Wie es gelingen kann, mit Worten zu ermutigen
Am Morgen in der Vorschulgruppe in einer Kita in Berlin-Kreuzberg. Die Erzieherin sitzt mit einem Mädchen am Tisch und malt. Nach und nach treffen die anderen Kinder ein. Ein Junge kommt mit seinem Vater und erzählt begeistert, dass seine Eltern ihn gestern bei einem Fußballverein angemeldet hatten.
»Was weiß du denn schon alles übers Fußballspielen?« fragt die Erzieherin. Sie holte ein Blatt Papier, um die Antworten des Jungen mitzuschreiben. Ruhig schaut sie ihn an und lässt sich nicht unterbrechen, als andere Kinder hinzukommen und etwas von ihr wollen. »Einen Moment, bitte. Ich bin gleich bei euch. Jetzt schreibe ich auf, was Teufik mir sagt.« Der Junge lächelt und genießt die Aufmerksamkeit.
»Früher ließ ich mich in solchen Situationen ablenken«, erklärt die Erzieherin. »Das mache ich jetzt nicht mehr. Die Kinder wissen, dass ich jedem immer mal wieder ein paar Minuten zuhöre, und akzeptieren, dass sie warten müssen.« Später wird das Blatt mit den Mitteilungen des angehenden Fußballers für alle sichtbar an der Wandtafel im Flur hängen, bis die Erzieherin es in die Dokumentation einheftet.
Vorurteile und Wertungen
Kinder wollen mit ihren verschiedenen Lebenswelten in der Kita angenommen werden: Max, der mit Hanteln trainiert, damit er Muckis bekommt, geht nicht gern zur Physiotherapie und ist traurig, dass er nicht mit den anderen Kindern Fußball spielen kann. Er sitzt im Rollstuhl. Isabelle, die gern Armdrücken macht, erlebt, dass ihr Onkel nur ihre Brüder dazu auffordert. Yunus spricht mit seinem Freund Deutsch und Türkisch, wenn sie zur Kita gehen. Oft kriegt er gesagt: »Hör auf mit dem türkischen Gequassel.«
Mit ihren Persona Dolls stellen Multiplikatorinnen der »Fachstelle Kinderwelten« auf der Fachtagung »3. Baustelle Inklusion« verschiedene Kinder und deren Geschichten vor. Oft sind es nur Worte, die die Kinder aufmerken und vermuten lassen, sie gehörten nicht dazu, weil sie behindert sind, nur eine Mutter haben und keinen Vater oder eine Hose tragen, die nicht neu ist. Dazu kommen Fragen wie: Wo kommst du her? Lebst du in einer normalen Familie?
Solche Worte, die einen Unterschied markieren, können verunsichern. Bleiben sie unkommentiert oder werden gar wiederholt, können sie sich in den Hirnen der Kinder festsetzen und für Rückzug, Starre oder Aggression sorgen, die schützen sollen, aber ausschließen. Dabei ist Inklusion heute eine wichtige Aufgabe für Kita und Schule.
»Das Thema erweist sich als Großbaustelle«, erklärt Petra Wagner, die Leiterin der »Fachstelle Kinderwelten«. 2000 startete das Projekt zur vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Erzieherinnen, Lehrerinnen und ihre Kollegen wurden fortgebildet, entdeckten ihre Vorurteile und Wertungen, schärften aber auch den Blick für den Reichtum des Andersseins und wurden angeregt, die Alltagswelten in ihren Einrichtungen reicher zu gestalten – durch Projekte, die Veränderung der Räume, Bücher. Diesmal geht es um Worte.
Worte spiegeln Wirklichkeit
Was benannt wird, ist wichtig. Was nicht erwähnt wird, scheint nicht zu existieren. Gerade Kinder ordnen mittels Sprache die Welt, treten nicht nur in Verbindung mit anderen Menschen, sondern wachsen in ein kulturelles Bedeutungssystem hinein und eignen es sich an. Das, was sie verbal und nonverbal über sich erfahren, hilft ihnen, ihr Bild von sich selbst, ihre Identität zu konstruieren. Die ist mit einer einzigen Zuschreibung zwar unmöglich, aber manche Worte gehen schnell über die Lippen und bleiben als Urteil stehen. Dann heißt es unvermittelt: »Du bist ein Pflegekind.« Damit wird das Kind auf ein Merkmal reduziert, das zwar zu seinem Leben gehört, es aber nur zu einem Teil bestimmt und dem Kind nicht gerecht wird. Das tut weh, schafft Distanz und »ist eine große Hürde für ein Kind, ein positives Selbstbild zu entwickeln«, sagt Petra Wagner.
www.kinderwelten.net
Die »Fachstelle Kinderwelten« für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung schuf mit dem Ansatz der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung ein erprobtes und ausgereiftes Praxiskonzept für inklusive Bildung in Kindertageseinrichtungen, bietet Fortbildungen und fachliche Begleitung zum Thema an sowie weiterführende Informationen über die Persona Dolls.
www.anti-bias-werkstatt.de
Der Anti-Bias-Ansatz ist ein Ansatz der antidiskriminierenden Bildungsarbeit, der in der deutschen Bildungslandschaft seit einigen Jahren kon-tinuierlich an Bedeutung gewinnt. Anliegen der Anti-Bias-Arbeit ist es, eine erfahrungsorientierte Auseinandersetzung mit Macht und Diskriminierung zu ermöglichen und die Entwicklung alternativer Handlungsansätze zu diskriminierenden Kommunikations- und Interaktionsformen zu fördern.
www.fippev.de
Der FIPP e.V. mit Sitz in Berlin arbeitet gegen Rechtsextremismus in zahlreichen Einrichtungen und Projekten in den Handlungsfeldern Freizeit, Schule, Kindertagesstätten, Berufsorientierung, entwicklungspolitische Bildungsarbeit und Netzwerkarbeit. Die gemeinsame Arbeit wird von den Leitlinien Partizipation und Demokratie, Interkulturalität, Geschlechterdemokratie und Kinderrechte getragen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/14 lesen.