»Partizipation ist für uns selbstverständlich. Wir fragen die Kinder immer, was sie wollen, nehmen uns Zeit für sie und hören ihnen zu. Das ist doch nichts Neues.«
»Wir können doch nicht alles mit den Kindern diskutieren. Außerdem wollen die das auch gar nicht. Wir haben das mal versucht, aber dabei kam nicht viel Neues heraus.«
Diese Aussagen pädagogischer Fachkräfte zu Beginn von Partizipationsfortbildungen weisen auf unterschiedliche Vorstellungen hin, was Partizipation in Kindertageseinrichtungen bedeuten könnte. Obwohl die grundsätzliche Bereitschaft, Kinder zu beteiligen, groß ist, bereitet die Umsetzung oftmals Kopfzerbrechen oder gerät rasch an Grenzen. Um Kindertageseinrichtungen als demokratische Orte zu gestalten und Kindern Partizipation zu ermöglichen, müssen sich die Fachkräfte also erst einmal darüber verständigen, was sie unter Partizipation verstehen.
Rüdiger Hansen, Raingard Knauer und Benedikt Sturzenhecker beschreiben in ihrem neuen Buch, wie Demokratiebildung von Anfang an gelingt. Eine Leseprobe, exklusiv für Betrifft KINDER-Leserinnen und Leser vorab.
Partizipation von Kindern in Kindertageseinrichtungen – eine erste Begriffsbestimmung
Das Wort »Partizipation« stammt aus dem Lateinischen: »participare« wird mit »teilnehmen, Anteil haben« übersetzt. In der fachlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff bedeutet die bloße Teilnahme (im Sinne von Mitmachen der Kinder bei einem Angebot der Erwachsenen) aber noch nicht, dass die Teilnehmenden auch partizipieren. Partizipieren bedeutet mehr: nämlich mitwirken, mitgestalten, mitbestimmen zu können.
Partizipation als Mitbestimmung bezieht sich auf Entscheidungen und Entscheidungsverfahren sowie auf die Möglichkeiten des Einzelnen, darauf Einfluss zu nehmen. Grundlegendes Merkmal von Partizipation ist die Mitwirkung von Subjekten, also von selbstbestimmungsfähigen Personen, an realen und für den Einzelnen und die Gemeinschaft bedeutsamen Entscheidungen. Was Partizipation ist, definiert Richard Schröder, ehemaliger Leiter des ersten Kinderbüros der Republik »ProKids« in Herten, so: »Partizipation heißt, Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu teilen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden« (Schröder 1995, S. 14).
Bei Partizipation geht es um Entscheidungen
In Kindertageseinrichtungen muss vieles entschieden werden: Wohin geht der nächste Ausflug? Wie wird der Raum gestaltet? Was wird gekocht? Welches Spielzeug wird gekauft? Wer wird die neue Erzieherin? – Aus der Perspektive demokratischer Partizipation stellt sich die Frage, wer über all diese Fragen entscheidet: der Träger, die Leiterin, das Team, die einzelne Fachkraft, die Eltern? Oder entscheiden auch die Kinder mit? Oder können sie sogar allein entscheiden?
Hier wird deutlich: Partizipation ist mehr als freundliches Zuhören und großzügiges Aufnehmen von Kinderwünschen. Partizipation stellt die Frage nach der Verteilung von Entscheidungsbefugnissen und damit die Frage nach der Machtverteilung zwischen Erwachsenen und Kindern. Letztlich geht es darum, wer das Recht hat, an welchen Entscheidungen mitzuwirken, wer dieses Recht erteilt, es versagt oder entzieht.
Partizipation ist keine Spielwiese, sondern meint das Recht von Kindern, sich an realen Entscheidungen zu beteiligen. Angesichts der tatsächlichen Machtverhältnisse in Kindertageseinrichtungen wird anhand dieser Fragen auch deutlich, dass die Beteiligung der Kinder eine freiwillige Machtabgabe der Erwachsenen und eine Bemächtigung der Kinder voraussetzt. Partizipation verweist auf die pädagogische Kernfrage, die jede Pädagogin und jeder Pädagoge für sich grundsätzlich beantworten muss: »Welche Konstellation zwischen ungleichen Partnern halten wir für angemessen?« (Kupffer 1980, S. 19).
Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen
Partizipation eröffnet Kindern das Recht, sich in alle Entscheidungen einzubringen, die ihr eigenes Leben betreffen. Das beginnt meist bei Entscheidungen, die sich auf die Selbstbestimmung des einzelnen Kindes beziehen. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die individuelle sinnliche Wahrnehmung, die Gefühle oder die Bedürfnisse des Kindes Entscheidungen wie die folgenden beeinflussen: »Muss ich eine Jacke anziehen, obwohl mir gar nicht kalt ist?« »Darf ich mit dem Fuß aufstampfen, weil ich wütend bin?« »Muss ich einen Mittagsschlaf machen, auch wenn ich noch nicht müde bin?«
Solche Themen betreffen häufig nicht nur einzelne Kinder, sondern gehen immer wieder in Fragen allgemeiner Regeln und Gestaltungen des gemeinsamen Alltags in der Kindertageseinrichtung über. Indem sie sich in solche Entscheidungen einmischen, machen Kinder von sich aus deutlich, dass sie über sich selbst bestimmen und über die Regelung des Allgemeinen mitreden wollen. Die Erwachsenen sind aufgefordert, dies wahrzunehmen und anzuerkennen – wobei sie durchaus in Konflikt geraten können mit ihren Vorstellungen von Fürsorge für das Kind. Es ist zuallererst die Art und Weise wie derartige subjektbezogene Entscheidungen getroffen werden, die Kindern zeigen, ob und in welchem Maße ihnen Selbst- und Mitbestimmung zugestanden und eröffnet werden.
Älteren Kindern werden Selbstbestimmungsrechte in diesen Bereichen der persönlichen (Selbst-)Verantwortung selbstverständlicher zugestanden. In der Schule fordert in der Regel niemand die Kinder auf, in der Pause eine Jacke anzuziehen oder ihr Butterbrot aufzuessen. Jüngeren Kindern widerfährt hingegen gerade dies alltäglich als unhinterfragte Fremdbestimmung. Mitspracherechte und Selbstverantwortung in diesen und ähnlichen Fragen sind in Kindertageseinrichtungen elementare Partizipationsthemen. Partizipation in Kindertageseinrichtungen zielt nicht nur auf Selbstbestimmung in einer fernen Zukunft ab. Partizipation räumt Kindern Freiräume in der Gegenwart ein. So können sie demokratisches Handeln konkret erfahren und üben.