In vielen Gärten, aber auch auf verwildertem Brachland, in Wäldern und auf Wiesen wachsen zahlreiche Nutzpflanzen, von denen wir nur wenige kennen, obwohl sie von unseren Vorfahren seit langem verwendet werden. Hinzu kommen mehr oder weniger viele Züchtungen dieser Pflanzenarten, die der Wildform mitunter kaum noch ähnlich se-hen, aber aufgrund bestimmter Eigenschaften und Inhaltsstoffe für uns heute sehr wertvoll und wichtig sind.
Herbert Österreicher stellt Nutzpflanzen vor, über die es Bemerkenswertes zu berichten gibt und die gerade auch für Kinder interessant sind. Die Serie begann in Heft 5/2009.
Die Bedeutung, die die Kartoffel (Solanum tuberosum) als Nahrungspflanze sowie in zahlreichen anderen Bereichen hat, wird meist unterschätzt, obwohl sie Rang Vier auf der Liste der weltweit produzierten Nahrungspflanzen einnimmt – hinter Weizen, Reis und Mais. Hierzulande sehen viele Menschen in der Kartoffel kaum mehr als eine Sättigungsbeilage.
Ein Multitalent in vielerlei Gestalt
Die Kartoffel gehört wie Tomate1 und Paprika zur Familie der Nachtschattengewächse. Während ihre Früchte, tomatenähnliche Beeren mit den Samen, für uns ungenießbar bis leicht giftig sind, enthalten die unterirdisch wachsenden Speicherknollen neben verschiedenen anderen Inhaltsstoffen vor allem einen sehr großen Anteil Kohlenhydrate. Sie sind der Hauptgrund, weshalb die Kartoffel ein Grundnahrungsmittel für uns Menschen und ein wertvolles Tierfutter ist. Aufgrund zahlreicher unterschiedlicher Arten der Verarbeitung zu Halbfertig- und Fertigwaren ist den Produkten längst nicht immer anzusehen, dass sie aus Kartoffeln hergestellt wurden.
Die heute weltweit über 300 Millionen Tonnen umfassende Kartoffelernte wird auf unterschiedliche Weise auch als nachwachsender Industrierohstoff genutzt. Besonders stärkehaltige Kartoffelsorten werden beispielsweise zur Produktion von Dickungsmitteln aller Art, Tapetenkleister, Kosmetika, Biosprit bis hin zur Herstellung weißer, beson-ders hochwertiger Büropapiere verwendet. Im Jahr 2008 wurden in Deutschland insgesamt rund 1,53 Millionen Tonnen2 Stärke produziert. 42 Prozent der produzierten Stärke stammen aus der Kartoffel.
Fast vergessen ist heute, dass die Kartoffel früher auch in der Volksmedizin eine gewisse Rolle spielte. Der rohe Kartoffelsaft sollte gegen mancherlei Magenbeschwerden helfen. Äußerlich wurde er bei Verletzungen oder Geschwüren angewendet.
Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Kartoffel und die Tatsache, dass diese Pflanze in ihrer südamerikanischen Heimat seit mindestens 8.000 Jahren kultiviert wird, trugen entscheidend dazu bei, dass es weltweit eine riesige Anzahl an Sorten gibt, schätzungsweise 5.000. Den weit überwiegenden Teil finden wir zwar ausschließlich in den Anden, aber auch in Deutschland werden aktuell etwa 200 verschiedene Sorten angebaut. Zudem werden ständig neue Sorten entwickelt.
Die verschiedenen Sorten werden in Gruppen zusammengefasst. Bei uns stehen üblicherweise zwei Eigenschaften im Vordergrund: Reifezeit und Verwendungszweck. Nach der Reifezeit unterscheiden wir zwischen einer sehr frühen, einer frühen, einer mittelfrühen und einer mittelspät bis sehr späten Reifegruppe. Während die Ernte der Frühsorten im Juni stattfindet, werden die Kartoffeln der Spätsorten erst im Oktober oder November geerntet. Je später eine Kartoffelsorte erntereif ist, desto dicker sind die Schalen der Knollen und desto besser lassen sie sich lagern. Frühkartoffeln besitzen hingegen eine dünne Schale und sollten möglichst bald nach der Ernte verzehrt oder verarbeitet werden.
Wichtiger als die Reifezeit ist der Verwendungszweck für uns. Je nach ihren Kocheigenschaften gibt es mehlig kochende Kartoffeln für Klöße, Puffer und Püree, vorwiegend fest kochende Kartoffeln, die in der Küche heute als Allroundkartoffeln eingesetzt werden, sowie fest kochende Kartoffeln, die sich besonders gut als Salatkartoffeln und Bratkartoffeln eignen, weil sie schnittfest sind.
Weitere wichtige Unterscheidungskriterien zur Beschreibung und Bewertung von Kartoffelsorten sind Stärkegehalt, Schalenfarbe, Fleischfarbe, Knollenform und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Pilzkrankheiten wie Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans), eine der gefährlichsten Kartoffelkrankheiten, die große Ernteeinbußen verursachen kann.
Die Beurteilung des Geschmacks ist deutlich schwieriger. Dennoch gibt es nicht wenige Kartoffelliebhaber, die ihre ganz persönlichen Vorlieben pflegen. Auch ihnen ist es zu verdanken, dass die Sortenvielfalt wieder zunimmt: Während das Angebot in den Supermärkten – ähnlich wie beim Apfel3 – ziemlich begrenzt ist, finden wir auf Bauern- und Wochenmärkten mittlerweile deutlich mehr verschiedene Sorten. Besonders Öko-Landwirte bemühten sich in den letzten Jahren darum und vertreiben seltene Sorten auch über das Internet. Schon die Namen der Sorten klingen interessant und verführen zur Geschmacksprobe:
- Red Cardinal: knallrote Schale, innen rot-weiß marmoriert;
- Shetland Black: schwarzviolette Schale, gelbfleischig mit lila Ring;
- Tannenzapfen: längliche, gelbrosafarbene Knolle;
- Blue Salad und Blauer Schwede: beide Sorten sind außen und innen blau;
- La Ratte und Bamberger Hörnchen: beide Sorten haben kleine, gebogene Knollen.
Mit solchen Kartoffeln kann man nicht nur die Speisekarte auf originelle Weise bereichern oder einem Kartoffelliebhaber eine Freude machen, sondern man leistet auch einen Beitrag zum Erhalt der Sortenvielfalt4.
1 Vgl. Heft 6-7/2010
2 Europa: 9,4 Millionen Tonnen
3 Vgl. Heft 1-2/2010
4 Biodiversiät
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/11 lesen.