Bilderbücher, deren Bildsprache oder Geschichten sich nicht automatisch entschlüsseln, verlangen vom Betrachter mehr als Durchblättern. Manchmal muss man Sehgewohnheiten aufgeben und eigene Vorurteile hinterfragen. Das lohnt sich, findet Gabriela Wenke, und stellt einige ausgefallene Bücher für den Sommer 2014 vor.
Fußball und Politik
Über die Olympiade 1936 gibt es viele Geschichten, Bücher und Filme – auch über Sportler, die nicht für Nazi-Deutschland antreten wollten oder sollten. Geschichten über die Fußballweltmeisterschaft 1938 sind jedoch selten.
Damals haben die Österreicher mit Sindelar einen der besten Fußballer der Welt. Kurz vor der Weltmeisterschaft kommt es zum sogenannten Anschluss Österreichs an das »Großdeutsche Reich«. Die Nazis wollen die österreichische Nationalmannschaft in ihre eigene integrieren und rechnen sich mit Sindelar gute Chancen aus. Vorher aber soll es noch ein letztes Spiel Österreich gegen Deutschland geben. Es wird gemunkelt, man habe von der österreichischen Mannschaft verlangt, sie solle verlieren. Doch die Spieler holen alles aus sich heraus und gewinnen 2 : 0!
Sindelar hebt nicht die Hand zum Hitlergruß und weigert sich, in der deutschen Nationalmannschaft zu spielen, die 1938 schon in der Vorrunde ausscheidet. Einige Monate später sterben er und seine italienisch-jüdische Freundin in ihrer Wohnung. Es sei ein Unfall gewesen, heißt es, Gas sei ausgetreten. Andere vermuten, dass die beiden Selbstmord begangen hätten. Ihre Leichen werden von der Gestapo weggebracht. Obwohl man die Beerdigung geheim halten wollte, nehmen Tausende Menschen daran teil.
Soweit die Geschichte. Fabrizio Silei und Maurizio A. C. Quarello haben daraus ein Bilderbuch für Kinder gemacht. »Abseits 1938: Ein Fußballer sagt nein« erzählt diese Geschichte teilweise aus der Sicht des neunjährigen Markus, der ein Fan von Sindelar ist. Sein Lehrer hat ihn für das zukünftige Groß-Deutschland begeistert, und Markus freut sich auf die Nationalmannschaft aus Deutschen und Österreichern. Sein Vater ist zwar anderer Meinung, hält sich dem Sohn gegenüber jedoch zurück, um sich nicht zu verraten und Markus nicht zu gefährden, falls der Junge unbedacht etwas ausplaudert. Man sieht, wie der Vater sich mit gleichgesinnten Freunden trifft und Sindelars Freundin zu überzeugen versucht, dass der Fußballer nicht spielen solle. Aber die Mannschaft beschließt, in dem Spiel gegen die Deutschen anzutreten. Danach spielt Sindelar nicht mehr mit. »Manchmal ist alles zu verlieren vielleicht die einzige Möglichkeit, etwas zu behalten«, soll er gesagt haben.
In großformatigen, fotorealistischen Bildern stellen Silei und Quarello den Fußballhelden vor dem Hintergrund der Nazizeit dar. Ohne historisches Grundwissen erschließt sich die Geschichte jedoch nicht ganz. Deshalb sollte sie jüngeren Kindern von einem Erwachsenen vorgetragen und erläutert werden, der sich auskennt und Fingerspitzengefühl besitzt.
Poesie und verzauberte Bilder
Naive Kinderfragen versus verspielte Erwachsenen-Antworten? Dass die Fee aus Niniveh im Wald mit dem Bären lebt – so etwas gibt es bei Feen. Und manche Zwerge haben gute Hexen als Mütter, die sie in Riesen verwandeln können, wenn die Zwerge das möchten.
»Schon wieder was!« nennt Jürg Schubiger sein Frage- und Antwortspiel, und man liest:
»Das, was du da vor dir siehst, ist ein Puppenfresserbiest.
Von etwas muss das Biest sich nähren, es frisst auch Teddybären. Am liebsten mag es kleine.
Und Kinder? Mag es keine.«
Da kann der kindliche Betrachter froh sein.
Auf der nächsten Seite wird behauptet, die Zeichnung zeige einen frechen Jungen, obwohl es ganz klar ein alter Mann ist, der da seine Zunge herausstreckt. So treiben Jürg Schubiger und Wolf Erlbruch ihre Scherze mit den Betrachtern und überlassen es ihnen, dem Ganzen einen Sinn zu geben. Oder auch nicht.
Ein ästhetischer Spaß für Leute mit Fantasie und Humor – gleich, welchen Alters. Jünger als fünf Jahre sollten sie aber nicht sein, finde ich.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/14 lesen.