Es ist etwa 10.00 Uhr morgens. In der Krippe Gleiwitzer Strasse in Mainz startet in Kürze die zweite von vier Mahlzeiten. Bianca, die Erzieherin, nimmt das Tablett und sagt: »Ich möchte jetzt mit euch Obst essen.« Die Kinder wissen Bescheid: Bianca kündigt die »Obstrunde« an, während sie die Äpfel und Bananen schält und schneidet.
Morten, 23 Monate alt, schiebt einen kleinen Hocker zum Tisch und setzt sich darauf. Bianca stellt das Tablett mit den Gläsern, Tellern und dem Obst auf einen Schrank, der für die Kinder unerreichbar ist. Dann räumt sie einen bunten Plastikstab vom Tisch in den Spielbereich. Außerhalb der Essenzeiten wird hier nämlich auch gespielt.
Lucie, 30 Monate alt, die den Stab zum Esstisch mitgebracht hatte, steht sofort auf, schwingt sich über das niedrige Möbel, das den Ess- vom Spielbereich trennt, und holt sich ihr Spielzeug wieder. Dabei wirft sie Bianca einen triumphierenden Blick zu.
Bene, zweieinhalb Jahre alt, tut es Lucie nach und holt sich ebenfalls einen bunten Stab zum Spielen an den Esstisch. Ein fröhliches Trommelkonzert beginnt.
Regeln und Zeiten
Bianca kehrt mit zwei kleinen Glaskannen zurück und stellt sie neben das Tablett. Dann nimmt auch sie ebenfalls am Tisch Platz, an dem inzwischen alle fünf Kinder sitzen. Sie bittet Lucie und Bene, ihr Spielzeug entweder wegzubringen oder es ihr zu geben. Während sie das sagt, hält sie ihre geöffnete Hand deutlich sichtbar hin.
Die Regel ist: Kein Spielzeug beim Essen am Tisch. Ausnahmen werden für neue Kinder gemacht, die sich noch fremd fühlen. Sie dürfen ihr vertrautes Spielzeug neben oder unter ihren Sitz legen.
Doch Lucie und Bene sind schon längere Zeit in der Krippe und kennen die Regeln. Weil sie sich sicher fühlen, spielen sie mit den Regeln. Während Bene seinen Stab mit Schwung in den Spielbereich befördert, beginnt Lucie schelmisch ein Geben-Nehmen-Spiel. Das Mädchen hält seinen Stab vor Biancas geöffnete Hand, zieht ihn aber sofort wieder zurück und versteckt ihn unter dem Tisch. Bianca wiederholt ihre Bitte und akzeptiert zwei Runden Spiel. Danach bietet die Erzieherin eine Alternative an: »Du kannst dort drüben weiterspielen oder hier am Tisch essen.« Vor diese Entscheidung gestellt, gibt Lucie ihr Spielzeug ab. Die Obstrunde kann beginnen.
Von 8.30 bis 9.00 Uhr gibt es für die Kinder ein gemeinsames Frühstück. Es soll möglichst ruhig und ungestört verlaufen. Deswegen werden die Eltern gebeten, sich darauf einzustellen und die Kinder entweder vorher oder nachher zu bringen. Das Mittagessen wird um 11.00 und um 11.30 Uhr angeboten. Ab 12.00 Uhr beginnt die Ruhezeit der Kinder. Ab 14.30 Uhr gibt es einen Nachmittagsimbiss. Zwischen diesen Zeiten stehen den Kindern nur Getränke wie Tee oder Wasser zur Auswahl.
Rituale und Wünsche
Heute Morgen spielen die Kinder in altershomogenen Gruppen. Susanne, die zweite Erzieherin der Gruppe, ist mit den sechs älteren Kindern in den Bewegungsraum gegangen, der zwei Stockwerke tiefer liegt. Alles für die Obstrunde Notwendige hat sie in einem Korb mitgenommen. Es wäre zu viel Aufwand, wenn die Zweieinhalbjährigen für die Obstmahlzeit in den Gruppenraum zurückkehren müssten.
Kein Kind muss zur Obstrunde an den Tisch kommen. Wer nicht mag, kann weiterspielen. Doch die Mahlzeit ist offenbar ein angenehmes Ereignis, das mit Freude erwartet wird. Alle Kinder sind sofort gekommen, als sie gerufen wurden.
Bianca wischt zunächst den Tisch ab, als Zeichen dafür, dass er jetzt ein Esstisch ist. Sie bittet die Kinder, die Arme hochzunehmen. Sofort fliegen alle Arme in die Luft; die Kinder machen ein Bewegungsspiel daraus. Mit lautem Patschen lassen sie ihre Hände wieder auf die Tischplatte fallen und freuen sich an den Geräuschen.
Nun bittet Bianca Charlotte, die Jüngste, die neben ihr sitzt, ihr die Ärmel hochkrempeln zu dürfen. Charlotte ist einverstanden und hält ihre Arme hin. Alle anderen Kinder fangen nun ebenfalls an, sich die Ärmel hochzukrempeln. Bianca hilft dabei. Dann steht sie noch mal auf und rückt zwei Kindern die Hocker zurecht. Stabiles Sitzen ist die Voraussetzung dafür, dass ein Kleinkind entspannt am Tisch essen kann.
Lätzchen werden erst beim Mittagessen verwendet, und alle Kinder können schon so geschickt aus dem Glas trinken, dass keines Gefahr läuft, seine Kleidung dabei zu durchnässen. Doch das Eingießen beherrschen die Kinder noch nicht. Deswegen teilt Bianca die Getränke aus. Sie stellt die beiden kleinen Glaskannen, die mit Deckeln verschlossen sind, vor sich hin und fragt jedes Kind, ob es Tee oder Wasser haben möchte.
Die meisten Kinder können schon sich mit Worten verständlich machen. Einige zeigen auf das gewünschte Getränk. Auch Schorle, eine Mischung aus Tee und Wasser, wird auf Wunsch eingegossen. Jedes Kind nimmt sein Glas, das nur zu einem Drittel gefüllt wurde, sofort in beide Hände und trinkt.
Elisabeth C. Gründler
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04-05/09 lesen.