Ein Elefantenbuch aus Malaysia
Jüngeren Kindern, aber auch älteren Kindern, die wenig literarische Vorerfahrungen haben oder sich die deutsche Sprache gerade erst aneignen, machen Bilderbücher Spaß, wenn diese eine einfache, für sie durchschaubare Handlung haben. Kettengeschichten gelingt das durch das Stilmittel der Wiederholung. Jochen Hering stellt ein Kettengeschichten-Buch vor – samt Ideen, wie man Kinder dafür begeistern kann.
Wer hat den roten Ball? ist ein Papp-Bilderbuch für die Jüngsten (U3). »Das ist nicht mein Ball«, stellt zu Beginn der rote Elefant fest. »Das ist ein blauer Ball. Er gehört dem blauen Elefanten.« Wir blättern um und haben den blauen Elefanten vor uns, der allerdings mit einem gelben Ball spielt. Sein Kommentar lautet: »Der gelbe Ball ist nicht von mir ... Hallo gelber Elefant, hier ist dein gelber Ball.«
Das Buch der bunten Elefanten
So setzt die Kettengeschichte sich mit immer ähnlichen Kettengliedern fort. Der gelbe Elefant würde gern wissen, wem der grüne Ball gehört, mit dem er gerade spielt. Dem grünen Elefanten gefällt der orangene Ball nicht. Und der bunte Ball, mit dem der lila Elefant vergnügt spielt, gehört – natürlich – dem kunterbunten Elefanten. Und jetzt kehrt die Geschichte an ihren Anfang zurück, denn der kunterbunte Elefant, der einen grauen Ball auf dem Rüssel balanciert, »weiß, wer den Ball des roten Elefanten hat«. Es ist, wie sich im letzten Bild herausstellt, der graue Elefant. Die Geschichte endet hier offen mit einem Bild des grauen Elefanten, der den roten Ball mit dem Rüssel festhält. Wird er ihn an den roten Elefanten vom Beginn der Geschichte weitergeben?
Worum geht es in der Geschichte? Für kleinere Kinder symbolisieren die Farben hier einen anschaulichen und nachvollziehbaren Zusammenhang. Die jeweiligen Farben stehen für Zusammengehörigkeit. Die Elefanten möchten mit gleichfarbigen Bällen spielen, einmal heißt es sogar Der orangene Ball gefällt dem grünen Elefanten nicht. Es ist nicht unproblematisch, ein äußerliches Attribut – Farbe – zum Symbol für Zusammengehörigkeit und Zustimmung zu machen.
Die verschiedenfarbigen Elefanten gehen allerdings ausgesprochen freundlich mit dem jeweils Andersfarbigen um. Man reicht von Seite zu Seite dem nächsten Elefanten in der Kettengeschichte den zu ihm passenden Ball zu. Alle helfen bei der Suche nach dem für jeden »richtigen« Ball. Das spiegelt einen toleranten Umgang im Kontext von Vielfalt. Der positive Blick auf Vielfalt kann außerdem in der Arbeit mit diesem Bilderbuch unterstützt werden, wie dies auch unten im Abschnitt »Die Geschichte im szenischen Spiel umerzählen« vorgestellt wird.
Auf der linken Seite haben wir jeweils den Text, rechts dazu den Elefanten, der gerade spricht. Mit einer Ausnahme: Der kunterbunte Elefant, der die Geschichte auflöst, ragt in die linke Bildseite hinein.
Links oben sind auf jeder Seite auf einer kleinen Leiste die bisher beteiligten Elefanten aufgemalt. Links unten finden wir in Reihe die Bälle aus der Geschichte. Der letzte Ball, der Ball, den auch der Elefant gerade gefunden hat, verweist dabei immer schon auf den Elefanten, der erst auf der nächsten Seite zu sehen sein wird. Das erlaubt den BetrachterInnen die Vorwegnahme des Geschehens auch ohne Kenntnis des Textes.
