Schwierige Strukturen gemeinsam im Team überwinden
Wenn sich pädagogische Fachkräfte gegenüber Kindern im Kita-Alltag verletzend verhalten, ist man als KollegIn manchmal erschrocken und hilflos. Was aber können wir tun, wenn Fachkräfte in unseren Augen Grenzen überschreiten und wir uns gleichzeitig selbst in einem Spannungsfeld von Macht und Ohnmacht bewegen? Wie kann es dabei gelingen, dennoch in einem respektvollen Dialog zu bleiben? Die Professorin für Frühkindliche Bildung Regina Remsperger-Kehm hat dazu gemeinsam mit Astrid Boll geforscht. In diesem Beitrag stellt sie, ausgehend von den Forschungsergebnissen, erste Handlungsstrategien vor. Sie sollen Kita-Teams bei ihrem Austausch und ihrem gemeinsamen Weg eine Unterstützung sein.
Angetrieben und motiviert durch die Berichte von Studierenden über ihre Erfahrungen in der Kita-Praxis untersuchten wir im vergangenen Jahr, welche Formen des verletzenden Verhaltens pädagogische Fachkräfte im Alltag beobachten oder gar selbst ausüben. Uns interessierte, wie die Befragten damit umgehen, wenn KollegInnen oder auch sie selbst sich Kindern gegenüber verletzend verhalten. Mit welchen Gefühlen sind die Fachkräfte konfrontiert, wenn sie einen mitunter auch machtvollen Umgang mit Kindern erleben? Welche Ursachen vermuten sie und welche Handlungsempfehlungen geben sie, um ein verletzendes Verhalten Kindern gegenüber zu vermeiden? Sowohl für die Befragten als auch für uns als Forschende war es nicht leicht, sich dieser brisanten Thematik zu stellen. Während unserer Forschungsarbeit durften wir jedoch erleben, wie viel sich bewegt, wenn wir über Themen ins Gespräch kommen, die zunächst sehr schmerzhaft sind.
Macht demonstrieren
In unserer Studie berichteten die befragten Fachkräfte ausführlich und zum Teil sehr bewegt darüber, dass sie verletzendes Verhalten gegenüber Kindern im Alltag erleben. Meist schilderten die Fachkräfte subtile und eher unterschwellige Formen des verletzenden Verhaltens, die von den KollegInnen manchmal gar nicht erst wahrgenommen werden.
In selteneren Fällen beobachteten die Befragten jedoch auch Formen beträchtlicher verbaler und körperlicher Machtausübung gegenüber Kindern. Diese sind deutlich nach außen sichtbar: Kindern wird bewusst Angst gemacht und sie werden angeschrien. Nach Angaben der Befragten findet die Demonstration von Macht vor allem in Situationen statt, die die Grundbedürfnisse von Kindern betreffen. Beispielsweise werden Kinder beim Essen fixiert. Wenn sie sich dennoch bewegen und etwas zu Boden fällt, werden sie angeschrien. Andere Kinder werden laut den befragten Fachkräften beschimpft, wenn sie einnässen, wieder andere werden »zum Einschlafen auf der Matratze mit dem Arm fixiert«.
Die von uns ausgewerteten Interviewpassagen erwecken den Eindruck, dass sich Fachkräfte verletzend verhalten, um Kindern zu zeigen, wer die oder der Stärkere ist: »Das Kind, von dem sie berichtete, musste über eine Stunde vor dem Teller sitzen und das Essen bis zum buchstäblichen Erbrechen in sich hineinwürgen.« Laut der Befragten nehmen sich einige Fachkräfte das Recht zur Machtausübung und halten dies auch für richtig: »Viele Erwachsenen sind es gewohnt, die ungleichen Machtverhältnisse für sich zu nutzen, um schneller und ohne große Diskussionen ihr Ziel zu erreichen.« Durch die Ausübung von Macht sollen Kinder offenbar gefügig gemacht werden. Ein machtvolles verletzendes Verhalten kann dabei auch mit der Entwürdigung von Kindern einhergehen: »Die Kollegin nahm den Jungen am Arm, setzte ihn auf den Stuhl und ›kippte‹ diesen Stuhl samt dem Jungen um. Er hat sich nicht körperlich verletzt, man sah ihm aber die Demütigung deutlich an.«
Sich selbst ohnmächtig fühlen
Während Kinder bei der Machtausübung von pädagogischen Fachkräften zwangsläufig in einer ohnmächtigen Position sind, empfinden auch die befragten Fachkräfte Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht, wenn sie erleben, dass sich KollegInnen Kindern gegenüber verletzend verhalten: ›Zu Beginn war ich überfordert mit der Situation, ich war neu im Beruf und wusste nicht, wie und bei wem ich diese »Launen« ansprechen sollte. Ich fühlte mich hilflos und allein gelassen mit ihr in der Gruppe.‹ Darüber hinaus ist Ohnmacht gepaart mit Unverständnis und Fassungslosigkeit: »Ich war einfach baff und teilweise sprachlos, wie bspw. nicht reagiert werden kann, auf ganz offensichtliche Situationen.« Können Fachkräfte das verletzende Verhalten von KollegInnen nicht verhindern, fühlen sie sich verzweifelt und machtlos: »Das Schlimmste aber ist das Gefühl, dass ich weiß, was gerade hier passiert, ich weiß, was es auslösen kann und ich fühle mich als seien meine Hände gebunden – da ich ›nur‹ eine Praktikantin bin ohne professionelle Einsicht und Meinung.« Ohnmacht ist somit auch dadurch gekennzeichnet, nicht handeln zu können. Die Fachkräfte scheinen gefangen in einer Situation und erleben die eigene Machtlosigkeit.
Dr. Regina Remsperger-Kehm ist Professorin für Frühkindliche Bildung an der Hochschule Fulda mit den Arbeits- und Forschungsschwerpunkten Fachkraft-Kind-Interaktionen, Begleitung der Bildungsprozesse von Kindern, Kinderrechte, Kinderschutz, Gesundheitsförderung und Qualitätsentwicklung in der Frühen Bildung.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/2022 lesen.