Wie das Recht auf Spiel meine Arbeit veränderte
Eine Fortbildung zum Thema »Recht auf Spiel« weckte das Interesse der Erzieherin Antje Grübnau, sich dieser Thematik etwas intensiver zuzuwenden. Vieles hat sich verändert, seit sie sich mit dem Thema »Spiel« tiefgründiger beschäftigt und dem selbstbestimmten Spiel einen höheren Stellenwert einräumt. Für Betrifft KINDER beschreibt sie ihre Erfahrungen in der Arbeit mit den Kindern ihrer altersgemischten Gruppe – drei der insgesamt 19 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren sind Integrationskinder – nachdem sie diese über ihre Rechte nicht nur informiert, sondern auch sehr viel dafür ins Rollen gebracht hat, um den Kindern zu ermöglichen, ihre Rechte einzufordern und selbst zu bestimmen, wann, was und wie sie lernen möchten.
Wenn ich mich an meine Lehrzeit von 1986 bis 1989 und an die vielen ersten Jahre meiner Arbeit als Erzieherin erinnere, gehen mir Sätze wie »geplantes und begleitetes Spiel« durch den Kopf und Erinnerungen an zwei- oder vierwöchige Planungen. Dass sogar »Spiel« geplant wurde, empfand ich schon damals als sehr anstrengend. Dieses Vorgehen ließ den Kindern und den ErzieherInnen wenig Raum für spontane, situationsabhängige, eigenständige Entscheidungen und war insofern nicht unbedingt zufriedenstellend für beide Seiten. Diverse festgelegte Zeiten, wie Mittagessen, Mittagsruhe, Vesper, etc., unsere täglichen Beschäftigungsangebote und die Angebote, die von außen in der Kita angeboten wurden, störten Kinder beim Dranbleiben an der Sache.
Nicht selten wurde ihr Spiel unterbrochen, um dem täglichen Aufenthalt im Freien gerecht zu werden. Nach der Aufforderung aufzuräumen, weil wir in den Garten oder spazieren gehen wollten, räumten die meisten Kinder ohne Widerspruch auf, beendeten ihr noch nicht fertiges Spiel, zerstörten ihre Bauwerke und folgten unserer Aufforderung. Obwohl wir oft vereinbarten, dass sie ihre Bauwerke stehen lassen durften, hatten sie nach den anderthalb bis zwei Stunden an der frischen Luft meist keine Lust mehr daran weiter zu bauen und mussten letztendlich doch alles wegräumen, weil ja später der Platz zum Schlafen benötigt wurde.
Wer entscheidet?
Selbstverständlich ist es auch mal sinnvoll, Impulse zu geben, damit die Kinder an weiteren Spielen Interesse haben und vielleicht noch neue Varianten entdecken. ErzieherInnen sollten die von den Kindern gewählte Spielidee jedoch nicht aktiv dominieren. Ihr, durch die UN-Kinderrechtskonvention Artikel 31 gesichertes Recht auf Spiel soll freiwillig und eigenständig ausgeübt werden können und nicht durch Erwachsene angeregt werden, denn sonst wäre es kein selbstbestimmtes freies Spiel mehr.
Hat das nicht auch etwas mit Macht zu tun und wenig mit dem Willen der Kinder, wenn ich entscheide, was, wann, wie, wo und wie lange gespielt wird und wann das Spiel beendet wird? Wer entscheidet, was »Spielen« ist?
Wir alle kennen Sätze wie: »Das ist doch kein Spiel!« oder »Also spielen sieht anders aus!«. Die Vorstellungen, wie ein Spiel auszusehen hat, sind vielfältig und von unseren eigenen Erfahrungen geprägt. In einer Elternversammlung zum Thema Spiel fragte z.B. einmal eine beunruhigte Mutter, deren Kind zu Hause seit Wochen immer nur Autos von einer Rampe herunter fahren lässt, was es denn dabei lerne.
