oder ... Woran kann man was erkennen?
Evaluation in der pädagogischen Praxis – ein Schreckgespenst?
Fremde kommen ins Haus, richten spitze Blicke, stellen bohrende Fragen, und im ungünstigsten Moment taucht eine unzufriedene Mutter, ein uninformierter Vater auf. Kein schönes Szenario...
Die IQUE-Erfinderin Ulrike Ziesche erklärt, wie es anders gehen könnte.
Ulrike Ziesche: Die Selbstüberprüfung hat bei IQUE schon früh eine Rolle gespielt, denn in unseren Qualitätsentwicklungsdokumenten ist die Überprüfung der Umsetzung vorgesehen. Und zwar so, dass die Leiterinnen das mit den Kolleginnen gemeinsam tun, im Team. Vorgesehen ist auch, dass mit dem Abschluss von Qualitätsvereinbarungen zwischen dem Träger und der Kita-Leitung ein regelmäßig funktionierendes Überprüfungssystem installiert wird.
Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass diese Instrumente für Kitas nicht immer ausreichen. Entweder nimmt der Träger seine Verantwortung nicht wirklich wahr, oder die Überprüfung geht im Kita-Alltag unter.
Deshalb haben wir überlegt, welche Wege es gibt, Kitas darin zu unterstützen, ihre Arbeit selbst zu überprüfen. Dabei sind wir auf das Peer-Review-Verfahren gestoßen, das im sozialpädagogischen Bereich relativ neu ist. Vorwiegend wird es im wissenschaftlichen und im journalistischen Bereich genutzt.
Peer-Review kann man mit Kreuz-Gutachten übersetzen. Es handelt sich um die Bewertung eines Prozesses oder eines Objekts durch Fachkundige, die einander ebenbürtig sind. Häufig sind die zu begutachtenden Objekte anonymisiert, werden den Peers zur Verfügung gestellt, die sich damit beschäftigen und ihre Rückmeldungen geben. Die Rückmeldungen wiederum dienen dazu, die Qualität des Objekts, Prozesses oder Beitrags zu erhöhen.
Im pädagogischen Bereich geht es aber nicht um Schriftliches, sondern um das Handeln. Außerdem: Oft genug kamen Externe, meist Wissenschaftler, schauten nach, was in ihren Modellprojekten oder anderswo passiert, und bewerteten. Das hatte in der Praxis, um es mal vornehm zu sagen, nicht immer eine nachhaltig positive Wirkung.
Ulrike Ziesche: Richtig. Wenn ich als Wissenschaftlerin in eine Kita gehe, habe ich mein Interesse. Ich habe eine Hypothese und will sie bestätigt oder nicht bestätigt wissen.
Hier geht es aber um etwas anderes. Kita-Teams möchten ihre Einrichtung weiterentwickeln und holen sich fachkundige Augen, Ohren und Sinne in die Einrichtung, die das wahrnehmen, was läuft, und ihnen eine Rückmeldung geben. Ausgangspunkt ist also das eigene Interesse. Deshalb werden die Rückmeldungen ganz anders auf- und angenommen.
Das Peer-Review-Verfahren ist Teil des IQUE-Evaluations-Verfahrens, das wir unseren Partnern ab 2007 anbieten werden. Es setzt den Selbst-Report voraus.
Im Selbst-Report beschreibt ein Team anhand bestimmter Kriterien, die wir im IQUE-Prozess eingeführt haben, die Qualität seiner Arbeit. Der Selbst-Report wird dem Peer-Review-Partner zur Verfügung gestellt, so dass er, wenn er in die Kita kommt, kritisch nachfragen kann: Wie geschieht dies oder das, von dem ihr sagt, dass es Standard ist, tatsächlich bei euch? Woran kann ich das erkennen?
Woran kann man etwas erkennen?
Ulrike Ziesche: Man kann etwas erkennen, weil es dokumentiert oder im Alltag sichtbar ist, zum Beispiel in den Räumen. Man kann etwas erkennen, weil es in der Art und Weise spürbar ist, in der Erwachsene mit Kindern umgehen.
Es geht um die Kriterien, von denen ein Team sagt: Das ist bei uns erfüllt, so arbeiten wir. Diese Kriterien sind Gegenstand der Überprüfung, aber nicht durch irgendwelche heiligen Zampanos, sondern es sind Kolleginnen aus anderen Kitas. Übrigens müssen es nicht zwangsläufig Leiterinnen sein.
Wir empfehlen, dass jede Einrichtung, die einen IQUE-Prozess durchlaufen hat, zwei Personen zu IQUE-Auditorinnen ausbilden lässt. Das heißt, es gehen immer zwei Menschen in eine Kita und führen die Überprüfung durch.
Voraussetzung ist, dass die Auditorinnen das IQUE-Konzept kennen?
Ulrike Ziesche: Ja. Zwischen den Beteiligten muss ein Grundverständnis bestehen.
IQUE ist im Laufe der Jahre ein System mit Zielen, Leitsätzen und Indikatoren sowie Bestandsaufnahmen dessen geworden, woran weitergearbeitet werden soll oder was gut gelungen ist. Es gibt Dokumente, die all das widerspiegeln und Arbeitsinstrumente für die Teams sind. Diese Dinge sind die Grundlage, die es ermöglicht, sich auf etwas Gemeinsames zu beziehen.
