Ein Tag in der Schulstation
Jede Grundschule ist ein Kosmos für sich. Genau wie ein Kindergarten. Der große Unterschied ist: In der Schule warten neue Herausforderungen, gelten andere Regeln, jetzt müssen messbare Leistungen erbracht werden. Wie kommt ein Kind damit klar? Wird es glücklich in der Schule? Gut ist es, wenn Kinder, die es schwerer haben als andere, sozialpädagogisch und individuell unterstützt werden können, zum Beispiel in einer Schulstation.
Verena Mörath besuchte für Betrifft KINDER die Grundschule an der Marie in Berlin-Prenzlauer Berg. Sie traf dort in der Schulstation »Rettungsboot« die Sozialpädagogin und Schulmediatorin Heike Stephan und den Erzieher und Heilpädagogen Frank Homeyer, sprach mit ihnen über ihren Beruf und begleitete sie in ihrem Schulalltag.
Harte Beinarbeit: Vier Stockwerke sind zu überwinden, wenn man zur Schulstation will. Aber es lohnt sich. Jeder, der in den großzügigen und hellen Raum der Schulstation eintritt, wird von Heike Stephan und Frank Homeyer herzlichst begrüßt und mit Tee versorgt: Kinder, Eltern oder Pädagogen, alle, die zur Zielgruppe der Schulstation gehören. Im Fokus stehen jedoch die Schülerinnen und Schüler. Hier finden sie einen geschützten Raum für ihre Sorgen und Nöte in der Schule, in der Familie oder in ihrem Alltag. Eine Hängematte lädt zum Entspannen ein, am Boxball kann Dampf abgelassen und am großen Tisch geredet werden. Zum Beispiel über Wut.
Drei Wutgesetze
Max und Leon absolvieren ihr zweites Wuttraining. Weil sie häufig ihre negativen Impulse nicht im Griff haben und es vorkommt, dass sie anderen wehtun. Heike Stephan unterstützt die bei-den Jungen, ihrer Wut auf den Grund zu gehen und übt mit ihnen einen anderen Umgang mit Ärger und Frustration. Die drei Wutgesetze kennen die beiden schon. »Man tut niemandem weh«, hat Max gelernt. »Man verletzt sich nicht selbst«, schließt Leon an. Und: »Man macht nichts mutwillig kaputt.« »Habt ihr es geschafft, die Wutgesetze einzuhalten?«, fordert Heike Stephan die Jungen auf, über ihr Verhalten der letzte Woche zu erzählen. Leon zupft verlegen am Ärmel und gibt zu, dass er einen anderen Jungen in der Pause umgestoßen hat. Für seine Ehrlichkeit wird er gelobt. Alle überlegen, wie Leon den Konflikt hätte anders lösen können – ohne körperlich übergriffig zu werden. Eine Runde um den Schulhof laufen, aus dem Zimmer gehen, eine Auszeit auf der Toilette nehmen, Augen kurz schließen, in den Himmel schauen ... Die Liste wird länger und länger.
Max und Leon werden bis zu zehn Mal Heike Stephan in der Schulstation treffen. In dieser Zeit steht sie in engem Kontakt mit den betreuenden Klassenlehrerinnen und den Eltern. Schließlich wird das Wuttraining ausgewertet: Können die Jungen ihre Wutausbrüche nun vermeiden und Konflikte gewaltfrei lösen? »Manchmal droht Kindern die Schulsuspendierung aus ganz unterschiedlichen Gründen«, bedauert die Sozialpädagogin. »Aber wir können darauf zeitnah und flexibel reagieren, denn die Schulstation ist mitten im Alltag der Kinder verankert.« Heike Stephan ist zufrieden, »wenn alle an einem Problem Beteiligten klare Vereinbarungen treffen, die eine Lösung für das betroffene Kind fördern, und wenn Streitschlichtung und Mediation dazu führen, dass wieder Leichtigkeit in einer problematischen Beziehung zwischen Schülern, Kind und Lehrer oder Eltern und Kind zu spüren ist.«
»Natürlich gibt es kein Patentrezept für alle Kinder und ihre Probleme. Jedes Kind ist besonders und hat ein Recht darauf, zu sein wie es ist. Uns ist es wichtig, uns auf die Fähigkeiten der Kinder und nicht auf die Defizite zu fokussieren und sie mit ihren individuellen Ressourcen zu stärken«, betont die Schulmediatorin. Das Ziel da-bei ist, Konflikte dort zu klären, wo sie entstehen: Direkt in der Schule und mit allen Beteiligten. Auch gemeinsam mit den Eltern, wenn das Familienleben mit ein Auslöser für Schwierigkeiten in der Schule ist.
Das »Rettungsboot« als Anker
Langeweile? Das ist ein Fremdwort für Heike Stephan, obwohl sie schon seit knapp 15 Jahren in der Schulstation arbeitet. Und auch schon davor hatte die 49-jährige Berlinerin aus Pankow ein bewegtes Leben: Im turbulenten Wendejahr 1990 kam ihr erstes Kind zur Welt. Kurz nachdem das Studium der Außenwirtschaft absolviert war. Ein Job musste her, und die junge Heike Stephan fand ein Anstellung als Sozialversicherungsfachfrau. »Das war aber auf die Dauer nichts für mich«, resümiert sie lachend. Die Arbeit war ihr viel zu eintönig, sie wollte Vielfalt statt Akteneinsicht im Beruf erfahren. 1994 bekommt Heike Stephan ihr zweites Kind, und dann studiert sie ein zweites Mal: Sozialarbeit in Potsdam. »Damals habe ich für die Mediation Feuer gefangen«, erzählt sie. Während ihres Praktikums beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst in Berlin entdeckt sie eine Stellenanzeige für die Mitarbeit in der Schulstation der Grundschule an der Marie und bewirbt sich darauf. Das war der Sprung ins kalte Wasser. Vor allem, weil die Stelle nur für zwei Monate befristet war. Sie bekam den Job auf Dauer, denn die Schulstation wurde wenig später eine feste Einrichtung der Schule.
»Der Aufbau der Schulstation war ein Kraftakt«, schildert Heike Stephan nachdenklich. Das Schulkollegium musste erst vom »Rettungsboot« überzeugt werden. »Anfangs überwog das Misstrauen und die Skepsis, die Kollegen wussten nicht, was die Schulstadtion für eine Aufgabe hat. Heute sind das Kollegium, ebenso wie die Schüler und die Eltern gleichermaßen aufgeschlossen gegenüber den Angeboten des ›Rettungsboots‹.« Die stellvertretende Schulleiterin Marion Ossowski bringt es auf den Punkt: »Das Team der Schulstation unterstützt unsere Kollegen durch Beratung und Fortbildung, vernetzt alle Akteure in der Jugendhilfe und mit anderen außerschulischen Einrichtungen, außerdem bringt es sich mit seiner sozialpädagogischen Expertise in Gremien wie die AG Inklusion oder in Schulhilfekonferenzen ein. Ohne die Schulstation könnten wir viele Probleme nicht so schnell und wirkungsvoll lösen.«
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/15 lesen.