wenn sich die Eltern in Vorbereitung auf längere Streiks mehr organisieren und vernetzen würden. Das war auch am 8. März ein großes Thema für uns, weil uns schon im Vorfeld klar war, dass wieder vor allem die Mütter zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern. Außerdem bräuchte es mehr politischen Druck, nur haben Familien leider keine große Lobby. Offene Briefe könnten unsere Anliegen sehr unterstützen.
Wofür braucht ihr den langen Atem, von dem auf der Demo so häufig die Rede war?
Uns wurde in der letzten Verhandlungsrunde gerade mal fünf Prozent mehr Gehalt angeboten, nicht rückwirkend, sondern nur für die kommenden zwei Jahre und zudem erst ab Oktober. Die 500 Euro Mindesterhöhung, zur Entlastung der Niedriglöhne, wurde gar nicht aufgenommen. Das heißt, es profitieren wieder diejenigen, mit den ohnehin besseren Löhnen. Uns Erzieher:innen wollten sie mit einer Einmalzahlung abspeisen, was uns einfach nichts bringt, da es z.B. nicht in die Rente einfließt. Das empfanden viele von uns als Frechheit. Es gibt Ende März eine weitere Verhandlungsrunde, bei der ein neues Angebot erarbeitet wird. Wenn die Gewerkschaftsmitglieder dieses Angebot bei einer Abstimmung nicht annehmen, dann müssen die Arbeitgeber:innen ein besseres Angebot machen, oder wir gehen in den Erzwingungsstreik, bis wir wirklich bekommen, was wir wollen. Der dauert dann mehrere Tage und Wochen an. Das will natürlich niemand, ich auch nicht. Wir wissen alle, was das für die Eltern und Kinder bedeuten würde. Aber es ist das einzige Mittel, was wir haben.
Ich denke, die meisten erinnern sich noch an die Streiks der Deutschen Bahn, die alles lahmgelegt haben und am Ende erfolgreich waren.
Ja genau, darüber hinaus fanden sehr erfolgreiche Streiks in Krankenhäusern letztes Jahr in NRW statt. Das wurde medial kaum wahrgenommen. Die Angestellten haben 77 Tage durchgestreikt, bis am Ende die gewünschten Forderungen erfüllt wurden. Das Krankenhauspersonal war richtig gut vernetzt und hat sich gegenseitig unterstützt. So wie ich es in den Kitas in Leipzig jedoch mitbekomme, ist genau das so schwierig. Ich kenne die anderen Mitarbeite-r:innen aus den verschiedenen Kitas meines Träger kaum. Und noch weniger die aus den Einrichtungen anderer Träger. Um dem entgegenzuwirken, sind wir gerade dabei, uns mehr zu vernetzen, und organisieren deshalb sogenannte Arbeitsstreiks. Dafür werden Delegierte aus den Einrichtungen geholt, immer so zwei bis drei Leute, die sich dann für Organisatorisches treffen und andere Einrichtungen besuchen. Ich war letzte Woche z.B. mit vier Busfahrer:innen – die ich während unserer gemeinsamen Streiks kennengelernt habe – in verschiedenen Horten. Dort haben wir über die gewerkschaftlichen Forderungen gesprochen und die Mitarbeiter:innen gefragt, wie es ihnen geht und ob sie mitmachen.
Wie kann ich mir das vorstellen, wie sprecht ihr die Menschen an? Und könnt ihr damit überzeugen?
Wir gehen einfach zu den Einrichtungen hin. Dann fragen wir, ob sie kurz Zeit haben, um mit uns zu sprechen, oder lassen Informationsmaterial da. Häufig gibt es in den Teamrunden einige, die der Gewerkschaftsarbeit kritisch gegenüber stehen. Gerade Ältere sind enttäuscht, weil so wenig passiert ist in den letzten Jahren. Man merkt, wie frustriert sie sind, und dass sie keine Lösungen sehen. Alle kennen die immense Schieflage. Niemand behauptet, es würde doch alles super laufen. Ich motiviere sie damit, dass wir nicht alles auf einmal ändern können, aber wenigstens ein bisschen.
Wie würdest du gerne in Zukunft arbeiten?
Der empfohlene Betreuungsschlüssel von 7,5 Kindern wäre toll. Das durfte ich zuletzt in der Notbetreuung erleben. Da habe ich endlich mal wieder gemerkt, wie gut ich dann auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen kann. Endlich konnte ich mal wieder Spezialwünsche erfüllen und echte Bildungsarbeit machen, Projekte anfangen und beenden und mich mit meinen Kolleg:innen austauschen. Das war wirklich gute Arbeit mit den Kindern. Ich würde das gerne als ganz normalen Alltag haben, damit ich richtig gerne zur Kita komme.
Susan arbeitet als Erzieherin für einen städtischen Träger in Leipzig. Sie hat eine Ausbildung zur Erzieherin absolviert und engagiert sich gewerkschaftlich seit dem Ende ihres Studiums der Sozialen Arbeit 2019.
Infos
Instagram: @soli_fuer_soziales_le
Verdi: https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/mein-arbeitsplatz/sozial-und-erziehungsdienst
GEW: https://www.gew.de/troed2023
PIXI-Buch »Streik in der Kita«
Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2023 lesen.