Ein Besuch im Katholischen Familienzentrum St. Margareta in Neunkirchen
Im Bergischen Land, inmitten von Wiesen, Weiden und Wäldern liegt die Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid, erstmals 1178 erwähnt. Seit 1972 gibt es auf diesem schönen Fleckchen Erde die Kindertagesstätte St. Margareta, die in Betrifft KINDER schon mehrfach von sich reden machte, zum Beispiel mit dem »Lebensthema Tod« – eine Beitragsserie über ernste und heitere Erlebnisse. Inzwischen wurde aus der Kindertagesstätte ein Familienzentrum. Und vor drei Jahren entschied sich das Team, ganz junge Kinder aufzunehmen. Zuvor wurde das Haus umgebaut, um den neuen Erfordernissen zu entsprechen. Erika Berthold besuchte das Team, und man verplauderte sich. Es ging um die Nestgruppe, um tollkühne Kinder, um Knöpfe und Teeschilder, die Reggio-Pädagogik, eine Verkleidungsschnecke und das Kinderparlament.
»2010 wurde die Nestgruppe gegründet«, berichtet Esther Buchbender, eine der drei Erzieherinnen, die für zehn Kleinkinder zuständig sind. »Im Bereich der Nestgruppe haben wir einen großen Hauptraum und einen Nebenraum, in dem der Schreiner eine Bewegungsrampe installiert hat. Einen Schlafraum gibt es natürlich auch.«
Kleine Kinder sind in der Kita keine Neulinge. Schon seit längerer Zeit wurden Zweijährige aufgenommen. Aber Einjährige gab es vor drei Jahren noch nicht.
In der Nestgruppe
»Spannend war, ob wir das mit der Reggio-Pädagogik und den jungen Kindern hinkriegen würden«, sagt Laura Kaltenegger, Esthers Kollegin. »Wie viel kann man ihnen zutrauen? Als wir einen Rundgang zum Thema ›Sicherheit‹ hatten, hieß es: ›Das ist gefährlich! Und das ist erst recht gefährlich!‹ Wir dachten schon: Oh, Gott! Wie machen wir das bloß mit dem Atelier und den kleinen Kindern?«
Im Atelier gibt es Farben, Pinsel und Klebstoff. Alles muss für die Kinder erreichbar sein. Wenn sie krabbeln, können sie sich überall hinbewegen, fassen in die Klebstoffbüchse und schlecken eventuell die Finger ab. Durch ein Fenster, das bis zum Boden reicht, könnten sie womöglich 20 Zentimeter tief in den Garten fallen. Vorsichtshalber wurde es vom Architekten versiegelt.
Als die Nestgruppe eröffnet wurde, traten solche Ängste in den Hintergrund, denn: »Wir hatten Kolleginnen in der Gruppe, die den Beginn gut begleiteten. Sie schauten erst mal, wie die neuen Kinder sind, folgten deren Wegen und achteten darauf, was sie tatsächlich brauchen – nicht, was im Lehrbuch steht«, erklärt Daniela Patalas, die Leiterin. Und was brauchen sie tatsächlich, die ganz Kleinen?
