Ein Besuch im Musikkindergarten Hamburg
Am 15. September 2010 wurde der Musikkindergarten Hamburg in den Schanzenhöfen mit Plätzen für 90 Kinder im Krippen- und Elementarbereich eröffnet. Träger ist die Stiftung Kindergärten Finkenau. Ihr Anliegen: Musik als Botenstoff für Bildung nutzen. Kooperationspartner sind Hamburgs Staatsoper und die Philharmoniker.
Gut ein Jahr nach der Eröffnung besuchte Erika Berthold den Kindergarten und wollte wissen, wie die Übertragung funktioniert: Taugt Musik als Botenstoff? Im ersten Teil der Beitragsfolge geht es um das Konzept des Kindergartens.
Zirka 40 Kinder von zwei bis fünf Jahren, Erzieherinnen und vier (!) Erzieher sitzen in der großen Halle im Kreis auf dem Fußboden. Eva Biallas, die für die musikalische Leitung zuständig ist, fragt, wer mit ihr singen möchte. Sofort melden sich 15 Kinder, drei von ihnen dürfen ans Klavier treten und singen mit Frau Biallas: »Hui, hui, hört ihr den Wind…« Alle anderen Kinder und die Erwachsen stimmen in das Herbstlied ein und begleiten es mit Gesten, während vier Kinder aufstehen und kleine Papierdrachen fliegen lassen.
Danach werden die Jüngsten mit einem Lied aus dem Morgenkreis verabschiedet: »Die Krippenkinder stehen jetzt auf und gehen zurück in ihren Raum, tippel, tippel, tippel, tipp…«
Tatsächlich erheben sich alle Kleinen und wandern im Rhythmus des Liedchens los, begleitet von ihren Erzieherinnen und den Blicken der im Morgenkreis Verweilenden. Sie scheinen sich ihres Auftritts, der eigentlich ein Abtritt ist, wohl bewusst zu sein und ihn zu genießen.
Für die älteren Kinder gibt es nun die Tages-Informationen: Eine kleine Gruppe wird im Musik-Raum für eine Aufführung üben. Der Erzieher Josef Zipfl wirbt für sein Angebot »Mit Wasserfarben zu klassischer Musik malen«. Daniel Wöbke fragt: »Wer möchte mit mir die Herbst-Deko basteln? Ein paar Blätterschnüre hängen schon an den Fenstern…« Hannah Thies wird vorlesen, und Christopher Sievers lockt mit Puppentheater. Die Kinder – etliche riefen zwischendurch schon »Ich, ich!« – zerstreuen sich. Manche folgen den Angeboten, andere haben selbst etwas vor.
Feste Bezugsgruppen, offene Räume
Mit Marion Mommsen, der Leiterin des Musikkindergartens, und Eva Biallas lasse ich mich im Büro nieder, einem der wenigen abgeschlossenen Räume mit Blick auf den Eingangsbereich. Man sieht, wer kommt oder geht.
»Mittlerweile haben wir 90 Kinder in zwei Krippen- und drei Elementargruppen. Das sind die Lauschfüchse, die Klangkobolde, die Melodiezauberer, die Rhythmustrolle und die Musikwichtel. Alles Namen, in denen Musik steckt«, eröffnet die Leiterin unser Gespräch. »Für jede Gruppe sind zwei Erzieherinnen oder Erzieher zuständig. Insgesamt sind wir zwölf Leute im Team. Wie alle Kitas, die zur Stiftung Kindergärten Finkenau gehören, arbeiten wir nach dem halboffenen Konzept. Das heißt: Wir haben keine festen Gruppenräume, aber die Kinder gehören zu festen Gruppen und haben ihre Bezugserzieherinnen und -erzieher.«
Bestimmte Aktivitäten finden innerhalb der Gruppen statt, erfahre ich, zum Beispiel die Mahlzeiten oder Ausflüge. In der Zeit dazwischen können die Kinder entscheiden, an welchen Angeboten sie teilnehmen. Da mischen sich die Gruppen dann – bis auf die Krippenkinder. Sie haben feste Räume im Erdgeschoss, allerdings mit Verbindungstüren in die anderen Räume, so dass die Jüngsten die Älteren besuchen können. Und umgekehrt.
Die anderen Räume sind Funktionen zugeordnet. So gibt es den Musikraum, einen Platz, an dem die Kinder Materialien zum Bauen finden, und einen Platz, an dem sie basteln können. Es gibt einen für Rollenspiele mit Puppentheater, Verkleidungskiste und Puppenecke sowie einen zum Forschen mit Zahlen und Buchstaben. All diese Orte finden sich in einem riesigen, untergliederten Raum, darüber eine zweite Ebene, die über zwei Treppen zu erreichen ist. Ein abgeschlossener Raum zum Lesen und für Frühförderung befindet sich in diesem Obergeschoß.
