Ohne Sprach-Kitas bleibt die Tür für viele zu
Anfang Juli 2022 löste die Nachricht, dass im Bundeshaushalt keine Gelder für die Weiterführung des Bundesprogramms »Sprach-Kitas« vorgesehen sind, ein großes Beben in der Kita-Landschaft aus. Massive Proteste von Fachkräften, Eltern und Trägern erreichten die Wirtschaftsverbände und Bundesländer und der Bundesrat sprach die Forderung an den Deutschen Bundestag aus, das Bundesprogramm, wie im Koalitionsvertrag 2021-2025 beabsichtigt, »weiterzuentwickeln und zu verstetigen« (S. 95). Dass die Diskussion viele Facetten hat und das Bundesprogramm für weit mehr steht, als für sprachliche Bildung, beschreibt die Fachberaterin »Sprach-Kitas« Simone Wahl.
Das Bundesprogramm »Sprach-Kita« schenkt Zeit, Wissen, Ressource, Vernetzung und Fachberatung – konkret durch die Finanzierung einer halben Stelle für eine zusätzliche Fachkraft, eine zusätzliche Fachberatung und eine zusätzliche wissenschaftliche Begleitung. Dafür werden eine inhaltliche Auseinandersetzung mit pädagogischen Handlungsfeldern, passgenaue Lösungen und eine Konzeptionsentwicklung mit Blick auf die sogenannten vier Handlungsfelder1 erwartet.
Mehrwert auf allen Ebenen
Die zusätzliche Fachkraft ist Multiplikator:in für und mit dem Team und in Zusammenarbeit im Tandem mit der Kita-Leitung, bzw. in Kinderläden mit den ehrenamtlichen Vorständ:innen. Weil sie diese Aufgaben nicht im Alleingang, sondern im Team bearbeiten soll, ging es zum Start des Bundesprogramms in vielen Einrichtungen zunächst um Teamkultur und das Einführen verlässlicher Strukturen: Haben wir regelmäßige Teamsitzungen mit Zeit für Pädagogik? Wie sprechen wir miteinander im Team? Welche Methoden für das kollegiale Feedback nutzen wir?
Die zusätzliche prozessbegleitende Fachberatung ohne Fach- und Dienstaufsicht bietet für bis zu 15 Kitas in einem Verbund verschiedene, insbesondere im Zusammenspiel wirksame Formate an: Einzelgespräche, Tandemgespräche, Verbundtreffen für die zusätzlichen Fachkräfte, Arbeitskreise für die Tandems. In dem Verbund, den ich begleite, hat sich die Peer-Ebene als festes Format der zusätzlichen Fachkräfte bewährt: Diese Treffen dienten als Ort des Ankommens, des Austauschs, der Begegnung auf Augenhöhe, der kollegialen Beratung, der Inspiration und des Wissenstransfers. Obwohl sie keinen verpflichtenden Charakter hatten, fanden sie über die Jahre hinweg monatlich mit stabil hoher Beteiligung statt.
Auch die wissenschaftliche Begleitung inklusive der zur Verfügung gestellten Plattform mit Zugang zu interaktiven Lern- und Wissensangeboten, Vernetzungsmöglichkeiten und diversen Online-Formaten werden sehr geschätzt. In den beiden vergangenen Programmjahren kamen zusätzliche Mittel für Digitalisierung und ein Aufholzuschuss dazu.
Perspektiven statt Enttäuschung?
Der durch das Bundesprogramm für alle Bundesländer geschaffene gemeinsame Rahmen ermöglichte Begegnung und Austausch zwischen den Fachkräften, Fachberatungen und Trägern. Ein ersatzloses Beenden würde nicht nur das berufliche Aus für viele qualifizierte Fachkräfte und Fachberatungen bedeuten. Es wäre auch das Ende eines innovativen Programmes, das die klassische und – wie im Grunde alle Studien belegen – nicht nachhaltige Sprachförderung ablöst und von vielen Sprach-Kitas als große Bereicherung hinsichtlich ihrer Qualitätsentwicklung erlebt wird. Gerade weil das Bundesprogramm ein Meilenstein zum Verständnis sprachlicher Bildung ist, sind die Beteiligten in allen Bundesländern von der Nicht-Weiterführung gelinde gesagt überrascht. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) verweist bei seiner Entscheidung zurecht auf die zeitliche Befristung des Bundesprogramms.
