Menschen, Räume, Werkstattträume
Das Entstehen einer Werkstattkita ist ein einzigartiger Prozess. Unterschiedlichste räumliche Voraussetzungen wollen berücksichtigt und pädagogische Haltungen reflektiert werden. Marion Tielemann, Fachberaterin und Gründerin der ersten Modell-Werkstattkita beantwortet in dieser Reihe oft gestellte Fragen zur Werkstattkita und beschreibt – zusammen mit den Kitaleitungen – gemeisterte Herausforderungen.
Krippenkinder sind aktuell ein großes Thema in der deutschen Kitalandschaft. Es gibt viele Krippenneugründungen und bestehende Kitas, die vermehrt Krippenkinder aufnehmen. Gerade für Einrichtungen, die nach dem offenen Konzept arbeiten, stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Auch für die Werkstattkitas.
Im vorangegangenen Beitrag dieser Serie wurde am Beispiel der Kita St. Norbert darüber berichtet, wie die Entwicklungsbedürfnisse der Elementarkinder weiterhin befriedigt werden können, wenn Krippenkinder dazu kommen. In diesem Beitrag wenden wir uns den Krippenkindern selbst zu. Wie sollte ihre Umgebung aussehen, damit sie sich wohlfühlen? Um das Wichtigste gleich vorwegzuschicken: Für Krippenkinder von ein bis zwei Jahren ist das offene Konzept nicht geeignet und sie brauchen auch noch keine Werkstätten, sondern geschützte Räume und verlässliche Beziehungen!
Den Prozess einer gelungenen Integration von Krippenkindern in eine, nach dem offenen Konzept arbeitende Einrichtung konnte ich in der Kita Otto-Hahn-Straße im schleswig-holsteinischen Bargteheide beobachten. Die Anfang 2014 gegründete Einrichtung wird von zwei Frauen geleitet, die sich großartig ergänzen. Die Kompetenz Christine Lochters liegt im administrativen Teil der Leitungsarbeit. Als Leiterin trägt sie die Gesamtverantwortung, behält in allen Angelegenheiten den Überblick und vertritt die Kita nach außen. Die Kompetenz ihrer Stellvertreterin Frau Judith Muras-Tan liegt in der Begleitung des Teams bei der praktischen Umsetzung des pädagogischen Konzeptes.
Zaungast sein
Frau Muras-Tan arbeitete nach ihrer Fachschulausbildung im Jahr 2001 einige Jahre als Erzieherin in der von mir gegründeten Model-Werkstattkita »KitaBü«. Weil ich ihren lebendig-kritischen Geist, ihre Kompetenz in der Arbeit mit dem offenen Konzept und ihre künstlerische Begabung, die sie von Kindheit an pflegt, sehr schätzte, war ich gespannt darauf zu erfahren, wie sie ihre Vorstellungen über die praktische Arbeit mit Kindern in der Otto-Hahn-Straße umsetzen wird. Insofern war ich bei diesem Entstehungsprozess keine beauftragte Prozessbegleiterin, sondern ein gern gesehener Zaungast.
Ihre Entscheidung, einige Möbel selbst zu entwerfen und von einem Tischler bauen zu lassen, fand ich großartig. Die Garderoben, die teils mit Türen versehen sind und mit Regalen, in denen jedes Kind ein Körbchen für seine persönlichen Dinge hat, sind die besten, die ich je gesehen habe und wurden inzwischen sogar von etlichen anderen Kitas nachgebaut.
Auch dass zur Eröffnung im Elementarbereich ausschließlich Anmeldungen von Kindern um die drei Jahre vorlagen, war in gewisser Hinsicht ein Segen, denn es mussten nicht sofort Materialien für alle Altersgruppen angeschafft werden. Das Angebot konnte mit den Kindern mitwachsen und schon drei Jahre später waren alle Werkstätten mit vielfältigen Materialien für die Bedürfnisse der Altersgruppen zwischen drei und sechs Jahren ausgestattet.
Eine große Herausforderung bedeutete jedoch für alle der Aufbau der beiden Krippengruppen. Weder das Leitungsteam noch die Erzieherinnen verfügten über Berufserfahrungen in Krippen. Deshalb war es gut und richtig – gerade in der Anfangszeit, als besonders viele Eingewöhnungen gleichzeitig zu bewältigen waren – erst einmal ganz klassisch nach dem geschlossenen Konzept zu beginnen. In herausfordernden Zeiten mit noch unbekannten Arbeitsfeldern ist eine geschlossene Gruppe immer von Vorteil. Allein die Tatsache, dass die für die jeweilige Gruppe zuständigen ErzieherInnen im selben Raum arbeiten, erleichtert die gemeinsame Reflexion erheblich.
Ähnlich wie die Materialien mit den Dreijährigen mitwuchsen, jedoch auf eine ganz andere Weise, entwickelte und wandelte sich auch die Krippe in ihrem Tempo. Weil Krippenkinder ihre Beschäftigung sehr viel häufiger wechseln und Farben oder Matsch mit zu den von ihnen bevorzugten Materialien gehören, wurde z.B. das von beiden Krippengruppen genutzte MINI-Atelier nach einiger Zeit näher an das ebenfalls gemeinsam genutzte Badezimmer verlegt.
Trotz einiger Rückschläge durch Krankschreibungen und Personalwechsel bewältigten das Leitungsteam und die in der Krippe arbeitenden Erzieherinnen feinfühlig und mit viel Geduld und Ausdauer die anfänglichen Unsicherheiten und fanden in knapp drei Jahren einen guten Weg zur Arbeit im halboffenen Konzept.
Die Öffnung wird von den Krippenkindern selbst intuitiv eingeleitet. Die wichtigste Aufgabe der Erzieherinnen ist, zu erkennen, wann welches der Krippenkinder durch sein Spiel signalisiert, auch die Welt außerhalb des Gruppenraumes erkunden zu wollen. Wann dieser Zeitpunkt da ist, kann in keiner Entwicklungstabelle nachgeschlagen werden, denn dieser ist sehr mit der individuellen Persönlichkeit der kleinen Menschen verbunden.
Marion Tielemann, Leiterin des Instituts für pädagogische Kompetenz, Fachberaterin und Reggio-Anerkennungsbeauftragte, gründete Anfang der 1990er-Jahre die erste Modell-Werkstattkita »KitaBü« in Schleswig-Holstein und hat unzählige Kitas auf dem Weg, selbst eine Werkstattkita zu werden, unterstützt.
Kontakt
Die Kita Otto-Hahn-Straße im schleswig-holsteinischen Bargteheide wurde am 1. Januar 2014 eröffnet. Aktuell betreuen zwölf Erzieherinnen 60 Elementarkinder nach dem offenen und 20 Krippenkinder nach dem halboffenen Konzept.
Kontakt
www.kitas-nord.de
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05/17 lesen.