Fragen, nachdenken und spekulieren im Kita-Alltag
Dieses Buch gleichen Titels, geschrieben von Frauke Hildebrandt und Annette Dreier, will zum Gespräch anregen. Es will Erwachsene ermutigen, mit Kindern über Fragen zu diskutieren, die vielleicht nicht gleich auf der Hand liegen. Es will zum Analysieren von Dingen, Ereignissen und Gedanken, zum Forschen nach Ursachen, Motiven, Gründen und Zwecken von Handlungen oder Geschehnissen in unserer Welt und zum Spekulieren darüber anregen.
Das geht ganz leicht: Man kann den Gegenstand des Gesprächs – und sei es ein Regenwurm – gemeinsam beschreiben: seine fühlbaren und nicht-fühlbaren Eigenschaften oder Fähigkeiten. Man kann den Regenwurm mit anderen Tieren oder mit Gegenständen vergleichen. Man kann nach den Ursachen seines So-Seins forschen und gemeinsam darüber spekulieren, wie es wäre, wenn … Menschen wie Regenwürmer lebten.
All das sollten Sie mit Kindern tun. Nicht nur, weil es Freude macht, sondern auch, weil es die Gedanken der Kinder und Ihre Gedanken in Schwung bringt. Man redet miteinander, drückt sich aus und übt sich im Dialog.
Doch wie kann man so fragen, dass Kinder ihre Theorien ausdrücken? Wie kann man das Selbstdenken der Kinder unterstützen?
Besser fragen als in der Schule
Gut zu fragen ist schwer, und der fragend-entwickelnde Unterricht in der Schule ist ein Misserfolg, denn Fragen sind Bitten um Information. Menschen fragen, wenn sie etwas wissen wollen, wenn ihnen eine Information fehlt. Fragt der Lehrer in der Schule, ist das häufig die Perversion der Frage. Er fragt nicht, weil er eine Frage hat, die er mit den Kindern beantworten oder über die er mit ihnen nachdenken will. Vielmehr fragt er, weil er herausfinden will, was die Kinder wissen. Das heißt: Er weiß die Antwort auf die Frage ganz genau und will herausfinden, ob die Kinder sie auch wissen. Kinder sind von klein auf an diese Art von Erwachsenen-Fragen gewöhnt und davon gelangweilt. In Gesprächen versuchen sie meist herauszufinden, was die Erwachsenen hören wollen, was »richtig« ist.
Würde man solche Fragen als Rätselfragen stellen, könnte es Spaß machen, sie zu beantworten. Das Rätseletikett wirkt wie ein Anführungszeichen. Damit wird für alle fassbar, dass ein Spiel gespielt wird, ein Fragespiel, dass man also nur so tut, als würde man fragen.
Im Nachdenkgespräch haben Fragen ohnehin eine besondere Funktion. Primär zielen sie darauf, neue Fragen aufzuwerfen und Selbstverständlichkeiten zu irritieren, um die Präzision der Beschreibung zu erhöhen.
Die beste Voraussetzung für gemeinsames Nachdenken ist, selbst viele Fragen und das Bewusstsein entwickelt zu haben, was man alles nicht weiß. Hinzu kommt die Lust, sich neues Wissen zu erschließen, sich selbstdenkend mit seinen Fragen auseinanderzusetzen.
Gespräche im Kita-Alltag
Wir wissen, dass die Sprachkultur in Kitas, was kognitiv anregende Inter-aktionen betrifft, zu wünschen übrig lässt.1 In größeren Kindergruppen dominieren Sprechakte der Anweisung.2 Als Ursache dafür wird häufig der Betreuungsschlüssel genannt.
In 90 Prozent der Zeit initiieren Erzieherinnen keinerlei Interaktion mit dem Kind.3 Bei den verbleibenden 10 Prozent handelt es sich um Begrüßungen, kurze Fragen und kurze Antworten. Das muss und kann sich verändern.
In welchen Situationen des Kita-Alltags lassen sich kurze Gespräche führen, die das Denken anregen? Wir haben Einstiegsfragen zu unterschiedlichen Schlüsselsituationen gesammelt, die Erzieherinnen dabei helfen können, eigene Nachdenkfragen zu entwickeln und zu stellen. Zum Beispiel:
An- und Ausziehen
An- und Ausziehen kommen im Tagesablauf häufig vor: mindestens zwei Mal pro Kind. Viele Kinder brauchen Unterstützung dabei, und es ergeben sich Eins-zu-eins-Momente, die einen kurzen Dialog zwischen Kind und Erzieherin ermöglichen.
Wir fragten Erzieherinnen, ob diese Situationen tatsächlich zum gemeinsamen Nachdenken genutzt werden können. Einige Kolleginnen meinten, das ginge nicht, denn schließlich wollten viele Kinder gleichzeitig etwas, man könne also nur sehr kurz ins Gespräch kommen, und es lohne sich nicht, eine kognitiv anregende Frage zu stellen. Andere meinten: Es sei zwar nur eine kurze, aber sichere Eins-zu-eins-Situation, in der man schon ein paar Sätze austauschen, eine anregende Frage stellen, also einen Impuls geben könne. Ein langer Gedankenaustausch sei sicherlich nicht möglich, aber auch nicht nötig. Später könne man auf interessante Ideen zurückkommen.
Beschreiben: Was denkst du…?
- Sehen deine beiden Füße eigentlich genau gleich aus?
- Woraus ist deine Jacke eigentlich gemacht?
- Wie wird eigentlich der Stoff gemacht, aus dem dein Schal ist?
- Wie funktioniert so ein Reißverschluss eigentlich genau?Wie geht der Klettverschluss eigentlich zu?
1 Siehe u. a.: Tietze et al. 1998; Wolf et al. 1999
2 Howes/Whitebook 1991
3 Meade 1995