Warum das letzte Jahr der Programmlaufzeit nicht zur Verstetigung genutzt wurde und sich auch die Bundesländer nicht schon früher in den regelmäßig stattfindenden Bund-Länder-Steuerungsrunden mit der Überführung in Landesprogramme beschäftigt haben, bleibt unverständlich. Mit etwas mehr Vorlauf hätte sich die Politik viel Aufregung erspart und den Fachkräften, Fachberatungen und Trägern statt einer großen Enttäuschung eine Perspektive ermöglicht, von der nicht nur die »Sprach-Kitas«, sondern alle Kitas profitieren könnten. Eine vertane Chance.
Die Mobilisation mit der Kampagne #sprachkitasretten2 https://sprachkitas-retten.de/ (16.01.2023) zeigt, dass die Menschen der Kita-Landschaft dieses Aus nicht einfach so hinnehmen wollen. Die Wut, die Enttäuschung, im Stich gelassen worden zu sein, findet hier einen wunderbaren Kanal und ist eine kluge Nutzung der Möglichkeiten einer Demokratie. Mit einer öffentlichen Petition an den Deutschen Bundestag wurden demokratische Abläufe angestoßen. Statt der für eine öffentliche Anhörung notwendigen 50.000 Unterschriften kamen 200.000 Unterschriften zusammen. Die Kampagne gehört damit zu den erfolgreichsten Petitionen der Bundesrepublik. Bei einer Kundgebung der GEW am Brandenburger Tor Anfang September 2022 waren viele Verbünde aus verschiedenen Regionen Deutschlands angereist. Einige hatten vor Ort Flashmobs organisiert. Auch wenn das eine Erfolgsmeldung ist …, warum massiver Druck notwendig war, um die Wirksamkeit des Bundesprogramms bewusst zu machen, werden wir wahrscheinlich nie erfahren.
Aussicht
Weil seit Jahren die Organisation und das Management zunehmend Ressourcen beansprucht, konnten viele teilnehmende Kitas durch die Bereitstellung der zusätzlichen Ressource wieder inhaltlich und pädagogisch arbeiten. Viele pädagogische Fachkräfte waren dankbar über die Möglichkeit, sich über pädagogische und konzeptionelle Fragen wie »Wo stehen wir« oder »Welche Ziele wollen wir wie umsetzen« auszutauschen. Dies erhöhte nicht nur die Qualität der pädagogischen Arbeit, sondern auch die Arbeitszufriedenheit. Die Unzufriedenheit über das drohende Aus macht die Wirksamkeit des Programms mehr als sichtbar. Doch nicht nur aus qualitativer Sicht sollte weiterhin in das Programm investiert werden: Jeder nicht in frühkindliche Bildung investierte Euro muss in späteren Jahren mehrfach für Förder- und Unterstützungsmaßnahmen ausgegeben werden.
Anfang November 2022 entschied das BMFSJ die Finanzierung des Bundesprogramms aus Bundesmitteln für ein weiteres halbes Jahr, also bis zum 1. Juli 2023. Damit sind die Stellen der Fachkräfte und Fachberatungen zumindest vorerst gesichert und es bleibt etwas mehr Zeit für die inhaltliche und strukturelle Umsetzung. Unklar bleibt, mit welchen finanziellen Mitteln die Länder ein eigenes Programm auf der Basis des Bundesprogrammes finanzieren sollen, zumal in einigen Bundesländern die Mittel aus dem Kita-Qualitätsgesetz bereits verplant sind. Insofern bleibt offen, wie die, dem Bildungsförderalismus geschuldete Idee zur Weiterführung des Bundesprogrammes auf Länderebene, realisiert werden könnte. Zunächst scheinen die Sprach-Kitas ein bisschen gerettet. Doch die Tür zu den Sprachen der Welt klemmt.
Simone Wahl ist Fachberatung »Sprach-Kitas« bei DaKS (Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden e.V.), Koordination Fachberatung bei ISTA (Institut für den Situationsansatz) und Dozentin. Sie engagiert sich für Qualitätsentwicklung in Kitas und Fachberatung als Qualitätsstandard und unterstützt die Kampagne #sprachkitasretten (https://sprachkitas-retten.de / 11.01.2023).
Kontakt
1 »Das Programm verbindet drei inhaltliche Schwerpunkte: alltagsintegrierte sprachliche Bildung, inklusive Pädagogik und die Zusammenarbeit mit Familien. Ab 2021 legt das Bundesprogramm Sprach-Kitas einen weiteren Fokus auf den Einsatz digitaler Medien und die Integration medienpädagogischer Fragestellungen in die sprachliche Bildung.« https://sprach-kitas.fruehe-chancen.de/programm/ueber-das-programm/ (16.01.2023)
2 https://sprachkitas-retten.de/ (16.01.2023)
Weitere interessante Beiträge können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/2023 lesen.