Psychologische Aspekte
In diesem Beitrag seiner Serie untersucht Thorsten Herbst, welche personellen Bedingungen im direkten sozialen Umfeld eines Kindes kindliche Einsamkeit hervorbringen, sie aufrecht erhalten oder verhindern, ihr angemessen zu begegnen.
Unter welchen psychologisch erfassbaren Bedingungen sind Kinder einsam? Welchen Anteil haben die Personen, die Kinder von Geburt an umgeben? Was benötigen Kinder für eine gesunde Entwicklung, die nicht von nachhaltigen Einsamkeitserlebnissen geprägt ist?
Drei wesentliche Aspekte fördern kindliche Einsamkeit:
- ein zu starkes Abhängigkeitsverhältnis von einer einzigen Bezugsperson ohne alternative soziale Zuwendung im Sinne eines funktionierenden »Beziehungsnetzes«1, das das Abhängigkeitserleben verringern könnte;
- Formen des Selbstwertverlustes, hervorgerufen durch die engste soziale Umwelt;
- die von Geburt an mangelhafte Affektspiegelung seitens bemutternder Bezugspersonen, die zum »Ausschluss vom Selbst«2 führen, in ein »Falsches Selbst«3 zwingen und das Kind somit um die Möglichkeit der gesunden Identitätsentwicklung bringen.
Starke Abhängigkeit, Selbstwertverlust und Identitätsdiffusion können Auslöser kindlicher Einsamkeit sein. Das heißt: Die Möglichkeit, kindliches Einsamkeitserleben zu erzeugen und zu übersehen, ist vom ersten Lebenstag an gegeben.
Zunächst aber geht es um die Frage nach der Mindestqualität für tragfähige, Einsamkeit vermeidende Bindungen zwischen einem Kind und seinen relevanten Bezugspersonen.
Was ist eine gute Bindung?
»Einsamkeit ist das quälende Bewusstsein eines inneren Abstands zu den anderen Menschen und die damit einhergehende Sehnsucht nach Verbundenheit in befriedigenden, Sinn gebenden Beziehungen.«4 Zwei Fragen ergeben sich daraus: Wie sieht eine befriedigende Beziehung aus, wodurch spendet diese Beziehung Sinn? Und was macht den inneren Abstand zu anderen Menschen aus?
Geht man von dieser Definition aus, ist nicht nur die bloße Anwesenheit vertrauter Bezugspersonen für ein Kind von Einsamkeit vermeidender Bedeutung, sondern das Kind muss auch in der Lage sein, sich selbst als mit ihnen verbunden zu fühlen, um daraus Befriedigung und Sinnerfahrung schöpfen zu können. Drei Konzepte erscheinen geeignet, auf diese Qualitäten hin untersucht zu werden.
Zum einen – ein Versuch, eine befriedigende Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem zu beschreiben – wird die Austauschtheoretische Konzeptualisierung5 im Hinblick auf ihre mögliche Bedeutung für das Phänomen der kindlichen Einsamkeit vorgestellt. Zum anderen soll die oben gestellte Frage nach Sinn gebenden Einflüssen in Beziehungen mit dem Selbstwertkonzept von Virginia Satir6 beantwortet werden. Gefragt wird nach Selbstwert schöpfenden und Selbstwert verringernden Verhaltensweisen sowie nach ihren Hintergründen. Zur Qualität der Bindung, zur Bedeutung des Erwerbs reifer Beziehungsfähigkeit und deren Sinn soll die Theorie des sozialen Biofeedbacks durch mütterliche Affektspiegelung7 ansatzweise ausgebreitet und damit die Notwendigkeit belegt werden, als Bindungsperson schon in frühesten Kindheitsphasen besondere Aufmerksamkeitsqualität herzustellen.
1 Elbing 1997, S. 65
2 Herbst 2010, S. 56
3 Winnicott 1960a, zitiert nach Fonagy/Gergely Jurist/Target 2004; S. 202 ff.
4 Schwab 1997, S. 22
5 Margulis/Delerga/Winstead 1984. In: Elbing 1991, S. 65-73
6 Vgl. Satir 1999
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/11 lesen.