In der Vorweihnachtszeit besinne ich mich meiner Sinne, um mich dem Irrsinn des Dekorationswettbewerbs zu entziehen. Wie viel Zeit, Geld und Energie plötzlich zur Verfügung steht, wie viel Aufwand und Mühe dafür verwendet wird, die Wohnung, den Garten, Fenster, Tische und Regale mit allerlei merkwürdigem Leuchtkörpern, Tand und Flitter zu verzieren!
Goldene und äußerst dekorativ geflügelte Wesen mit und ohne Leib, aus Holz, Keramik, Plastik, Pappe und Glas, hängend, sitzend oder schwebend, in allen Farben und Größen, bekleidet oder unbekleidete, musizierend, lesend, singend – ganze Heerscharen dieser Wesen geraten in mein Blickfeld. Manche behalten ihren Schick, manche werden unmodern.
Nicht nur männliche Figuren in allen Varianten von Rottönen gesellen sich zu den Geflügelten, sondern Girlanden, Ketten, Sträuße, Getrocknetes, Silbernes, Glockiges und Glänzendes schmücken die Stuben. Decken, Kissen, Taschen, Servietten, Kästchen, Kistchen, Dosen, Flaschen, Mützen, Stifte, Tassen und andere Gebrauchsgegenstände ziert festliches Design. Wohin das Auge, das Ohr und die Nase reicht – alles ist so weihnachtlich, dass das Herz übergeht. In den Kreativläden klingeln die Kassen.
Erwachsene und Kinder finden unendliche Möglichkeiten, sich zu betätigen. Vorgestanztes, Schablonen, Bastelanleitungen gibt es in Hülle und Fülle.
Ich habe mir all das längst übergesehen und versuche, es zu übersehen, was eine beachtliche Nicht-Wahrnehmungsleistung ist. In meiner Kindheit gab es wenig dergleichen. Ein duftender Adventskranz, ein Kalender ohne Schokolade und ein Herrenhuter Adventsstern erhellten die dunkle Zeit des Wartens. Ich erinnere mich, wie mein Vater zum ersten Mal eine Kokosnuss mitbrachte. Sie wurde mit viel Aufregung und Anstrengung zersägt, nachdem wir die Milch abgelassen hatten. Ich durfte das Loch dafür bohren. Das Beste aber war das feste Fleisch der Nuss. Es schmeckte nach Afrika, Affen und Krokodilen.
Heute liebe ich Stillleben. In der Kunst bezeichnet man damit die Darstellung lebloser oder unbewegter Dinge in einer vom Maler ausgewählten ästhetischen Anordnung. Für mich gehören ab Dezember kleine, rote Äpfel, Mandarinen mit Blättern, Walnüsse und Granatäpfel dazu.
Der Granatapfel ist erst ziemlich spät in mein Leben getreten. Das erste Mal sah ich einen Baum, an dem diese paradiesischen Früchte hingen, in Griechenland. Die Früchte faszinierten mich wegen ihrer roten Farbe, ihrer glatten Haut, wenn sie frisch und prall ist, ihrer Geschichte und Herkunft, ihres Geschmacks und ihres fantastischen Innenlebens. Auf einem Bild von Abraham Brueghel, 1670 gemalt, entdeckte ich sie wieder.
Jahre später fragte ich Paula (8), ob sie Granatäpfel kennt, und bat sie, mir einen für diese Zeitschrift zu malen. Tatsächlich bekam ich einige Tage später ein Bild. Paula war allein zum Supermarkt gegangen und hatte mit Hilfe eines Verkäufers einen Granatapfel ausfindig gemacht, ihn gekauft, genau betrachtet, die vielen Kerne bestaunt und gekostet. Er schmeckte nach Vorweihnacht.
Es ist übrigens eine Kunst, einen Granatapfel zu essen. Die fleischig ummantelten Samen kann man entweder mit den Fingern oder mit einem Löffel gut herauslösen und gleich verzehren oder für Süßspeisen verwenden. Oder man halbiert die Frucht horizontal, ritzt die Schale an den dünnen Häutchen ein und zerbricht sie sternförmig. Kenner genießen den Saft des Granatapfels auf folgende ursprüngliche Art: die Schale weich kneten, ein Loch in die Frucht stechen und den Saft anschließend direkt in den Mund pressen.
Granatäpfel sind sehr gesund. Sie enthalten viele wertvoll Stoffe, die für das Zellwachstum wichtig sind, aber auch Kalium, Vitamin C, Kalzium und Eisen.
Eine gesunde, sinnenfrohe Vorweihnachtszeit mit Granatäpfeln wünscht
Dagmar Arzenbacher
Über Granatäpfel
Der Name des Granatapfels geht auf granae, das lateinische Wort für Kerne oder Körner, beziehungsweise auf deren große Anzahl (granatus = körnig, kernreich) zurück. Den lateinischen Namen punica bekam er im Römischen Reich, da die Phönizier (auch Punier genannt) diese Pflanze, oft aus religiösen Gründen, verbreiteten. Aufgrund seiner vielen Kerne wurde der Granatapfel zum Symbol für Leben und Fruchtbarkeit, aber auch für Macht (Reichsapfel), Blut und Tod. In Griechenland ist es noch heute Sitte, zur Hochzeit einen Granatapfel in der Wohnung des Paares auf den Boden zu werden, damit er platzt und seine Kerne herausspringen. Er soll dem Brautpaar Glück, Wohlstand und Kindersegen bringen.
Der Granatapfel oder Grenadine (Punica granatum) ist ein sommergrüner Laubbaum. Er kann bis zu 15 Meter Höhe erreichen, wird bis zu 3 Meter breit und hat an der Spitze stumpfe, etwa 10 Zentimeter lange, glänzende Blätter. Im Frühjahr und Sommer trägt er an den Zweigenden große, trichterförmige, achtzählige, orangerote Blüten, gefolgt von den apfelähnlichen, anfangs grünen und später orangeroten Früchten. Sie werden in den Monaten September bis Dezember geerntet.
Der Granatapfelnaum kann einige 100 Jahre alt werden. Er wächst im westlichen bis mittleren Asien. In Indien wird er auch als Gewürz angebaut.
Schale und Saft des Granatapfels liefern seit Jahrhunderten Farbstoffe für Orientteppiche. Kocht man die Frucht, erhält man pechschwarze Tinte. Aus dem Extrakt der Wurzeln des Granatapfelbaums können mit Eisenbeize tief dunkelblaue Farbtöne erzeugt werden.
Der Granatapfel in den Religionen
Der Granatapfel ist das Symbol der syrischen Göttin Atargatis.
Auch im Alten Testament der Bibel wird die Frucht mehrfach erwähnt: Der Granatapfel soll 613 Kerne haben, genauso viele Gesetze enthält das Alte Testament.
Im antiken Griechenland wurde der Granatapfel den Gottheiten der Unterwelt, Hades und Persephone, zugeschrieben. Hades entführte Persephone. Doch Göttervater Zeus beschloss, das Mädchen dürfe zu seiner Mutter zurückkehren, wenn es in der Unterwelt nichts gegessen habe. Kurz vor der Rückkehr drückte Hades sechs Granatapfelkerne in Persephones Mund. Da sie nun doch etwas gegessen hatte, musste sie ein Drittel des Jahres bei Hades in der Unterwelt bleiben, die anderen zwei Drittel durfte sie bei ihrer Mutter Demeter verbringen.
Den Streit der griechischen Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite, wer die Schönste sei, beendete der Trojaner Paris, indem er Aphrodite einen Granatapfel überreichte.