Wie ein Igel hilft, Entscheidungen zu treffen
Entscheidungen zu treffen, kann schwierig sein. Gerade wenn es viele sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Erst wird gestritten und dann wird abgestimmt. Doch am Ende ist immer jemand traurig oder wütend. Die Kinder einer Kitagruppe gehen erstmals einen anderen Weg. Einen, bei dem es keine VerliererInnen gibt. Welche Erfahrungen sie bei der Einführung dieses Weges in ihrer Kita machte, berichtet die Erzieherin Kerstin Weislmeier ihrer Weiterbildnerin Adela Hurtado Mahling.
In der Kita ist heute Draußentag und die Sternenkinder dürfen wie immer selber entscheiden, wohin sie gehen wollen. Gar nicht einfach, bei einer altersgemischten Gruppe von zweieinhalb bis sechs Jahren. Weil die Kinder unterschiedliche Vorstellungen haben, was sie besuchen wollen, sammelt Kerstin, die Erzieherin, ihre Ideen und malt für jede ein kleines Bild: Einen Fluss, den Wald, den großen und den kleinen Spielplatz.
Kerstin ist eine partizipative Haltung wichtig. Deswegen hat sie sich für eine Kita entschieden, die demokratische Prinzipien in ihrer Satzung verankert hat. Bisher hat sie abstimmen lassen: Wer ist für den Wald? Wer für den großen Spielplatz? Dann hat sie die Hände gezählt. Vier waren dann z.B. für den Wald, drei wollten lieber zum großen Spielplatz, drei zum Fluss und zwei zum kleinen Spielplatz. Also gewannen vier Kinder und acht verloren. Kerstin fiel bei dieser Art der Abstimmung auf, dass Adams Hand oft nach oben ging, sobald auch Florian dafür war. Ob Adam dann aber wirklich immer wollte, was Florian wollte, bezweifelt sie. Der kleine Hans hingegen wirkte oft zu überwältigt vom Geschehen, um wirklich zu äußern, was er selbst wollte. Ihn machte das lautstarke Werben für den eigenen Vorschlag seiner SpielkameradInnen eher still.
Heute will Kerstin es anders machen. Die Idee dazu hat sie von einer Fortbildung am Wochenende. Als erstes fängt sie an, über den Igel zu erzählen. Einen Igel? Ja, den kennen alle Kinder. An sich ein friedliches Tier. Wenn er jedoch etwas nicht mag, stellt er seine Stacheln auf. Wird es ganz arg für ihn, stehen alle Stacheln weit ab. Die Kinder verstehen das und heben mitfühlend auch ein paar ihrer Stacheln – also ihrer Finger. Nun holt Kerstin Steckbretter, also diese Bretter mit Löchern, in die die Kinder normalerweise kleine bunte Stäbchen stecken können. Jedem Bild ordnet Kerstin eines der Steckbretter zu.
Kerstin fragt als erste Florian: »Wenn wir heute auf den Spielplatz gehen: Würde dein Igel seine Stacheln ein bisschen aufstellen?« Dazu schiebt sie eine Hand nach vorne, die Finger ein bisschen gespreizt. »Würde der kleine Igel alle Stacheln aufstellen, weil er heute ganz und gar nicht auf den großen Spielplatz gehen mag?« Sie schiebt beide Hände nach vorn, alle Finger weit gespreizt. »Oder würde er seine Stacheln ganz eng anlegen, weil es ihm gut damit geht, dorthin zu gehen?«
Auf sich selbst hören
Florian überlegt ein bisschen und zeigt dann seine Stacheln, indem er seine Hand nach vorn schiebt. Kerstin steckt nun für diese eine Hand ein Stäbchen in das Steckbrett für den Spielplatzbesuch. Dann fragt sie Florian, wie es seinem Igel gehen würde, wenn sie in den Wald gingen. Florian presst beide Hände eng an sich. Er möchte in den Wald. Kerstin hebt nun das Bild mit dem Fluss hoch und fragt erneut: »Wie ginge es dem Igel, wenn wir dorthin gingen?« Sie hat noch nicht zu Ende gesprochen, da schnellen beide Hände vor, alle Finger weit gespreizt. Kerstin steckt für jede der vorgeschnellten Hände ein Stäbchen in das dazugehörige Steckbrett. Und der kleine Spielplatz? Florian hält kurz inne und drückt dann beide Hände wieder an seine Brust: der kleine Spielplatz ist auch ok. Also Kein Stäbchen in das Steckbrett für den kleinen Spielplatz.
Nun widmet sie sich Matilda und stellt ihrem inneren Igel die gleichen Fragen, steckt erneut ein Stäbchen in das Steckbrett, wenn Matildas Hand hochgeht, oder zwei, wenn sie beide Hände hebt. Es dauert natürlich seine Zeit, bis sie alle Kinder einzeln gefragt hat. Doch am Ende ist das Ergebnis klar. Die Kinder sehen, dass sich beim Igel für den großen Spielplatz die wenigsten Stacheln aufgestellt haben und es leuchtet ihnen damit auch irgendwie ein, dass sie das dann machen: Mit dem großen Spielplatz ist die Igelfamilie am zufriedensten. Los geht’s.
Beim nächsten Draußentag wiederholt Kerstin das Igelspiel und fragt wieder jedes Kind einzeln ab. Der kleine Adam schaut zunächst verunsichert im Raum umher, um sich zu orientieren, beispielsweise am großen Florian. Doch Kerstin ermuntert ihn, auf seinen Igel zu hören und nach kurzem Zögern und Überlegen, schiebt er bei den einzelnen Vorschlägen seine Hände vor oder zurück.
Anderntags, es ist nun das vierte Mal, holt Kerstin wieder die Steckbretter aus dem Regal. Diesmal soll es darum gehen, welches Buch sie zuerst vorliest. Wieder sammelt sie die Vorschläge aller. Dafür nimmt sie die Bücher entgegen, die ihr die Kinder bringen und legt sie zu den Steckbrettern. Nun wissen alle Kinder schon, wie es geht und Kerstin braucht sich nicht mehr jedem Kind einzeln zu widmen. Stattdessen fragt sie alle gleichzeitig zu jedem einzelnen Buch und die Kinder halten ihre Hände freudig nach vorn. Kerstin zählt und steckt die entsprechende Zahl an Stäbchen ins Brett.
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Dipl.-Päd. Adela Hurtado Mahling ist Moderatorin und Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation, Globales Lernen und partizipatives Entscheidungsmanagement. Mit den Konsenslotsen gibt sie deutschlandweit Seminare zum Systemischen Konsensieren. Sie lebt in Berlin mit Mann und ihrem kleinen Sohn.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/18 lesen.