Einen Überblick über die Ergebnisse der ersten bundesweiten Studie zur Betreuungsqualität und zum kindlichen Entwicklungsstand im Vorschulalter geben Joachim Bensel und Gabriele Haug-Schnabel1.
Anlass und Einordnung der Studie
Anlass der breit angelegten NUBBEK-Studie war das Bedürfnis der multidisziplinären Studienpartner, die Forschungslücke in der pädagogischen Betreuungsqualität, die Kinder in den ersten Lebensjahren innerhalb und außerhalb ihrer Familien erleben, ein Stück weit zu schließen und diese Qualität gleichzeitig in Zusammenhang mit dem Entwicklungs- und Bildungsstand in verschiedenen Bereichen zu setzen.
Obwohl die Diskussion über Bildung und Förderung im vorschulischen Rahmen in den letzten Jahren intensiv geführt wurde, erbrachte sie bislang wenig belastbares empirisches Wissen darüber, wie die Qualität von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege tatsächlich beschaffen ist und welche Effekte schlechtere oder bessere Qualität auf die kindliche Entwicklung hat. Nur vereinzelt und in kleinerem Rahmen lassen sich Studien finden, die die Qualität in der Kindertagesbetreuung und den Zusammenhang mit dem kindlichen Entwicklungsstand in Deutschland untersuchten, etwa die Studie »Wie gut sind unsere Kindergärten« von Tietze und Kollegen aus dem Jahr 1998, die sich allerdings auf das Betreuungssetting Kindergarten beschränkte.
Im Zuge des massiven Ausbaus der außerfamiliären Betreuung von Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr, den der inzwischen in Kraft getretene Rechtsanspruch in Gang setzte, war es zudem dringend nötig geworden, mehr über qualitative Aspekte zu erfahren, die in der Altersgruppe der Kinder unter drei Jahren eine Rolle spielen.
Welche pädagogische Qualität finden die zu Hunderttausenden aufgenommenen Kleinstkinder vor? Wie stellt sich diese Qualität im Vergleich der verschiedenen Betreuungsformen – Krippe, altersgemischte Gruppe, Kindertagespflege – dar? Genau dieses Wissen ist aber die notwendige Ausgangsbasis für qualitative Steuerungsprozesse der Träger, Verwaltungen und Fachpolitik. Erkenntnisse aus der NUBBEK-Studie sollen deshalb nicht nur den wissenschaftlichen Kenntnisstand in Deutschland bereichern, sondern auch als Grundlage für verbessertes fachliches und fachpolitisches Handeln dienen.
Bezüglich des konkreten Betreuungsalltags von Kindern gibt es ebenfalls offene Fragen, zum Beispiel: Wie wirken verschiedene Betreuungsformen, einschließlich der familiären, zusammen? Wie stellen sich die »Betreuungsgeschichten« der Kinder und ihre kumulierten Betreuungserfahrungen dar? Oder: Wie nehmen Eltern Betreuungsangebote wahr, und welche Motive liegen ihrer Wahl zugrunde?
Wir wissen wenig darüber, wie sich Aspekte der Betreuungsqualität in Familien darstellen, die die ersten und wichtigsten Betreuungsumwelten für Kinder sind und die auch nach dem Übergang in eine außerfamiliäre Betreuung bestehen bleiben. Nicht zuletzt gibt es wenig gesichertes Wissen darüber, wie sich frühe Bildung, Betreuung und Erziehung speziell für Kinder mit Migrationshintergrund darstellt.
Aufbau der Studie
Die NUBBEK-Studie orientiert sich an einer sozialökologischen und ökokulturellen Konzeption von Bildung und Entwicklung. Das heißt, Bildung und Entwicklung sind von verschiedenen Faktoren und Systemebenen abhängig. Kindliche Entwicklung hängt demzufolge von der Prozessqualität (den konkreten Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern) in der Kindertagesbetreuung ab, die wiederum von vorgelagerten Faktoren der Orientierungsqualität (zum Beispiel: Auffassungen über Bildung und Erziehung) und der Strukturqualität (Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Personalschlüssel, Ausbildung der Fachkräfte) abhängt. Mit diesem Modell lässt sich auch die Qualität des familiären Betreuungssettings und deren Auswirkungen auf kindliche Bildung und Entwicklung beschreiben.
Um die Betreuungssituation in Deutschland möglichst breit abzubilden, wurden für NUBBEK mehr als 1.200 Zwei- und mehr als 700 Vierjährige in verschiedenen Formen der Betreuung in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt untersucht. Das betraf Zweijährige in ausschließlicher Familienbetreuung, in der Kindertagespflege, in Krippen- und altersgemischten Gruppen2 sowie Vierjährige in Kindergarten- und altersgemischten Gruppen. Da Zuwandererfamilien von besonderem Studieninteresse waren, hatten 27 Prozent der Familien einen russischen oder türkischen Migrationshintergrund.