Zusammen mit allen anwesenden Eltern besprachen wir die Situation und stellten fest, dass viele vermeintliche Kleinigkeiten außer Acht gelassen wurden. Zum Beispiel, dass das Kind mit sehr unterschiedlichen Autos spielte. Es gab große und kleine Autos, kleine Autos mit großen Rädern und große mit kleinen Rädern und es gab farbliche Unterschiede. Manchmal ließ das Kind die Autos von unterschiedlichen Höhen abfahren, manchmal beladen, manchmal nicht, manchmal mit Schwung, manchmal ohne, manchmal mit Hindernis vor der Rampe usw.
Beim Analysieren der Situation wurde allen – mich selbst einbegriffen – deutlich, wie viel Lernpotential die vermeintlich einseitige Handlung hat. Und wir stellten alle mal wieder fest, wie wichtig das genaue Beobachten von Handlungen ist. Das Kind hatte offensichtlich Interesse und Spaß an seinem Spiel und vielleicht sammelte es dabei viele Erfahrungen über Eigenschaften wie Fahrverhalten und Geschwindigkeit der verschiedenen Autos und die Auswirkung besonderer Bedingungen. Dieses Erlebnis ließ mich meine eigene Arbeitsweise erneut und von Grund auf reflektieren: Wessen Werte, wessen Regeln, wessen Normen gelten im Spiel? Ich stellte alles in Frage.
Begegnung auf Augenhöhe
In der Folge veränderte sich an erster Stelle meine Beziehung zum Kind. Obwohl ich schon immer eine tragende, vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern hatte, bemerkte ich, dass diese trotz der vorhandenen Fundamente auf ein anderes Level gehoben wurde. Die Begegnung der Kinder auf Augenhöhe hatte noch mehr Bedeutung bekommen und meine Person als Erzieherin war eine andere geworden. Das Spiel der Kinder genauer zu betrachten, um zu erkennen, was das Kind gerade tut und welche Lernthemen dahinter stecken könnten, wurde eine Zeit lang für mich zur Lernaufgabe. Was ich dabei erkannte, bestätigte mich in meinem Vorsatz dem Spiel den Platz einzuräumen, der ihm zusteht. Nicht ich bin es, die Kinder mit Wissen füllt, sondern ihre Neugier, ihr Wille alles zu erforschen und zu entdecken, genauso wie ihr Spaß und ihre Freude an dem, was sie tun.
Ich sehe mich jetzt mehr als unterstützende, helfende Hand, als Ansprechpartnerin. Ich höre den Kindern zu, beobachte, wecke Interesse, besorge Material, plane Projekte mit ihnen und schaffe Bedingungen, damit sie ihrem freien selbstbestimmten Spiel nachgehen können. Und wenn es von den Kindern gewünscht ist, bin ich manchmal selbstverständlich auch ihre Mitspielerin.
Auf die Probe gestellt
Nachdem ich den Kindern in einem Gesprächskreis von ihrem Recht auf Spiel erzählte und ihnen erklärte, über welche Entscheidungsfreiheit sie verfügen, begannen einige von ihnen sofort, andere zögerlich, ihre Rechte einzufordern und testeten auf verschiedene Weise aus, wie ernst es mir damit war.
Ist es nur eine Laune? Sind es nur Worte oder kann man mir vertrauen? Sind die Regeln fest verankert oder sind es Regeln nach meinem persönlichen Belieben? Was passiert, wenn ich Bedürfnisse mitteile? Was passiert, wenn ich »Nein« sage? All das probierten die Kinder nun aus. Damit stellten sie mich auf eine harte Probe und obwohl die Kinder bei mir schon vorher wenige Regeln und viel Freiraum hatten, musste ich meine eigenen Bedürfnisse in einigen Punkten noch weiter zurückschrauben.
Antje Grübnau ist Integrationserzieherin und Multiplikatorin für Kinderschutz. Sie arbeitet in einer Einrichtung der Kindergärten NordOst – Eigenbetrieb von Berlin.
Kontakt
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/18 lesen.