Wie man mit Kindern ins Gespräch kommt
Zur Förderung der Sprachqualität in Kitas gibt es zahlreiche Programme, die alle letztlich nicht funktionieren, wie Evaluationen belegen. Kein Wunder, denn wir wissen: Kinder lernen am Sprachvorbild, im Alltag und nicht erst im letzten Jahr vor der Einschulung. Wie sie sprechen, das hängt vor allem davon ab, wie zu Hause gesprochen wird. Der Einfluss des Elternhauses ist riesig. Viel geringer ist der Einfluss der Kita und der Krippe. Da das so ist, sollte man die Zeit, die Kinder in diesen Einrichtungen verbringen, möglichst effektiv nutzen.
Befunden darüber, wie Erzieherinnen mit Kindern sprechen, kann man entnehmen, dass es zwei Formen von Gesprächen oder – besser gesagt – freundlichen Ansagen gibt: Tu dies. Tu das nicht. 60 bis 80 Prozent der Sprechhandlungen in Kitas verlaufen nach diesem Muster. Die andere Form: Erzieherinnen erklären etwas, sagen zum Beispiel: Guck mal, das ist eine Kastanie, die sieht so und so aus.
Darüber hinaus gibt es eine erstaunlich lange Zeit, in der die Erzieherinnen gar nicht mit den Kindern sprechen, auch nicht während der Freispielzeit. Zwar stehen sie in der Nähe der Kinder, reden aber nicht mit ihnen. Entweder, weil sie denken: Ich will die Kinder nicht dauernd zusabbeln. Oder weil sie mal eine Pause brauchen.
Aber genau in diesen Zeiten wäre es interessant, mit den Kindern zu sprechen. Zu sprechen heißt nicht, sie zu fragen, was sie gerade machen, sie zu bitten, Peter mal mitspielen zu lassen, oder einzugreifen, weil ein Konflikt entsteht. Sondern: mitzuspielen, eine Geschichte weiterzuspinnen, ein normales Gespräch zu führen, das über die kurze Beschreibung dessen, was da ist, hinausgeht. Darum geht es.
In den Landkreisen Brandenburgs gibt es Sprachberatung, vom Land Brandenburg finanziert, an der wir uns beteiligen. Wir gehen in die Kitas, gucken, wie dort gesprochen wird, beraten die Erzieherinnen und unterstützen sie. Sie sollen nichts zusätzlich machen, sondern den Alltag besser zu nutzen.
Häufig hat man – das kennen wir alle – in einer Gesprächssituation mit einem Kind förmlich ein Brett vorm Kopf und kommt auf keine Idee, wo-ran man anknüpfen oder was man sagen könnte, um mit dem Kind im Dialog zu bleiben. Was tun? Das passende Fachbuch hat man in dem Moment nicht zur Hand und sowieso keine Zeit, lange darin herumzublättern. Man braucht etwas, das man sich in die Hosentasche stecken kann, wenn man mit den Kindern rausgeht oder ihnen beim Anziehen hilft. Etwas, das man im Nu aus der Tasche zieht. Zum Beispiel dieses kleine Teil, das man wie einen Fächer aufklappen kann. Bisher gibt es fünf solcher Fächer, Hosenraschen-Dialoge genannt: für die Schlüsselsituationen Buddeln, Anziehen, Spazieren, Essen und Waschen. In jedem Hosentaschen-Dialog sind jeweils sechs Warum-Fragen und sechs Was-wäre-wenn-Fragen versammelt, also Einstiegsfragen, die der Erzieherin das Nachfragen erleichtern sollen. Zum Beispiel beim Essen: Wie wäre es, wenn wir ohne Hände essen müssten? Was denkst du? Warum bekommen wir eigentlich Hunger? Was meinst du? Warum sind manche Früchte eigentlich giftig und andere nicht? Was glaubst du? Was wäre, wenn das Würstchen jetzt vom Teller springen würde?
Das sind Fragen, die man wie einen Versuchsballon steigen lassen kann. Mal gucken, was passiert, wenn ich als Erzieherin so eine komische Frage stelle?
Alle Erzieherinnen in Märkisch-Oderland haben diese Hosentaschen-Dialoge bekommen, und wir starten gerade eine Fragebogenaktion, um herauszufinden, ob sie sie wirklich benutzen. Das erste Echo: Sie sind schwer begeistert und berichten, dass die Kinder staunen, was für Fragen ihre Erzieherinnen plötzlich stellen.
Natürlich sind die Hosentaschen-Dialoge nicht alles. Es gibt Bücher, wir machen Übungen zum Nachdenken mit Kindern und überlegen gemeinsam: Was ist eigentlich gerecht? Was ist eigentlich Freundschaft? Warum soll man eigentlich nicht lügen? Da ergeben sich schon mit Erwachsenen interessante Dialoge. Mit Kindern erst recht. Aber so ein kleiner Praxisanstoß aus der Hosentasche kann Wunder wirken und die Erfahrung bescheren: Wenn ich mal anders rede, nehme ich die Situation ganz anders wahr und ermögliche wirkliche Gespräche.
Müsste ich beschreiben, woran man in der Kita gute Kommunikation erkennt, würde ich sagen: Die Erzieherinnen stellen häufig Warum-Fragen und Was-wäre-wenn-Fragen, gehen darauf ein, was die Kinder sagen, und benutzen, wenn sie antworten, solche Wendungen wie »Ich denke…«, »Ich kann mir vorstellen, dass…« oder »Ich vermuten…«, werden dadurch als nachdenkende Frauen sichtbar und erwecken nicht den Eindruck, dass sie alles wüssten.
Prof. Dr. Frauke Hildebrandt
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