Ein Besuch im Musikkindergarten Hamburg, Teil 3
Am 15. September 2010 wurde der Musikkindergarten Hamburg in den Schanzenhöfen mit Plätzen für 90 Kinder im Krippen- und Elementarbereich eröffnet. Träger ist die Stiftung Kindergärten Finkenau. Ihr Anliegen: Musik als Botenstoff für Bildung nutzen. Kooperationspartner sind Hamburgs Staatsoper und die Philharmoniker.
Gut ein Jahr nach der Eröffnung besuchte Erika Berthold den Kindergarten und wollte wissen, wie die Übertragung funktioniert: Taugt Musik als Botenstoff?
Im ersten Teil der Beitragsfolge ging es um das Konzept des Kindergartens. Im zweiten Teil war die Verbindung von Pädagogik und Musik zu erleben, um die es auch im Folgenden geht.
Kinder und Erwachsene haben sich in der großen Halle versammelt. Auch ein paar Eltern sind dabei. Mit dem Begrüßungslied werden zwei Sänger des Hamburger Staatsopernchors – Jürgen Ohneiser, Tenor, und Christian Bodenburg, Bass – sowie der stellvertretende Chordirektor Christian Günther, der die Sänger am Klavier begleiten wird, empfangen. Jürgen Ohneiser, den die Kinder schon kennen, stellt den Bassisten vor: »Das ist der Osmin, ein Gefängniswärter. Ich hau lieber ab, ihr müsst ihn rufen…«
»Osmin, Osmin!« rufen die Kinder. Christian Bodenburg tritt vor, fuchtelt mit den Armen, zieht eine furchterregende Grimasse und stimmt die Wutarie des Osmin aus Mozarts »Die Entführung aus dem Serail« an: »Oh, wie will ich triumphieren…« Er muss seine Stimme dämpfen, erzählt er später, damit die Kinder keinen Schreck kriegen. Natürlich fürchten die Kinder sich nicht, sondern staunen, wie tief der Mann singen kann, und klatschen begeistert.
Nun kündigt Jürgen Ohneiser eine Geschichte an. Sie handelt von Tamino, der sich bis über beide Ohren in Pamina verliebt hat. Um sie zu kriegen, muss Tamino eine Prüfung bei dem Priester Sarastro ablegen. »Wer will Sarastros Gehilfe sein?« fragt Jürgen Ohneiser. Etliche Kinder melden sich, bekommen blaue Fähnchen in die Hände, die sie als Gehilfen ausweisen, und werden aufgefordert, in die Kreismitte zu treten.
»Seid willkommen…«, tönt Sarastro bedeutungsvoll. »Prinz Tamino möchte sich unserer Prüfung stellen. Wenn ihr ihn für würdig haltet, so gebt mir ein Zeichen.« Die Gehilfen winken mit ihren Fähnchen. Eine große Geste Sarastros bringt sie zum Innehalten. Als Ruhe eingekehrt ist, stimmt Sarastro seine berühmte Arie aus Mozarts »Zauberflöte« an: »Oh, Isis und Osiris…« Aufs Neue sind die Kinder von Christian Bodenburgs tiefer Stimmgewalt fasziniert. Großer Applaus.
Zum Schluss singt das Publikum das Dankeschön-Lied. Die Sänger und der Pianist freuen sich.
Musikalische Vielfalt, gute Nachbarschaft …
Jürgen Ohneiser kommt gern in den Kindergarten. Es macht ihm Spaß, dort zu musizieren, denn: »Diese Direktheit, die man gerade von den kleinen Kindern erfährt, ist einfach um-werfend. Ich versuche immer, eine Geschichte um die Musik herumzubauen, damit die Kinder was zum Mitmachen haben: Hänsel und Gretel warnen, damit sie lieber nicht in den Wald gehen, oder die Hexe rausschmeißen. Auf solche Sachen sind die Kinder total scharf, weil sie selbst aktiv werden können. Vor so einem Auftritt überlege ich sogar ziemlich lange, denn Kinder sind kein einfaches Publikum. Wenn man nicht auf den Punkt kommt, die Konzentration nicht halten kann, sind sie sofort weg. Deswegen lohnt es sich, genau zu überlegen, wie man was macht.«
Jürgen Ohneiser versteht sich inzwischen als eine Art Botschafter: »Wir haben im Operchor 70 Kollegen und kommen ein Mal im Monat in den Kindergarten. Die Orchesterleute kommen öfter. Wenn 20 Leute mitmachen und jeder alle drei Jahre mal kommt, kann man schon was auf die Beine stellen, und der Aufwand bleibt vertretbar. Trotzdem muss man die Leute anfangs ziemlich überreden. Aber diejenigen, die da waren, kommen gern wieder.«
»Stimmt«, sagt Christian Bodenburg. »Ich war zum ersten Mal da und würde wiederkommen. Schließlich geht es ja darum, dass die Kinder möglichst viele Persönlichkeiten und Stimmfächer kennen lernen. Heute war die tiefe Stimmlage dran, der Bass. Deshalb habe ich Arien mit möglichst tiefen Tönen ausgesucht.«
Wenn sich im Chor herumspricht, was für ein aufmerksames und begeistertes Publikum kleine Kinder sind, wird es vielleicht demnächst eine Warteliste für Sänger und Sängerinnen geben, wer weiß? Die beiden Männer lachen und verschwinden ins benachbarte Café »Elbgold«, um ihren Kaffee-Gutschein einzulösen. Einen solchen bekommen Künstler, die im Musikkindergarten auftreten, als kleines Dankeschön. Hin und wieder finden sogar Teambesprechungen im »Elbgold« statt – man pflegt gute Nachbarschaftsbeziehungen. Auch zum Pianohaus Trübger, das dem Musikkindergarten ein Klavier leiht. Die Haspa-Musikstiftung kommt für die Kosten auf.
