Lisa Tatz (30) ist studierte Musikerin. Florian Teller (ebenfalls 30) hat seinen Magister in Religionswissenschaften gemacht. Mit ihrem Sohn Jona leben die beiden im grünen Südwesten von Leipzig, ganz in der Nähe des Cospudener Sees. Im Februar besuchte Nora Northmann die Familie in ihrem Zuhause.
Ein sonniger Tag, man kann den Vorfrühling ahnen. Unter kahlen Bäumen stehen bunte Wagen. Florian empfängt uns am Eingang des Wohnwagenplatzes. »Hier sind so viele Kinder, da muss das Tor immer geschlossen werden«, erklärt er.
Falls es hier einmal Wege gab, sind sie längst im Matsch versunken. Der improvisierte Knüppeldamm ist für die kurzen Beine des zweijährigen Jona eine gewaltige Herausforderung. Immer wieder stolpert er. Wenigstens landet er nicht im Matsch. Waschmaschinen gibt es hier nicht.
Lisa und Florian stellen zwischen ihren beiden Bauwagen einen Tisch in die Sonne. Ein Hahn stolziert vorbei. Jona beachtet ihn nicht. Lieber vergnügt er sich mit einer großen Schüssel Russisch Brot, während der Vater Tee kocht und die Mutter den Winter von den Stühlen wischt. Die beiden lernten einander vor sechs Jahren auf dem Platz kennen. Florian war auf der Durchreise nach Chemnitz, um dort Psychologie zu studieren, und übernachtete bei einem Freund. »Chemnitz fand ich doof, Psychologie wollte ich eigentlich auch nicht – also blieb ich in Leipzig und studierte, was mich wirklich interessiert: Religionswissenschaft, Journalistik und Ethnologie.« Während des Studiums trat er bei Straßenfesten als Jongleur und Clown auf. Seine Magisterarbeit war eine empirische Studie zum Thema »Motive des Beitritts und Verbleibs in der Scientology-Kirche«. Den Abschluss in der Tasche, machte er seinen Studentenjob zum Beruf. »Von Kleinkunst zu leben, war leichter für mich, als in einem Büro zu sitzen. Doch ohne den Bauwagen könnte ich es mir nicht leisten, Künstler zu sein.«
Lisa hatte sich schon in ihrer Heimatstadt Braunschweig für ein Leben im Bauwagen entschieden und konnte, als das Musikstudium begann, mit ihrem Zuhause umziehen. Inzwischen ist sie Flötistin und Schlagzeugerin, gibt Unterricht und spielt in der Band »Treibsand«. Manchmal musiziert sie bei Mittelalterfesten, doch eigentlich sind ihr diese Veranstaltungen zu sehr Spektakel und zu wenig Kunst. Der Versuch, gemeinsam mit Florian aufzutreten, schlug fehl. Kleinkunst funktioniert weder mit alter noch mit moderner Musik. Außerdem »kaufen die Leute entweder Musik oder Unterhaltung, nicht beides«.
Man ist nie allein
Es sind nicht nur Künstler, die in den Wagen leben. Die Nachbarn sind Anwalt, Sattler, Gärtner, Krankenschwester, Bio-Professor, Zweiradmechaniker, Erzieher und Lehrer – insgesamt 20 Erwachsene und elf Kinder. Alle kennen sich seit Jahren. Am Anfang waren sie immer zusammen unterwegs, feierten und entwickelten bei gemeinsamen Projekten eine eigene Sprache und ihren eigenen Humor. »Eine Ausnahmesituation«, erinnert sich Florian.
Die Euphorie der ersten Jahre schwand, Normalität stellte sich ein. Die Wagenbewohner gehen arbeiten und haben Familien. Eine kleine Gruppe wanderte nach Brasilien aus, um dort nur von Licht zu leben. Ein Paar ohne Kinder zog fort, weil es ihm zu laut war. Andere siedelten sich im Stadtzentrum an. Jetzt gibt es kaum noch Fluktuation.
Nie richtig allein zu sein, das hat Vor- und Nachteile zugleich. Die Vorteile überwiegen. »Wir machen nach wie vor viel zusammen. Irgendjemand hat immer die spielenden Kinder im Blick. An den Wintersonntagen heizen wir die Lehmsauna, im Sommer ist Kino, es gibt öffentliche Feste und Kulturveranstaltungen«, erzählt Lisa. »Obst und Gemüse kaufen wir beim Bio-Bauern. Und die Gemeinschaftsküche ist sehr praktisch – ich bin ein Kochmuffel.« Lieber schraubt, repariert oder bastelt sie. Gerade hat sie ein Lastenrad zusammengeschweißt: aus einem alten Fahrrad, einem Bettgestell und einem Wasserrohr.
Ihr nächstes Projekt ist nicht ganz so spannend. »Ich muss mein Auto umbauen, damit es weiterhin als Sonder-Kfz und Werkstattwagen laufen darf. Die Polizei meinte nämlich, es sei eher ein halbes Wohnmobil.« Sie lacht. »Das Auto ist Baujahr 1984 und in zwei Jahren ohnehin ein Oldtimer. Dann ist das völlig egal.« Der Wagen fährt mit Frittenfett; da kostet der Liter nur 80 Cent.
www.wagendorf.de
Der Wagendorf-Wiki ist ein freies Verzeichnis von Informationen über alternatives Leben im Wagen und bietet allen Interessierten die Möglichkeit, auch nach gebrauchten Bauwagen zu suchen. Die mehr als 100 Wagenplätze in Deutschland finden Sie über > Karte.
www.kububabu.de
Ein bildhafter Einblick in die Wagenplätze Tübingen von Kuntabunt e.V. und Bambule e.V.. Durchklicken über > Galerie oder > Kultur.
www.eurotopia.de
Mehr denn je sind vielfältige und kreative Alternativen zu unserem Gesellschaftsmodell gefragt. Das eurotopia-Verzeichnis ist das umfassendste und aktuellste Werk über Gemeinschaftsprojekte in Deutschland und Europa. In der aktuellen Fassung stellen sich fast 400 Gemeinschaften und Ökodörfer in 27 Ländern dar: mit ihren Visionen und Zielen, ihren Charakteristika und Besonderheiten. Viele davon finden sich auch über
> Links.
www.wagenbewohner.wordpress.com
»Der Strom kommt nicht aus der Steckdose, sondern von der Sonne« oder »Wie bereite ich eine Tiefkühlpizza in der Pfanne zu?« – ein Blog zum Thema »Leben im Bauwagen« gibt Antwort.
www.autoorganisation.org
Eine frei editierbare Internetplattform, auf der Möglichkeiten für selbstorganisiertes und selbstbestimmtes Leben ohne Lohnarbeit gesammelt und entwickelt werden können. Momentan werden zum Beispiel gerade Informationen für alternative Wohnformen eingestellt, über Umsonstökonomie, Foodcoops, Selbstorganisation und Selbsthilfe im Alltag, über Möglichkeiten selbstbestimmter Arbeit oder Alternativen zu Lohnarbeit und eine Übersicht, wo benötigte Materialien umsonst zu haben sind.