Teil 3 – Autonomie und Selbstständigkeit:
Toilette und Wickeln
Demokratie und Krippengruppe sind zwei Begriffe, die zunächst nicht unbedingt miteinander in Verbindung gebracht werden. Aber wo und wann fängt Demokratie an? Im Kindergarten? Im Hort? In der Schule? Oder mit der ersten Wahlbeteiligung bei erreichter Volljährigkeit?
Erkenntnisse aus der Evaluation des Projektes »Demokratie leben in Kindergarten und Schule«1 zeigen, dass Grundlagen für eine demokratische Alltagskultur tatsächlich bereits in der Kinderkrippe gelegt werden können. Wie dies aussehen kann, beleuchtet Michael Priebe. Seine Beitragsserie begann in Heft 8-9/08.
Der Begriff Autonomie wird vom Duden und anderen Nachschlagewerken mit Selbstständigkeit übersetzt. Für den pädagogischen Bereich ist dies jedoch nicht nur ungenau, sondern sogar irreführend, da Selbstständigkeit etwas anderes meint als Autonomie.
Selbstständigkeit bezieht sich auf funktionale Aspekte, also auf das, was ein Kind »schon allein kann«. Es kann sich zum Beispiel selbstständig anziehen, selbst Essen auffüllen und mit Besteck essen, muss also nicht gefüttert werden.
Autonomie meint aber, die beschriebenen Vorgänge selbstbestimmt durchführen zu können. Zur Selbstbestimmung gehört vor allem die eigene Motivation, zum Beispiel: den Zeitpunkt selbst zu bestimmen.
Der Zeitpunkt und die Dauer
Wenn sich ein Kind schon allein die Hose herunterzuziehen und sich auf die Toilette setzen kann, dann ist es in der Lage, den Toilettengang selbstständig zu bewältigen. Wird der Zeitpunkt des Toilettengangs aber von der Erzieherin oder durch feste Toilettenzeiten bestimmt, zu denen die ganze Gruppe auf die Toilette geht, darf das Kind dies also nicht aus eigenem Antrieb tun, wird ihm die Autonomie über seine Ausscheidungsprozesse genommen. In diesem Fall werden lediglich die Erzieherinnen durch die Selbstständigkeit des Kindes entlastet, da es den Vorgang allein bewältigen kann. Erst wenn es den Zeitpunkt selbst bestimmen darf, kann es den Toilettengang auch autonom durchführen und hat dadurch die Autonomie über seine Ausscheidungsprozesse.
Selbstverständlich sollte auch die Selbstständigkeit eines Kindes gefördert werden, damit es nicht von der Hilfe der Erwachsenen abhängig bleibt. Außerdem wird es dadurch in seiner Autonomie gestärkt, denn fehlt Selbstständigkeit, ist die Gefahr größer, dass Autonomie verhindert wird. Trotzdem kann ein Kind auch ohne Selbstständigkeit seine Ausscheidung autonom steuern, wenn ihm zugestanden wird, dass es die Toilette selbstbestimmt aufsucht, auch wenn ihm bei dem Vorgang noch geholfen werden muss.
Aber nicht nur den Zeitpunkt, sondern auch wie lange ein Kind auf der Toilette oder dem Töpfchen sitzt, sollte es selbst bestimmen können.
Lob und Tadel
Auch Lob und Tadel können Autonomie einschränken. Es kommt zwar nicht mehr häufig vor, dass Kinder ausgeschimpft werden, wenn sie nichts ins Töpfchen gemacht haben, aber in der Evaluation wurde beobachtet, dass Erzieherinnen Kinder loben, wenn sie etwas hinein gemacht haben. Lob kann ebenso wie Tadel als Mittel der Manipulation eingesetzt werden.
Es ist natürlich etwas anderes, wenn ein Kind stolz den Inhalt des Töpfchens zeigt. In einem solchen Fall sollte man schon Anerkennung ausdrücken. Aber überschwängliches Loben mit dem Zweck, das Kind zu einer erwünschten Leistung hin zu konditionieren, sollte unterbleiben.
