Filmkunst und Filmbildung für Kindergartenkinder
Die Sozialpädagogin Bettina Marsden arbeitet in der Kita Grüne Soße in Frankfurt a. M., und sie liebt Kino. Als 2013 das Deutsche Filminstitut und Filmmuseum anfragte, ob sie ein Filmbildungsformat für Kindergartenkinder mitentwickeln möchte, sagte sie sofort zu. Inzwischen hat sie ihre Kita in eine Filmkita verwandelt. Gemeinsam mit der Psychologin Susanne Brauer, ihrem »Tandem« vom Deutschen Filminstitut, berichtet sie von der Arbeit mit Kitagruppen im MiniFilmclub.
Die Laterna Magica projiziert ein Bild an die Wand, die Kinder sitzen auf der Erde und hören der Geschichte zu. Früher hatten wir nach dem Mittagessen immer Vorlesezeit. Heute führen wir den Kindern stattdessen hin und wieder einen kurzen Film vor. Dafür nutzen wir gerne die magische Laterne. Bereits vor zweihundert Jahren nutzten Gaukler sie, um auf Marktplätzen Bilder auf eine Leinwand zu projizieren und dazu ihre Geschichten zu erzählen, und auch heute noch bringt die Magie des Lichts Kinder zum Staunen. Sie vertiefen sich in das Gesehene und beginnen meist schon von sich aus Geschichten zu den Bildern zu erzählen.
Noch vor einigen Jahren hatten wir mit dem Thema Film so gut wie nichts am Hut. Die Berührungspunkte beschränkten sich auf einen gelegentlichen Spielfilm für die Hortkinder, ein Video auf YouTube als Bastelanleitung oder eine Momentaufnahme auf dem Smartphone. Wir hatten – ausgelöst durch die zunehmende Digitalisierung und die offene Frage, wie wir diesem Phänomen pädagogisch begegnen könnten – Scheu vor der Flut bewegter Bilder. Das hat sich inzwischen geändert. Seit wir den Aspekt der Filmbildung in unsere Konzeption aufgenommen haben und zur Filmkita wurden, sind bewegte Bilder, das Kino und der Film ein von Team und Kindern gleichermaßen beliebtes Medium.
Ein MiniFilmclub für alle
Mit dem MiniFilmclub ist im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum ein Angebot für vier- bis sechsjährige Kinder entstanden, das von Kitas genutzt werden kann, die sich mit Film als Kunstform beschäftigen möchten und selbst (noch) nicht über die dafür notwendige Ausstattung verfügen. Die Kindergartenkinder können sich hier Experimentalfilme, Kunstfilme, historische Filme, Stummfilme oder Avantgardefilme anschauen. Die angebotenen Filme zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass sie nicht verniedlichend sind und auch nicht eigens für Kinder produziert wurden. Meist erzählen sie keine Geschichte, sondern regen die Fantasie der Kinder an. Kommerziellen Filmen wie »Die Eisprinzessin« oder »Star Wars« begegnen den Kindern in ihrem Alltag zur Genüge. Die gesamte Bandbreite dessen, was Film ausmacht, bleibt ihnen meist verborgen. Die Idee hinter unserer Auswahl besteht darin, die Kinder für die Vielfalt filmischer Formen zu sensibilisieren und ihre Wahrnehmung – in einer Welt der alltäglichen Bilderflut – zu schärfen und herauszufordern.
Übliche Bedenken
Bewegte Bilder in der Kita? Muss das denn sein? Das werden wir, das MiniFilmclubteam, oft gefragt. Unsere Antwort ist »Ja!« und in jedem dieser »Ja’s« schwingt Begeisterung, Abenteuerlust, Neugier und die Erinnerung an magische Kinomomente. Filmbildung bietet Raum für zahlreiche ästhetische Erfahrungen, für das Entdecken einer facettenreichen Kunst, für das Erleben, sich Einfühlen, Identifizieren. Und das vielleicht Beste daran ist, dass wir die Entdeckungen nicht nebeneinander, sondern gemeinsam machen. Filmbildung bietet Kindern die Möglichkeit, sich auf Magisches einzulassen und einen eigenen Geschmack für Kunstformen auszubilden.
Jeder von uns ausgewählte, meist nur wenige Minuten langer Film knüpft an die Lebenswelt der Kinder an. Darin tanzen Farben, es wird mit Steinen gespielt, mit Sand animiert oder mit Tuschelinien experimentiert. Manchmal sagen Kinder, nachdem sie den ersten der Filme gesehen haben: »Das ist ja gar kein richtiger Film.« Doch spätestens, wenn wir nach dem Film in den Werkstatträumen selbst kreativ tätig werden, bricht auch bei ihnen das Eis.
Der Ästhetik des jeweiligen Films folgend malen und kratzen wir auf Blankfilm, ähnlich wie Norman McLaren seinen Film »Begone dull care« auf Zelluloid malte und kratzte. Wir pusten mit Tusche, wie die Oscar-Gewinner Thomas Stellmach und Maja Oschmann in ihrem Experimentalfilm »Virtuos Virtuell«. Im Anschluss an »Rainbowdance« von Len Lye tanzen wir vor einer bunten Projektion und experimentieren mit farbigen Folien auf einem Overheadprojektor. Und nach »Eine kleine Dickmadam« der Sandanimationskünstlerin Alla Churikova streuen wir eigene Sandbilder.
Im Anschluss an diese Kreativeinheit schauen wir den jeweiligen Film mit geschärfter Wahrnehmung ein zweites Mal an. Durch die eigene Auseinandersetzung mit dem Film wird er zugänglicher. Angelehnt an die Reggio-Pädagogik gehen wir davon aus, dass Kinder vor allem dann die Welt (in diesem Fall einen Ausschnitt der Welt – den Film) verstehen wollen und in eine Beziehung zu sich bringen möchten, wenn ein Erfahrungsfeld sie kreuzt. Weil sich die Kinder bei unserem Angebot kreativ mit der Machart des Films auseinandersetzen und auch haptisch mit Material arbeiten, entsteht Berührung und die Möglichkeit eigenes Erleben mit dem Film zu verknüpfen. Die Kinder feuern die zu Musik animierte Tuschelinie an, behandeln sie manchmal wie eine Art Lebenslinie und philosophieren über wichtige und große Dinge wie Leben und Tod, Macht und Ohnmacht, Recht und Unrecht. Gerade durch ihre meist eher abstrakte Gestaltung liefern die Filme keine vorgegebene Geschichte, sondern öffnen einen Freiraum, in dem die Kinder ihre eigene Erfahrungswelt an das Gesehene anbinden können.
Bettina Marsden ist Dipl. Sozialpädagogin und Gruppenanalytikerin. 2012 eröffnete sie für den Sozialpädagogischen Verein zur familienergänzenden Erziehung die Filmkita Grüne Soße in Frankfurt/M. und betreut Kitagruppen, die das Angebot des MiniFilmclubs nutzen.
Kontakt
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/18 lesen.