Ein Diskurs zur Resilienzförderung
Wenn auf PowerPoint-Folien Stehaufmännchen und Felsen in der Brandung auftauchen, ist das Trendthema Resilienz meist nicht fern. Doch was wird durch die Rufe nach mehr Widerstandskraft erreicht – und was vielleicht sogar überdeckt? Andreas Wiere, Projektleiter des sächsischen Programms KINDER STÄRKEN, erörtert dies in einem kritischen Diskurs.
Wir befinden uns auf einer fiktiven kleineren regionalen Fachtagung zum Thema »Resilienz«, die sich aus realen Erfahrungen des Autors als Referent und Teilnehmer solcher Veranstaltungen und darüber hinausgehenden Reflexionen speist. Die Tagung wendet sich einer wichtigen und relevanten Fragestellung angesichts der Tatsache zu, dass in etli-chen großstädtischen Kitas in sogenannten sozialen Brennpunkten nur lediglich 10 Prozent der dort betreuten Kinder keine Entwicklungsauffälligkeiten haben2: »Wie kann mit Risiken und Folgen von Armut und prekären Lebenssituationen umgegangen und wie können benachteiligte Kinder in ihrer Entwicklung besser gefördert und unterstützt werden?« Die PowerPoint-Präsentation des Referenten öffnet sich, und sobald Pippi Langstrumpf, ein Stehaufmännchen, ein dem Sturm strotzender Baum oder ein Löwenzahn, der gelb leuchtend durch eine graue Asphaltdecke bricht, zu sehen sind, wissen alle: Es geht um Resilienz.
Resilienz – ein leuchtend gelber Löwenzahn?
Dem Begriff Resilienz nähert sich der Referent über die o.g. Kinderbuchfigur an und definiert ihn zusammengefasst als psychische Widerstandskraft gegenüber Belastungen und Krisen. Es folgt die Herleitung und Einordnung des Begriffs über Emmy Werners »Children of Kauai« (1971), einer Längsschnittstudie auf einer Hawaiianischen Insel in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Hier fiel auf, dass es Kinder und Jugendliche gab, die trotz sehr riskanter Bedingungen des Aufwachsens keine psychischen Schäden davontrugen und sich zu verantwortlichen Gesellschaftsmitgliedern entwickelten. Diese Kinder wurden als resilient, im Sinne psychischer Widerstandsfähigkeit bezeichnet. Es wird sodann gefragt, woran es liegen könnte, dass sich Kinder trotz widriger Lebensumstände, Belastungen und Risiken als resilient im o.g. Sinne erweisen bzw. welche Faktoren hierzu beitragen. Diese Frage wird mithilfe der sogenannten Schutzfaktoren beantwortet.
Diese personalen (v.a. Persönlichkeitsmerkmale sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kindes) und sozialen (familiale und institutionelle) Schutzfaktoren bzw. Ressourcen sollen dafür sorgen, dass sich die Wahrscheinlichkeit von Resilienz, also die psychische Widerstandsfähigkeit und Risikobewältigung, erhöht. Unter den sozialen Schutzfaktoren bzw. Ressourcen werden in der Literatur u.a. auch familienbezogene genannt, z.B. stabile Bezugsperson, familiärer Zusammenhalt, kindzentrierter Erziehungsstil, konstruktive Kommunikation, anregendes Bildungsniveau der Eltern, hoher sozio-ökonomischer Status.3
Kompetenzimpfung für alle?
Es gibt eine erste Zwischenbemerkung: Wenn es Kindern aber gerade aufgrund von Risiken im sozialen Umfeld (z.B. anregungsarmes, kriminelles Wohnumfeld, soziale Isolation, Zurückweisung in der Kita) oder aufgrund von riskanten materiellen und nicht-materiellen familiären Situationen (z.B. Armut, Schulden, von der Alltagsgestaltung überforderte Eltern, aggressives Familienklima, geringe soziale und kulturelle Kompetenzen der Eltern) nicht gut geht bzw. ihre Entwicklung gefährdet erscheint, was dann? Dieser Einwand passt perfekt zur Vortragschoreographie. Jetzt wird nämlich auf die »personalen Schutzfaktoren« des Kindes selbst geschaut und gefragt: Was macht die Kinder aus, die sich angeblich aus eigener Kraft erfolgreich gegen die widrigen Umstände ihres Aufwachsens zur Wehr setzen? Es werden zum einen ihre Persönlichkeitseigenschaften (z.B. ein positives Temperament, physische Attraktivität, intellektuelle Fähigkeiten, wie z.B. Auffassungsgabe, aber auch das weibliche Geschlecht sowie der Status als Erstgeborene/r) aufgeführt und zum anderen die erworbenen bzw. erwerbbaren Kompetenzen, die dem Kind zur Verfügung stehen, um Krisen und bedrohliche Lebenssituationen zu bewältigen.
Die Literatur zum Thema Resilienz4 nennt vor allem einsetzbare Fähigkeiten der Problemlösung, hohe soziale Kompetenz, aktives und flexibles Bewältigungsverhalten, Kreativität, Selbstwirksamkeitsüberzeugung, ein positives Selbstkonzept, anwendbare Fähigkeiten zur Selbstregulation, aber auch körperliche Gesundheit und sicheres Bindungsverhalten (Gestaltung von Nähe und Distanz zu anderen Personen). Kompetent gleich resilient. Vor allem auf die Förderung von personalen Bewältigungskompetenzen bezieht sich dann auch ein strukturiertes Präventions- und Resilienzförderprogramm für Kitas5, das auf sechs sogenannte Resilienzfaktoren setzt, die bei Kindern gefördert werden sollten: Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbststeuerung, Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenzen, Stressbewältigung und Problemlösen. Neben der – prinzipiell auch ohne das Resilienzkonzept sehr sinnvollen und gezielten – Förderung der personenbezogenen Kompetenzen ist, so der Vortragende weiter, aber auch (mindestens) eine verlässliche, dem Kind zugewandte, erwachsene Bezugsperson für dessen Entwicklung trotz widriger Umstände bedeutsam. Kinder, so heißt es im Resilienzdiskurs, brauchen vor allem Liebe und Vertrauen, Hoffnung und Autonomie, sichere und verlässliche Beziehungen, liebende Unterstützung, Selbstvertrauen, den Glauben an sich selbst und ihre Welt6.
2 Ergebnis einer kita-internen Untersuchung von 74 Kindern nach Laewen H. J. (o.J.): Grenzsteine der Entwicklung – Ein Frühwarnsystem für Risikolagen. Auf: Homepage des Landes Brandenburg, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport; Stichwort: Grenzsteine
3 Vgl. Zander M. (2010): Armes Kind – starkes Kind? Die Chance der Resilienz. Wiesbaden, S. 39
4 Vgl. z.B. ebenda; Zander M. (Hrsg.) (2011): Handbuch Resilienzförderung. Wiesbaden; Wustmann C. (2004): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Weinheim
5 Fröhlich-Gildhoff K., Dörner T., Rönnau-Böse M. (2012): Prävention und Resilienzförderung in Kindertageseinrichtungen (PRiK) – Ein Förderprogramm. München
6 Vgl. Grotberg, E. H. (2011): Anleitung zur Förderung der Resilienz von Kindern – Stärkung des Charakters. In: Zander (2011), S. 54
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05/17 lesen.