Schule im Wald
Der Ansicht, dass es Tafel, Kreide, Schulhefte und ein Tablet braucht, um gut lernen zu können, würden die Kinder der vierten Klasse einer Heidelberger Grundschule wahrscheinlich nicht zustimmen. Davon, dass der Wald ein ideales Klassenzimmer sein kann, überzeugten sich zehn Studierende der Hochschule Mannheim. Einige Ergebnisse ihrer Interviewstudie zu den Erfahrungen der Kinder und ihrer Lehrerin mit dem Lernen im Wald haben sie für uns zusammengefasst.
Das Interesse an sogenannten »Draußenschulen« wächst seit Jahren. Ganze Schulen oder einzelne Lehrkräfte verlegen Unterrichtstage ins Freie. Damit ermöglichen sie den Kindern, sich mit ihrer Umwelt in direktem Kontakt vertraut zu machen statt mithilfe von Arbeitsblättern und Tablets, Wetter und Jahreszeiten hautnah zu erleben, sich frei zu bewegen und Stress abzubauen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Weil uns das Thema faszinierte, machten wir es zum Gegenstand eines Forschungsprojektes. Ein Semester lang beschäftigten wir uns mit Methodenliteratur, schulten uns in altersadäquaten Fragetechniken und entwickelten einen Interviewleitfaden.
Im Herbst 2021 führten wir schließlich Gespräche mit insgesamt 23 Kindern der vierten Klasse einer Heidelberger Grundschule und ihrer Klassenlehrerin an mehreren ihrer Lieblingsorte im Wald. Wir erlebten den steilen Waldweg, auf dem die Kinder an ein bis zwei Vormittagen pro Woche in ihr »Riesen-Klassenzimmer« – wie einer der Schüler:innen es nennt – gelangen und die gemeinsamen Achtsamkeitsübungen, mit denen sie, oben angekommen, ihren Unterrichtstag beginnen.
Lernen in Sichtweite
In unseren Gesprächen benennen viele Kinder die Freiheit, die Weite und den unbegrenzten Raum des Waldes. »Hier können wir in alle Richtungen hinrennen und es ist auch doppelt oder tausendmal so groß wie unser Schulhof«, erzählt eines von ihnen. Von einem anderen erfahren wir: »Hier findet man Verstecke und so was anderes, aber im Klassenzimmer findest du nichts, und hier kann man auch mehr spielen.« Sie schätzen es, den Abstand zu den Mitschüler:innen individuell festlegen und überhaupt, sich einen eigenen Raum kreieren zu können, um ihre Aufgaben ungestört zu bearbeiten: »Manchmal sollen wir halt alleine oder zusammen oder zu viert was machen und man darf sich ja auch aussuchen, wo man hingeht.« Die Kinder haben »freie Bahn«. Abgesehen von der Regel, in Sichtweite der Klassenlehrerin zu bleiben, sind ihrer Fantasie und Kreativität keine Grenzen gesetzt. »In der Schule lernt man mit Tafel und mit Tischen«, im Wald auf abgesägten oder entwurzelten Baumstämmen. »Im Wald lernt man, aber man lernt anders«, fasst ein Kind die in die Natur eingebettete Lernform pointiert zusammen. Die Kinder berichten, wie sie sich auspowern. Ihnen gefällt, »dass es halt auch Sport ist« und für alles viel mehr Platz ist, »weil es mal was anderes ist als in so einem engen kleinen Raum im Klassenzimmer.«
Die Student:innen Lina Immesberger, Hanna-Sophie Knab, Lili Lehmann, Helen Lieboner, Leonie Morlok, Diana Oliveira Salazar Teixeira, Özlem Özcelik, Roman Pichler, Diana Sommer und Lilli Warda führten im fünften und sechsten Semester an der Fakultät Sozialwesen der Hochschule Mannheim unter Anleitung von Marion Baldus das Lern- und Forschungsprojekt »Gespräche führen mit Kindern« durch, auf dessen Basis der vorliegende Beitrag entstand. Marion Baldus ist Professorin für Pädagogik und Heilpädagogik/Inclusive Education an der Hochschule Mannheim und Integrative Therapeutin in freier Praxis.
Kontakt
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2022 lesen.