Für alle 1.956 Kinder – bis auf die 438 ausschließlich familiär betreuten Zweijährigen – wurde sowohl der außerfamiliäre wie der familiäre Kontext mittels eines breit gefächerten Untersuchungsinstrumentariums betrachtet. In beiden Kontexten zielten die Instrumente auf die Erfassung der gleichen inhaltlichen Schwerpunkte: strukturelle Merkmale (zum Beispiel Bildungsabschluss der Eltern bzw, die Qualifikation des pädagogischen Personals), pädagogische Orientierungsmerkmale (zum Beispiel Erziehungsziele der Eltern bzw. des pädagogischen Personals, Verantwortungsattribution für die Bildung und Erziehung des Kindes) und Prozessmerkmale (zum Beispiel entwicklungsanregende Aktivitäten mit dem Kind, entwicklungsfördernde Interaktionen). Dafür wurden unterschiedliche Informanten herangezogen: Kinder, Mütter, Väter, Erzieherinnen oder Tagespflegepersonen und Erheberteams für Qualitätsmessungen in den Settings. Mehrere Erhebungsvarianten wurden kombiniert3 und mehrere Sprachen genutzt4. Im Rahmen der Erhebungen kamen computer- und papiergestützte Verfahren, systematische Beobachtungen5 und individuelle Kindtestungen zum Einsatz.
Der auf diese Weise gewonnene umfangreiche Datensatz wurde aufbereitet und anschließend gemäß der anvisierten Fragestellungen ausgewertet. Für weitergehende Analysen wird er im nächsten Jahr vom GESIS-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften der wissenschaftlichen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt.
Betreuungsgeschichte und aktuelle Betreuungssituation der Kinder
Um einen Einblick in nicht-elterliche Betreuungserfahrungen6 der in der Studie untersuchten Kinder zu erhalten, wurde die aktuelle Betreuungssituation der Zwei- und Vierjährigen untersucht. Außerdem wurden Aspekte der Betreuungsgeschichte der Kinder von ihrer Geburt an erhoben. Dies wurde retrospektiv mittels eines Elternfragebogens erfasst, in dem die Eltern – jeweils für Halbjahresabschnitte – angaben, welche Formen der Betreuung sie in welchem Umfang nutzten und wann ihr Kind erstmals in eine außerfamiliäre Betreuungsform eintrat. Zusätzlich wurden Gründe für die Wahl der Betreuungsform, die Betreuungswünsche und die als verfügbar wahrgenommenen Betreuungsmöglichkeiten untersucht.
Buchtipp
Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK)
Erstmalig wurde in Deutschland eine nationale Studie zu Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit im Forschungsverbund von Pädagogen, Entwicklungspsychologen, Soziologen und Verhaltensbiologen in acht Bundesländern durchgeführt. Über 2.000 zwei- und vierjährige Kinder mit ihren Familien, davon mehr als ein Viertel mit Migrationshintergrund sowie etwa 570 Kindergärten, Krippen und Tagespflegestellen waren am Forschungsprojekt beteiligt.
Das Buch erläutert und kommentiert die aufschlussreichen Ergebnisse zu Betreuungssituation und -geschichte, zur Qualität der außerfamiliären Betreuung, zur Interaktions- und Beziehungsqualität in den Familien sowie deren Zusammenhänge zum Entwicklungsstand der Kinder.
Wolfgang Tietze · Fabienne Becker-Stoll Joachim Bensel · Andrea Eckhardt
Gabriele Haug-Schnabel · Bernhard Kalicki Heidi Keller · Birgit Leyendecker (Hrsg.)
Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK)
172 Seiten
verlag das netz, Weimar/Berlin 2013
ISBN 978-3-86892-026-0
Euro 26,90
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1 Die vorliegende Übersicht beruht auf den gemeinsamen Analysen der NUBBEK-Studienpartner Wolfgang Tietze (Pädquis Berlin), Fabienne Becker-Stoll (IFP München), Joachim Bensel und Gabriele Haug-Schnabel (FVM Kandern), Andrea G. Eckhardt (Hochschule Zittau/Görlitz), Bernhard Kalicki (DJI München), Heidi Keller (nifbe Osnabrück) und Birgit Leyendecker (Universität Bochum). Gefördert wurde die Studie von folgenden Kooperationspartnern: das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ), die Jacobs Foundation, die Robert Bosch Stiftung sowie die Länder Bayern, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
2 Dies bedeutet in der NUBBEK-Studie: Zwei- und Vierjährige in derselben Gruppe.
3 Beobachtungs-, Test- und Selbstreport-Verfahren
4 Deutsch, Türkisch, Russisch
5 IQS-Instrumentarium
6 Außerfamiliäre Formen wie institutionelle Betreuung oder Kindertagespflege und familiäre nicht-elterliche Formen wie Großeltern- oder Verwandtenbetreuung
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 10/13 lesen.