Das Gebäude des Kindergartens gehörte zum Hamburger Schlachthof im Schanzenviertel und war in seinem ersten Leben eine Wartehalle für die Rinder, die… Man ahnt es schon.
Obwohl meine Frage, ob Kinder Angebote ablehnen können, schon im Morgenkreis beantwortet wurde – wer Lust hat, macht mit, wer selbst was vorhat, geht seinen Plänen nach – will ich wissen: »Und was ist mit den Kindern, denen gerade nichts einfällt?«
»Das kommt selten vor«, sagt Marion Mommsen. »Es kann sein, dass ein Kind sich einem Angebot nicht lange widmen will, weil die Konzentration nachlässt. Sie müssen wissen, dass wir viele junge Kinder haben, weil es die Kita erst ein Jahr gibt. Wir haben sehr viele Dreijährige. Das macht sich – bezogen auf das halboffene Konzept – natürlich bemerkbar. Die Kinder müssen ja erst lernen, Entscheidungen zu treffen und sich daran zu halten. Dazu brauchen sie Zeit.«
Die Angebote finden überwiegend vormittags statt. Sie ergeben sich aus den Themen der Kinder, die die Pädagogen wahrgenommen haben oder von denen die Kinder erzählen. Nach dem Mittagessen gehen die Kinder oft auf den Spielplatz oder in den Park. Wer nicht mit möchte, darf im Haus bleiben. In der Regel gehen aber alle Kinder ein Mal am Tag an die frische Luft. Kurz vor 15.00 Uhr trudeln sie wieder in der großen Halle ein, zum musikalischen Nachmittagskreis, von dem später berichtet werden wird.
Begleiten die Erzieherinnen ihre Gruppen? Oder ist jemand für das Lesen, Bauen, Basteln und den Musikraum zuständig, also immer an den entsprechenden Orten anzutreffen?
»Die Erzieherinnen und Erzieher haben Schwerpunkte, ihren Interessen und Fähigkeiten entsprechend«, erklärt Marion Mommsen. »Dorle Räger macht zum Beispiel mit den Kindern viel im Musikbereich. Daniel Wöbke bastelt gern mit ihnen. Mit Christopher Sievers spielen sie Theater. Andere Teammitglieder bieten andere Dinge an. Das heißt aber nicht, dass nur die genannten Personen für diese Bereiche zuständig sind – es mischt sich.«
»Ein Vorteil des halboffenen Konzepts ist, dass es die Funktionsräume und -orte gibt«, ergänzt Eva Biallas. »Das heißt: Man muss nicht überall 20 Scheren vorrätig haben. Nur in einem Raum oder an einem Ort gibt es das komplette Sortiment, das der Funktion dieses Raums oder Orts entspricht. Ein weiterer Vorteil: Die Eingewöhnung fällt leichter, weil die Kleinen sich morgens erst mal in ihren Gruppen treffen, sich orientieren und in Ruhe ankommen können. Außerdem brauchen sie noch mehr Schutz und Begleitung als Fünf- und Sechsjährige, wollen ihre Bezugserzieherinnen um sich wissen. Im Laufe der Zeit öffnen sie sich dann und erobern das Haus.«
Kontakt
Musikkindergarten Hamburg
Marion Mommsen und Eva Biallas
Lagerstraße 34a
20357 Hamburg
Tel.: 040-67381907
Fax: 040-67381954
Stiftung Kindergärten Finkenau
Uta und Konrad Mette
Vogelweide 9
22081 Hamburg
Tel.: 040-2983031
Fax: 040-2983034
www.kitalieder.de
Lieder im Kindergarten singen? Da muss man aufpassen, denn die GEMA möchte inzwischen Gebühren für Notenkopien und Begleitmusik haben. Diese Seite bietet 40 freie Liedernoten und MP3s an, die heruntergeladen und genutzt werden dürfen.
www.kinder-wollen-singen.de
Ein ähnliches Ziel verfolgt dieses Projekt. Lieder, die mit dem Vermerk »Freigegeben« versehen sind, sind gemeinfrei und können beliebig oft genutzt werden. Praktisch: die Kategorisierung nach Anlass, Jahreszeiten und Besonderheiten und Sprache.
www.lieder-archiv.de
Lieder aus zehn Jahrhunderten mit Noten und Texten, darunter die bekanntesten Kinder- und Volkslieder.
www.imslp.org
Das International Music Score Library Project (Internationales Notenbibliothek-Projekt) ist eine virtuelle Online-Bibliothek für gemeinfreie Musiknoten. Noten können nach Komponist, Nationalität, Epoche, Gattung und Melodie gesucht werden.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/12 lesen.