Die Neugier, mit denen Kinder der Welt begegnen, kann einen positiven Nebeneffekt haben − wenn wir denn richtig zuhören und dazu bereit sind, unseren kleinen GesprächspartnerInnen auf Augenhöhe zu begegnen: Im Dialog mit dem Kind werden wir nachdenklich und entwickeln bisweilen selbst eine neue Sichtweise auf unsere Welt. Man mag es philosophieren nennen oder schlicht ein gutes Gespräch, spannend ist es allemal. Und mit den richtigen Büchern finden wir auch den optimalen Einstieg in den Dialog.
Königin für eine Nacht
Weil Mama ihre Arbeit verloren hat, helfen ihr die Kinder, sie zu suchen. Sie gucken wirklich überall nach, aber die Arbeit bleibt verschwunden − ebenso wie das Lächeln von Mama, die nun immer trauriger und unzufriedener wird. Das ist schade, denn eigentlich freuen sich die drei Kinder, dass Mama nun immer zu Hause ist. Aber sie sollte dabei schon glücklich sein! Gemeinsam überlegen Frida, Ida und Fritzi, was Mama an ihrer Arbeit besonders mochte und haben dabei eine tolle Idee: Kann sie das, was sie liebt, nicht auch zu Hause machen und dabei einen neuen Beruf finden?
Leonora Leitl hat mit feinem Gespür für Sprache und Gefühle eine schwierige Situation ins Bilderbuch gebracht und zeigt zum einen, wie schwer es für Kinder ist, zu verstehen, was vorgeht, wenn dabei Ausdrücke wie »Arbeit verlieren« oder »am Stuhl sägen« verwendet werden, die sie wörtlich nehmen und nicht anders einordnen können. Gleichzeitig aber − und das ist viel wichtiger − zeichnet sie das Bild einer liebevollen Familie, in der alle gemeinsam überlegen, wie Mama wieder glücklich werden kann. Als Biologin liebt sie Pflanzen, und so richten Papa und die Kinder gemeinsam mit Mama eine kleine Gärtnerei im Schuppen hinter dem Haus ein. Als Höhepunkt bringt Papa Mamas Lieblingspflanze mit, einen Kaktus mit dem schönen Namen »Königin der Nacht«. Er blüht nur in einer einzigen Nacht für wenige Stunden; dass diese Blüte passend zur Einweihung erstrahlt, ist ein wunderschönes Symbol für die Hoffnung, mit der die Familie nach vorne schaut.
Arbeitslosigkeit betrifft nie einen Menschen allein, sondern immer die ganze Familie. Leonora Leitls Buch trägt zu mehr Verständnis bei; es hilft, die dummen Kommentare des Nachbarn zu ignorieren und den Mut nicht zu verlieren. Und selbst wenn sich nicht immer ein neuer Beruf finden lässt, zeigt »Königin für eine Nacht« doch, wie wichtig ein optimistischer Blick in die Zukunft und der Zusammenhalt der Familie sind.
Die zweite Arche
Wir kennen fast alle die Geschichte von Noahs Arche. Aber wer weiß schon, dass Noah einen Bruder Alef hatte, der das rettende Schiff knapp verpasst hat und schnell noch eine zweite Arche baute? Eine rettende Unterkunft für all die Lebewesen, die es nicht rechtzeitig auf Noahs Arche geschafft haben?
Dieses Gedankenspiel ist der Ausgangspunkt für Heinz Janischs fantasievolle Geschichte um Einhörner, Greifen, Drachen und Sphingen, die er mit seinem Schiff auf eine Zeitreise bis in unsere heutige Welt bringt. Hier verlassen die Fabeltiere die Arche, beobachtet nur von einem kleinen Mädchen. Sie zerstreuen sich in verschiedene Richtungen und leben verborgen in einer Welt, die ihresgleichen nicht mehr kennt, und sie doch braucht.
Heinz Janisch spinnt in seiner Geschichte einen Traum: Was wäre, wenn es die Wesen aus den Märchen und Sagen tatsächlich gebe? Friedliche Vertreter einer uns verborgenen Welt? Die holzschnittartigen Kratzbilder von Hannes Binder regen zum Nachdenken an: Die letzte Szene zeigt Alef in einem Bus oder einer U-Bahn, in der fast alle Erwachsenen mit ihren Handys beschäftigt sind. Nur Alef und das Mädchen, das die Fabeltiere gesehen hat, blicken uns aus dem Bild entgegen.
Praxistipp: In »Die zweite Arche« steckt so viel, über das wir reden können! Welche Lebewesen sind wohl noch alle auf Alefs Arche gelandet? Die Kinder können sie malen, immer zwei und zwei, und so alle gemeinsam einen Zug auf die Arche gestalten, die man groß aus Pappe ausschneiden und an die Wand heften könnte. Sind auch Dinosaurier und Dodos darunter? Oder kleine Feen und Elfen? Welche fantastischen Tierwesen wünschen sich Kinder in unserer Welt? Und: Wer kann sie heute wohl noch sehen? Die Kinder und die wenigen Erwachsenen, die nach oben schauen? Oder die vielen Menschen, die engen Blickkontakt zu ihren digitalen Geräten halten?
»Wir sind anders als die anderen«, sagen die Tiere, bevor sie sich zerstreuen, »und das ist gut so. Sie brauchen uns.« − Bezieht sich dieser Satz wirklich nur auf Fabeltiere? Auf wen könnte man ihn darüber hinaus noch anwenden und damit die Vorteile von Vielfalt und Andersartigkeit aufzeigen? Ein zauberhaftes Buch, das sich immer wieder lesen und immer wieder neu erfahren lässt.
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/19 lesen.