Von der Co-Regulation zur Selbstregulation (Teil1)
Krisen sind Teil des Lebens – auch für die Jüngsten. Ihr Kummer ist für uns nicht immer leicht auszuhalten und doch brauchen sie genau das: Erwachsene, die in gutem Kontakt mit sich selbst sind und bleiben, auch wenn’s schwerfällt. Wie wir Babys und Kleinkinder in herausfordernden Zeiten, z.B. der Eingewöhnung, dem Verlust des liebsten Kuscheltieres und auch bei Kummer, der kaum nachvollziehbar scheint, einfühlsam begleiten können und welche Rolle unsere Körperwahrnehmung dabei spielt, weiß Thomas Harms, Körperpsychotherapeut und Autor von »Emotionelle Erste Hilfe« und »Keine Angst vor Babytränen«.
Als Sie in den 1990er-Jahren begannen, körperpsychotherapeutisch mit Babys zu arbeiten, waren das Bild vom Baby als fühlendem Wesen und die Beschäftigung mit Themen wie die sogenannte sanfte Geburt Neuland. Welchem Impuls folgten Sie damals?
Der für mich wichtigste Impuls war das offensichtlich mangelnde Verständnis für die Bedürfnisse und die Sozialität von Babys und Kleinkindern. Als junger Psychologiestudent beeindruckten mich die Erkenntnisse der modernen Säuglings- und Kleinkindforschung – insbesondere die aus der Bindungstheorie, aber auch die aus der Körperpsychotherapie. Sie haben das damalige Bild vom Säugling von Grund auf revolutioniert.
Inwiefern?
Die Forschungen zeigten, dass Säuglinge nicht asozial und inkompetent sind, wie man das gemeinhin annahm, und sie eine wohl ausgebildete Reizleitung für Schmerzerleben haben. Dies stellte die Frage nach dem Umgang mit Säuglingen komplett neu. Bis dahin dachte man, man könne – egal, ob es um früheste Trennungen oder operative Eingriffe ohne Narkosen ging – mit ihnen machen, was man will, ohne ihnen zu schaden. Mich überzeugte die Sichtweise der modernen Säuglingsforschung zutiefst, dass Säuglinge im Gegenteil höchst soziale, interaktive und auf Austausch bedachte, feinsinnige Wesen sind und die ersten Lebensjahre maßgeblich für die Entfaltung der ihnen angeborenen Anlagen. Die Idee, das neue Wissen aus der Bindungstheorie und der Körperpsychotherapie zu verbinden und nachhaltig dorthin zu bringen, wo die ersten Bindungsverletzungen stattfinden – also zu den Babys –, statt deren Folgen erst im Erwachsenenleben zu behandeln, inspiriert mich bis heute.
Der Pionier der modernen Körperpsychotherapie Wilhelm Reich und seine Tochter Eva thematisierten in ihren Arbeiten bereits, dass sich frühkindliche Beziehungsverletzungen in Form von Muskel- und Gewebeverspannungen im Körper verankern. Sie haben diese Erkenntnisse in ihre Arbeit aufgenommen?
Ja, das stimmt. Vor allem Eva Reich, die ich noch persönlich kennenlernte, legte einen Samen in mir an. Sie und ihr Vater erkannten bereits in den 1940er-Jahren die Bedeutung des autonomen Nervensystems für die Selbstregulation und dass sich frühe Erfahrungen von Bindungsverletzung negativ auf die regulatorische Potenz des Kindes auswirken – bis hin zum Verlust der Beziehungsfähigkeit.
Thomas Harms ist Körperpsycho- und Babytherapeut und Autor. Seit drei Jahrzehnten arbeitet er therapeutisch mit bindungsschwachen Babys und Kleinkindern und bildet professionell im frühkindlichen Bereich Tätige aus.
Kontakt
www.thomasharms.org, www.zeppbremen.de
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/2021 lesen.