»Sie brauchen genug Möglichkeiten, etwas ausprobieren zu können – ohne dass die Erzieherin oder Mutter alles ängstlich vorherbestimmt«, mischt sich eine Mutter ein, die ihren Sprössling gerade abholt. »Ich hatte vor ein paar Wochen hospitiert und gesehen, dass die Kinder springen dürfen, von verschiedenen Ebenen herab. Die Erzieherinnen haben im Blick, was sie tun, und behindern sie nicht. Nebenan, im Atelier der Nestgruppe, können sie sogar experimentieren. Positiv finde ich übrigens auch, dass die Mitarbeiterinnen in der Nestgruppe selbst keine Mütter sind. Sie gehen ganz anders mit so kleinen Kindern um als wir Mütter, die immer Angst haben, dass den Kindern was passieren könnte, und ihnen deshalb zu wenig zutrauen. Ich meine: Erfahrungen, die wir zu Hause oder im Bekanntenkreis gemacht haben, beeinflussen unseren Umgang mit Kindern.«
»Das hat auch etwas damit zu tun, wie man als Kind war, was man für Möglichkeiten hatte«, findet Daniela Patalas, und die Mutter ergänzt: »Zu unserer Zeit war Kindheit anders. Heute werden die Kinder viel beobachteter groß, die Mütter sind viel präsenter.«
»Außerdem sind die Kinder unterschiedlich«, wirft eine Kollegin ein, die bei den Älteren arbeitet. »Ich kann den Sören draußen auf den Baum klettern sehen und sagen: Ist okay. Aber wenn Tobias hochklettert, denke ich – obwohl ich weiß, dass er es kann: Bloß nicht hingucken!«
Mir fällt ein, was Norbert Huhn neulich in einem Interview sagte: »Die Konstruktionsleistung der Kinder endet an den Ängsten der Erwachsenen.« Zwar sind Ängste manchmal nicht unberechtigt und vor allem tatsächlich gefühlt…
»Bei meinen Kindern ist Reiten gerade ein Thema«, meldet sich Simone Nonnenbruch. »Ein Kind erzählte: ›Meine Mutter ist mal geritten. Da hat das Pferd sie getreten…‹ Auch andere Reiter hatten schon Unfälle, ließen sich aber nicht davon abhalten, wieder aufzusteigen. Allenfalls würden sie sich eine bessere Ausrüstung beschaffen. So unterschiedlich sind die Leute.«
Sicher, aber dass kleine Kinder sich tollkühn in Abenteuer stürzen, ist wohl eher nicht die Regel. »Das hängt von den Eltern ab«, sagt jemand, und alle lachen.
»Eine gewisse Risikofreude lässt sich bei manchen Kindern schon beobachten«, findet Laura Kaltenegger. »Wahrscheinlich ist ausschlaggebend, wie viel die Erwachsenen einem Kleinkind zutrauen. Lassen sie zu, dass das Kind sich die Finger mal am Herd verbrennt? Oder den Pinsel mit Farbe ablutscht?«
»Vor einiger Zeit fiel Louis, ein Einjähriger, von einer Treppe«, erinnert sich Laura Kaltenegger. »Zum Glück war nichts passiert, doch ich hatte zwei, drei Tage lang große Bedenken, die Kinder auf das Raumhaus zu lassen. Aber ich überwand mich, machte positive Erfahrungen und wurde ruhiger. Für den Louis war der Sturz lehrreich. Es hätte aber auch böse enden können. Genau genommen hängt das Leben in jeder Minute am seidenen Faden. Und wir betreuen hier das Wertvollste, das die Eltern haben. Das ist eine enorme Verantwortung.«
Immer ist es wohl ein Abwägen zwischen den Möglichkeiten, die man kleinen Kindern einräumt, die Welt zu entdecken, und den Gefährdungen, die diese Welt bereithält. Jeder Mensch muss lernen, mit ihnen umzugehen. »Ja«, sagt die Mutter, »und jeder hat seine Erfahrungen damit. So begegnet er auch dem Kind. Zu Hause, in der Kita, in der Schule und im ganzen Leben.«
Ein eher ungefährliches Beispiel dafür war der »Besuch der Schnecke«, ein Projekt der Jüngsten. Es kam übrigens nicht nur eine Schnecke zu Besuch, sondern viele. Das war für manche Kolleginnen gewöhnungsbedürftig. Esther Buchbender: »Mir hat ein Kind eine Weinbergschnecke aufs Gesicht gesetzt, zum Größenvergleich. Die Schnecke – das geht ja noch. Aber wenn es eine Spinne wäre… Immerhin nähere ich mich an.« Ginge es um Spinnen, würde ihre Kollegin argumentieren: »Ich mag das Tier nicht, aber vielleicht jemand anders. Weil ich weiß, dass Ekel anerzogen wird, würde ich mich im Zweifelsfall sogar überwinden.«
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/13 lesen.