Im Selbstreport steht zum Beispiel unter Dokumentation: »Wir dokumentieren unsere Qualitäts- und Personalentwicklung regelmäßig im Dokumentations-Ordner.« Darunter steht »Bestandsaufnahme: Ja, nein, unregelmäßig.« Oder ein anderes Beispiel: »Wir erarbeiten methodische Schritte im Team. Bestandaufnahme: Ja, nein, unregelmäßig.« Es gibt also einen Methoden-Konsens, auf den sich die Partner beziehen können.
Geht es bei der Evaluation um bestimmte Bereiche der Kita-Arbeit? Oder steht alles auf dem Prüfstand?
Ulrike Ziesche: Die Themen, um die es geht, werden dem Selbstreport entnommen.
Als erstes geht es um die Grundhaltung: »Woran kann man in unserer Einrichtung erkennen, dass wir die im entsprechenden Leitsatz beschriebene Grundhaltung leben?« Im Selbstreport erklärt das Team, woran man das erkennen kann, und darauf beziehen sich die Auditorinnen.
Der zweite Punkt im Selbstreport ist die Bestandsaufnahme. Da steht: »Zu folgenden Leitsätzen haben wir im Team eine differenzierte Bestandaufnahme durchgeführt.« Wenn das Team schreibt, dass dies zum Beispiel zu Leitsatz 2 geschah, muss das im Dokumentations-Ordner nachweisbar sein. Das heißt, es gibt eine Struktur, an der die Teams und die Auditorinnen sich orientieren können. Etwas völlig Überraschendes kann also nicht passieren.
Demzufolge ist denkbar, dass ein Team sagt: Zu diesem oder jenem Punkt können wir uns im Selbstreport noch nicht äußern, denn wir sind noch nicht so weit.
Ulrike Ziesche: Richtig. Der Selbstreport bezieht sich immer auf die letzten zwölf Monate. Zum Beispiel: »Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten unsere Qualität zu folgenden Leitsätzen gezielt weiterentwickelt. Das ist daran erkennbar, dass wir...« Es geht also darum, mit praktischen Beispielen zu dokumentieren, was konkret getan wird, um die Ziele, die durch Leitsätze und Indikatoren beschrieben sind, zu erfüllen.
Übrigens bezieht sich der Selbstreport auch auf den Träger. Da heißt es zum Beispiel: »In den vergangenen zwölf Monaten hat mindestens ein Qualitätsvereinbarungs-Gespräch mit dem Träger stattgefunden. Ja, und zwar am Soundsovielten. Oder: Nein.« Wird Ja angekreuzt, heißt es weiter: »In welcher Weise wurde die Qualitätsentwicklung durch dieses Gespräch unterstützt oder gehemmt?« Bei Nein: »Welche Gründe haben dazu geführt, dass es kein Gespräch gegeben hat? Was haben wir getan, um dennoch ein Qualitätsentwicklungs-Gespräch mit dem Träger zu vereinbaren?« Der Selbstreport lenkt also die Aufmerksamkeit des Team noch einmal auf die letzten zwölf Monate, auf das, was an Qualitätsentwicklung in dieser Zeit geschehen ist...
... und auf das, was offen geblieben ist.
Ulrike Ziesche: Ja. Wenn etwas nicht gelungen ist, muss sich das Team fragen, was es unternommen hat, um die Sache in den Griff zu kriegen.
Kolleginnen, die als Auditorinnen in eine Kita gehen, haben einen sehr anspruchsvollen Job. Wie werden sie dazu befähigt?
Ulrike Ziesche: Wir haben eine Weiterbildung zum IQUE-Auditor vorgesehen, denn wir können den Kolleginnen ja nicht nur ein Papier in die Hand drücken und sagen: Macht mal. Das wäre verantwortungslos.
In der Weiterbildung wollen wir dafür sorgen, dass die künftigen Auditorinnen die Dokumente kennen lernen, die im Peer-Review-Verfahren genutzt werden. Darüber hinaus wollen wir Handwerkszeug zur Gesprächsführung vermitteln.
Wenn die Kolleginnen in eine Kita kommen, können sie sich an die Fakten halten. Aber sie haben ja Augen und Ohren. Möglicherweise nehmen sie Diskrepanzen zwischen dem Selbstreport und dem, was sie sehen und hören, wahr. Wie sollen sie das ansprechen?
Kontakt
Ulrike Ziesche
Tel.: 04102/82 25 14
email:
Silke Gebauer-Jorzick
Tel.: 040/39 12 40
email:
www.erzieherin-online.de
Eine kurze Übersicht über die Qualitätsmanagementsysteme (QM-Systeme) für Tageseinrichtungen für Kinder kann bei erzieherin-online ausgedruckt werden. Durchklicken über > Medien > Literatur > Fachartikel.
www.kindergartenpaedagogik.de
Online-Handbuch mit Fachbeiträgen zu Fragen der Kindergartenpädagogik. Mehr als 750 frei zugängliche Fachartikel. Unter > Qualität/Qualitätsicherung finden sich zahlreiche Beiträge zum Thema.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11/06 lesen.