Eingeweiht wurde das Klavier von Simone Young, der Generalmusikdirektorin der Staatsoper Hamburg. Nach ihr traten Katharina von Held und Vera Plagge auf, Kontrabass und Piccoloflöte, die Kinderlieder auf dem höchsten und dem tiefsten Instrument des Orchesters zu Gehör brachten. Thomas Tyllack spielte Bach auf dem Cello und forderte die Kinder zum Tanzen auf. Feierliche Weihnachtsmusik blies Hans Rastetter auf dem Horn. Von »Hänsel und Gretel«, gesungen von Bettina Rösel und Corinna Meyer-Esche, eingeleitet von Jürgen Ohneiser und begleitet von Christian Günther, war schon die Rede. Eine Schubladen-Harfe und ein Pappröhren-Bass entstanden, als der Kontrabassist Erik Higgins nicht nur zum Musizieren, sondern auch zum Basteln kam.
… und keine Angst
All dies deutet die Vielfalt, die die Kooperation mit den Künstlern nun seit einem Jahr ermöglicht, nur an. Als die Zusammenarbeit begann, stellte sich der Kindergarten dem Orchester vor, » um die Musiker zu motivieren, möglichst alle mal zu uns zu kommen«, berichtet Eva Biallas, die für die musikalische Leitung zuständig ist. »Wir wollten, dass sie wissen, was hier passiert, und keine Angst haben. Also bereiteten wir eine kurze Foto-Präsentation des Kindergarten-Alltags vor und gingen zur Orchesterversammlung. Zwei Kinder hatten wir mitgenommen. Wir erzählten etwas über unser Konzept und darüber, wie wir uns die Besuche der Musiker vorstellen. Aber das Highlight waren die Kinder, Jonas und Karla. Ganz selbstverständlich stiefelten sie in die Versammlung, und Jonas sagte zum Schlagzeuger, der uns in der Woche zuvor besucht hatte: ›Dich kenne ich, du warst schon mal bei uns.‹ Die Musiker merkten, dass die Kinder ganz natürlich mit der Situation umgingen. Das färbte ab, auch auf uns, so dass unsere Botschaft ankam: Kommt zu uns, die Kinder freuen sich darauf und tun weder euch noch den Instrumenten etwas.«
Kontakt
Musikkindergarten Hamburg
Marion Mommsen und Eva Biallas
Lagerstraße 34a · 20357 Hamburg
Tel.: 040/67 38 19 07 · Fax: 040/67 38 19 54
Stiftung Kindergärten Finkenau
Uta und Konrad Mette
Vogelweide 9 · 22081 Hamburg
Tel.: 040/298 30 31 · Fax: 040/298 30 34
www.musikkindergarten-hamburg.com
Der Musikkindergarten Hamburg ist kein Privatkinder-garten, sondern eine Einrichtung der Stiftung Kindergärten Finkenau. Er arbeitet mit dem Kita-Gutschein-Prinzip – also mit einkommensabhängigen Elternanteilen.
www.kindergaerten-finkenau.de
Die Stiftung Kindergärten Finkenau ist gemeinnützig und als freier Träger der Jugendhilfe anerkannt. Sie umfasst 27 Kindertagesstätten in Hamburg (Krippen-, Elementar-, Hort- und Integrationsplätze), die von mehr als 1.400 Kindern besucht werden.
www.hamburgische-staatsoper.de
»Oper fürs Volk« wird die Hamburgische Staatsoper auch genannt, da bis zur Eröffnung des Hamburgischen »Opern-Theatrums« Opernaufführungen ausschließlich dem adligen und höfischen Publikum vorbehalten waren.
www.jungeohren.com
Das Fachportal des Netzwerks Junge Ohren unterstützt seit 2008 Akteure aus Musik, Bildung, Kulturpolitik und -wirtschaft im deutschsprachigen Raum. Als Forum für Experten und Praktiker der Musikvermittlung bietet es allen Akteuren und Interessierten reichhaltige und ortsungebundene Möglichkeiten der Information, Kommunikation und Präsentation.
www.kulturradio.de
Lustige und spannende Geschichten aus der bunten Welt der Musik – komische Instrumente, seltsame Abenteuer, knifflige Rätsel und Hits für Kinder – sind jeden Sonntag im Kulturradio in der Sparte »Klassik für Kinder« beim RBB in der Zeit von 8.04 bis 9.00 Uhr zu hören.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 05/12 lesen.