Die Bilder sind auf das Wesentliche reduziert und die Geschichte kommt mit einfachen Sätzen aus: Das ist nicht mein Ball. Das ist ein roter Ball. Der gehört dem roten Elefanten.
Arbeitsideen zum Bilderbuch
Die Geschichte zu Ende erzählen
Das offene Ende der Geschichte fordert zum Weitererzählen auf. Was fällt den Kindern als Fortsetzung ein? Hier zeigt sich, inwieweit sie die friedvolle Stimmung des Buches und die Freundlichkeit der Elefanten untereinander aufgreifen oder ob sich bei einigen die Lust an Streit und Besitzverhalten durchsetzt.
Miterzählen
Nach den ersten Seiten kann das Schema der Kettengeschichte von den Kindern schon durchschaut werden. Sie können von sich aus oder unterstützt von einfachen Impulsen (Was ist das für ein Elefant? Was ist das für ein Ball? Was sagt der Elefant? Was passiert auf der nächsten Seite?) die Geschichte leicht mit- und weitererzählen.
Eigene Kettenglieder erfinden
Die Kinder denken sich ein eigenes Kettenglied aus (einen silbernen, goldenen, karierten usw. Elefanten) und gestalten eine entsprechende Seite. Dabei ist zu beachten: Die Position der neuen Seite entscheidet über das, was links im Bild auf den Bildleisten (kleine Elefanten, Bälle) zu sehen ist.
Die Geschichte szenisch nachspielen
Ein Elefant als Stabfigur, dazu eine Reihe bunter Bälle – und schon kann die Geschichte nachgespielt werden. Die vereinfachte, beinahe schon ritualisierte Sprache (Das ist nicht mein Ball. Dieser Ball ist ... Dieser Ball gehört dem .... Elefanten) und das einfache Erzählschema machen das Spiel auch für die Sprachförderung geeignet.
Die Geschichte im szenischen Spiel umerzählen
Wir haben jetzt eine ganz andere Gruppe von Elefanten vor uns. Diese Elefanten finden einen Ball, der die gleiche Farbe hat wie sie, langweilig. Sie wünschen sich eine andere Farbe. Die Kettengeschichte folgt jetzt einem anderen Aufbau. Die Elefanten stehen in einer Reihe. Vor ihnen liegen die Bälle.
Elefant 1: Der rote Elefant schaut den roten Ball an. »Ein roter Ball, langweilig. Der sieht ja aus wie ich. Ich möchte lieber einen blauen Ball. Er spricht den blauen Elefanten an: Kann ich den blauen Ball haben?
Elefant 2: Der blaue Elefant nimmt den blauen Ball, gibt ihn dem roten Elefanten. Hier hast du den blauen Ball. Ich hätte lieber den ... Ball. Er spricht den entsprechenden Elefanten an: Kann ich den ... Ball haben?
Elefant 3: Nimmt den entsprechenden Ball, reicht ihn dem blauen Elefanten, usw.
Was ist eine Kettengeschichte?
In Bilderbüchern mit einer Kettengeschichte begegnen Kinder einer ganz einfachen Art des Erzählens. Wie auf einer Perlenkette sind einzelne Erzählteile aneinandergereiht. Das Erzählprinzip ist die Wiederholung und dieses Prinzip kann von Kindern leicht und erfolgreich ergänzt, erweitert oder für eigenes Erzählen kopiert werden. Das vermittelt Kompetenzerlebnisse und bereitet Vergnügen.
Zum Weiterlesen
Woran erkenne ich ein gutes Bilderbuch? Welche Teilfähigkeiten braucht ein Kind zum Erzählen? Diese und weitere Fragen rund um Literacy in Kita und Anfangsunterricht klärt der Praxisband. Auch Kettengeschichten (ab Seite 204) und ein Konzept zur gezielten Erzählförderung werden dort vorgestellt.
Hering J. (2016): Kinder brauchen Bilderbücher. Erzählförderung in Kita und Grundschule. Seelze
Literatur
Gajah Y. (2014): Wer hat den roten Ball? Ein Elefantenbuch aus Malaysia. Basel
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 10/16 lesen.