Eine Ausstellung über deutsche Reggio-Projekte
Im April dieses Jahres zog die Ausstellung »Lust am Lernen – Reggio-Pädagogik praktisch« im Franz-Hitze-Haus in Münster unerwartet viele Besucherinnen und Besucher an. Deshalb denkt das Ausstellungsteam darüber nach, ob es eine Wanderausstellung geben soll.
Mit der Frage nach der Entstehung von Projekten mussten sich die Projektleiterinnen während der Ausstellung häufig auseinander setzen. Es stellte sich heraus – wie sollte es auch anders sein –, dass es keine eindeutigen Antworten gibt. – Hildegard Wies berichtet.
»Wie ist das große Loch in das Ohr gekommen?«
»Welche Schuhgröße hat ein Mammut?«
»Was ist ein Recht?«
»Wie geht eine Beerdigung?«
Fragen, die Erzieherinnen aufhorchen lassen, weil es die zentralen Anliegen der Kinder sind.
So können Projekte entstehen. Aber es geht auch ganz anders.
Einfühlsames Beobachten veranlasst Erzieherinnen, sich im Kleinteam darüber Gedanken zu machen, was die Kinder bewegt. Am Ergebnis ihrer Überlegungen werden die Kinder beteiligt. Sie entscheiden darüber, ob die Erzieherinnen mit ihren Vermutungen richtig liegen und ob sie Lust haben, ein Projekt zu machen.
»Hurra, wir haben ein Projekt!« ruft Niklas nach der Abstimmung, als das Projektthema feststeht. Er freut sich. Zusammen mit den anderen Kindern beginnt für ihn eine schöne und spannende Zeit des Lernens.
Der Flirt mit dem Objekt
In der Skulpturenausstellung, im Sommer 2007 in Münster, begeistert sich eine Erzieherin für die Skulptur »Square Depression« von Bruce Naumann. Bei einem Spaziergang führt sie die Kinder zu ihrer Lieblingsskulptur und ist gespannt auf deren Reaktion.
Die Kinder erleben das Kunstwerk mit allen Sinnen. Sie begehen es ehrfürchtig und vorsichtig, sie rennen darin herum, sie hocken sich hin, sie legen sich hinein – alles ist verschwunden, sie sehen nur noch den Himmel über sich und fühlen die Skulptur unter sich: Augen zu, Augen auf, riechen am Beton, streichen über die Fläche, rufen, flüstern, singen und schweigen. Sie drehen sich, laufen bis zum äußersten Rand der Pyramide und wieder zum Mittelpunkt. Dort verweilen sie, andächtig und in sich selbst versunken.
Die Kinder sind sich sicher: So etwas brauchen wir auch. Das bauen wir.
Es gibt im Verlauf des Projekts keine Fragestellung und keine Zielvereinbarung unter den Kindern, die sie kapitulieren ließe. Ihre Antworten und Aktionen lassen dem Staunen Raum und gebären neue Fragen. Sie nennen ihre Entdeckung und ihr Projekt die »Andersherum-Pyramide«. Sie sind verliebt in ihr Projekt, verlockt von einem Kunstwerk und verführt von der Idee einer Erzieherin.
Der Zauber des Anfangs
Jedes der acht ausgestellten Projekte hat eine andere Ausgangssituation. Ein Projekt kann buchstäblich hinter der nächsten Ecke auftauchen: Erlebnisse mit der Familie, die Kinder nach dem Urlaub mit in die Kita bringen, eine Abkürzung bei einem Spaziergang, die über den Friedhof führt, ein neuer Ohrring. Eine Erzieherin bringt aus dem Urlaub einen Kunstkatalog und ein Bilderbuch über Miro mit, weil sie sich von den Werken des Künstlers hat einfangen lassen. Es entsteht ein Projekt, in dem die Kinder neugierig nach der Person des Malers fragen und sich mit seinem Werk auseinander setzen. Im Verlauf des Projekts arbeiten die Kinder im Atelier und lassen sie sich von Miro und seiner Kunst zu eigenen Werken inspirieren.
»Was ist ein Recht?« Diese Frage taucht auf, weil die Kinder das Durcheinanderreden im Kinderparlament ätzend finden. Der Kita-Zivi mutet ihnen zu, sich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung auseinander zu setzen. Die Kinder legen fest, wie sie selbst dieses Grundrecht ausüben wollen, und klären für sich, welche Voraussetzungen dazu notwendig sind.
»Das Recht ist der König, und die Regel ist der Diener«, sagt Friedrich, sechs Jahre alt, und hat damit eine schlüssige Erklärung für sich und die Kinder gefunden.
Entscheidend ist das Hin- und Zuhören der Erwachsenen, die bereit sind, sich auf die Anliegen der Kinder einzulassen und sie bei ihren Fragen zu begleiten. Ein Projekt lebt vom Dialog.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/08 lesen.