Der Ausscheidungsprozess ist eine ureigenste Angelegenheit des Menschen, und ich nehme dem Kind ein großes Stück seiner Selbstbestimmtheit, wenn ich seine Ausscheidung zur meiner Angelegenheit mache. Will ich erreichen, dass das Kind schnell »sauber« wird, damit das Windelnwechseln entfällt? Oder handelt es sich dabei um übertriebenen erzieherischen Ehrgeiz, das Kind möglichst schnell selbstständig werden zu lassen?
Was es auch sei – man sollte den hohen Preis bedenken, den genommene Autonomie einfordert. Nach Freuds psychoanalytischer Entwicklungstheorie führt besonders der unangemessene Eingriff in die Ausscheidungsprozesse des Kindes zur Ausbildung des so genannten analen Charakters, der zu Zwangsneurosen führen kann, zu Pedanterie und Intoleranz.
Entwicklungspsychologische und körperliche Aspekte
Der Zeitpunkt, ab dem ein Kind etwas selbstständig ausführen kann, hängt von seiner körperlichen, kognitiven und emotionalen Entwicklung ab. Beim Toilettengang bedeutet das, dass das Kind körperlich so weit sein muss, seine Schließmuskeln für Darm und Blase kontrollieren zu können, sonst ist es sinnlos, es auf das Töpfchen zu setzen. Es muss aber kognitiv auch in der Lage sein, zu verstehen, was von ihm erwartet wird. Und es muss außerdem die emotionale Reife haben, den Drang zur Ausscheidung zurückzuhalten, bis es auf dem Töpfchen sitzt oder – umgekehrt – bereit sein, loszulassen, wenn es auf dem Töpfchen sitzt.2
Das Streben nach Autonomie an sich ist von Anfang an vorhanden. Aber es gibt entwicklungspsychologische oder körperliche Aspekte, die beachtet werden müssen, damit ein Kind nicht überfordert wird. In der Regel wird das Kind das Tempo der Entwicklung selbst bestimmen und signalisieren, was es schon allein können möchte. Dass dann nicht alles von Anfang an gelingt, ist klar und wird bei geduldigen Erzieherinnen auf Verständnis stoßen.
Kleine Kinder brauchen also Zeit und Raum, um sich und ihre Fähigkeiten auszuprobieren.
Dazu gehört auch, zuzulassen, wenn ein Kind sich wiederholt an- und auszieht und sich auf das Töpfchen oder die Toilette setzt. Dieser spielerische Umgang mit dem Töpfchen bietet dem Kind die Möglichkeit, sich im eigenen Tempo mit der Thematik vertraut zu machen.
1 Siehe auch: Höhme-Serke, E.; Behring, E.; Beyersdorff, S.: Fünf Prinzipien der Demokratie in der Kita. Erfahrungen des Projekts »Demokratie leben«. Betrifft KINDER, Heft 6-7/08, S. 6ff.
2 Vgl. Gerber & Johnson, 2002
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11/08 lesen.
www.makista.de
Im Verein »Macht Kinder stark für Demokratie!« – kurz: Makista – haben sich Menschen zusammengeschlossen, die seit vielen Jahren für Kinderrechte aktiv sind. Makista will dazu beitragen, dass Kinder von klein auf Respekt erfahren, Demokratie leben und lernen.
www.gutfuerkinder.de
Auf dieser Webseite stellt die Sparkassen-Finanzgruppe im Rahmen der Kampagne »Du bist Deutschland« unter dem Motto »Ideen verändern die Welt« jeden Tag eine neue Idee zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland vor. Jeder kann mitmachen, und es sind einige interessante Ideen für eine kindgerechte, demokratische Gesellschaft zu finden.
www.kinderrechte-ins-grundgesetz.de
Das Aktionsbündnis Kinderrechte (UNICEF, Deutscher Kinderschutzbund, Deutsches Kinderhilfswerk) fordert die Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat dazu auf, die Rechte der Kinder im Grundgesetz zu verankern. Unterstützen kann man den Aufruf auf einer virtuellen Unterschriften-Liste im Netz.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11/08 lesen.