Ein Elternabend
Als er von der Leiterin gebeten wurde, über das Thema »Wie kann ich mich bei meinem Kind durchsetzen?« einen Vortrag zu halten, ertappte Harald Ott-Hackmann sich, froh zu sein, dass auch die Eltern dieser Kita ein Problem mit dem Durchsetzen hatten. Also war er damit nicht allein auf der Welt...
Zu Beginn der Versammlung schlug ich den Eltern vor, ihnen von meinen Erfahrungen als Vater einer achtjährigen Tochter zu berichten. Dabei mische ich allerlei schlaue Sprüche unter meine Ausführungen und hoffte auf die anschließende Diskussion, in der wir womöglich gemeinsam Lösungen finden würden für den bekannten Konflikt: Das Kind soll ins Bett und hat natürlich jeden Abend aufs Neue vergessen, worüber man sich am Vorabend mit ihm geeinigt hatte. Wie kommt das?
Ich weiß, dass meine Tochter, seitdem sie auf der Welt ist, einen sehr starken Willen hat. Sie kämpft um jeden Spiel-Raum und nutzt jeden Spielraum – auch die Zu-Bett-geh-Zeit –, um neue Strategien, mit der Welt umzugehen, auszuprobieren. Also fragte ich geplagter Vater mich:
Was lernen Kinder im Kampf um die Zu-Bett-geh-Zeit?
Sie lernen zu verhandeln und Vater, Mutter oder später den Chef um den Finger zu wickeln. Sie lernen, dass die Welt grenzenlos sein kann. Sie lernen, welche Techniken effektiv sind: Weinen, Schreien oder Geschichten erfinden, Interessen heimlich durchsetzen oder Geschäfte machen... Der Kampf mit den Eltern ist also ein wichtiges Lernfeld.
Ich fragte mich, was ich früher gelernt hatte, als ich noch kurze Hosen trug. Nichts anderes, glaube ich, als mit unterschiedlichen Interessengruppen strategisch umzugehen: Der Mutter sagen, was Vater, der gerade nicht zu Hause ist, gesagt hat. Natürlich wollte Mutter nicht immer Spielverderberin sein und gab oft nach. Das war eine Möglichkeit...
Ich fragte mich auch, was von dem damals Gelernten ich heute als Vater gebrauchen kann. Denn: Wenn ich die Kinderseite kenne, weil ich selbst Kind war, weiß ich doch auch, was meinen Eltern geholfen hätte, mich ins Bett zu kriegen. Was hätte mir also geholfen, ins Bett zu gehen? Was brauchen Kinder?
Ich jedenfalls hätte jemanden gebrauchen können, mit dem ich die Probleme meines Tages noch mal besprechen kann. Jemanden, der mit mir jeden Abend dasselbe macht. Das nennt man Ritual. Ein Zu-Bett-geh-Ritual erleichtert den Übergang von »Ich mache Action« zu »Jetzt ruhe ich und schlafe ein«.
Ich hätte auch verlässliche Regeln gebrauchen können, denn Ausnahmen bringen mich durcheinander und verlangen mir ab, Entscheidung selbst zu erzeugen. Das ist anstrengend, auch heute noch...
Ich hätte Eltern gebrauchen können, die sich sicher sind und sich abgesprochen haben. Starke Eltern, die Vertrauen in mich setzen und darauf bauen, dass ich auch mit Unzufriedenheit umgehen kann.
Warum müssen Eltern alles 1000 Mal erzählen?
Wer sagt, dass das so ist? Aber wahrscheinlich haben unsere Eltern schon so geredet...
Ich wäre als Kind besser damit klargekommen, wenn meine Eltern mich nicht zugetextet hätten. Ein Mal sagen, ein Mal erklären und dann wissen, dass das Kind verstanden hat, was man meint. Aber nicht davon ausgehen, dass das Kind mit allem, was Eltern sagen, einverstanden sein muss. Ansagen der Eltern müssen von den Kindern nicht gut gefunden werden, wirklich nicht. Doch sie müssen von den Eltern durchgehalten werden.
Halten Eltern ein Gebot nicht durch, sorgt das dafür, dass die Kinder etwas lernen. Sie lernen nämlich ständig, schnell und super geschickt. In diesem Falle lernen sie, dass Gebote nicht haltbar sind. Sie sagen sich: Ob ich jetzt mache, was meine Eltern wollen, oder in China fällt ein Sack Reis um – das kommt aufs Gleiche raus.
Deshalb, liebe Eltern: Bitte überlegen Sie gut, was Sie wollen. Einmal Angesagtes muss durchgesetzt werden. Auch wenn die Kinder in der Regel andere Wünsche haben.
Klar, dass das hart ist. Sollte es nicht klappen, denken Sie sich eine Regel aus, die immer angewandt wird, wenn die Kinder Regeln übertreten.
Womöglich ist das dann eine Strafe. In diesem Falle gebe ich zu bedenken: Wenn Sanktionen oder Strafen zu vielseitig werden, wird die Welt unüberschaubar, und Ausnahmen machen sich breit. Aus Erziehung wird Willkür. Und die Kinder spielen die Eltern aus: »Papa macht das immer anders...« wird zum Spruch, der Erziehung ausbremst.
Warum sind Kinder so vergesslich?
Kinder denken, könnte man sagen, von der Tapete bis zur Wand. Sie machen keine langfristigen Pläne. Als ich Kind war, war mir wichtig, den Moment zu meistern. Was interessierte mich mein Gerede von gestern... Diesen Trick kannte der alte Bismarck schon, war ja auch mal Kind, und der vergangene Kanzler gebrauchte ihn ebenfalls. Freiheiten erkämpfen, sich nicht durch verlässliche Aussagen einschränken lassen...
Die vom Mantel der Geschichte umwehten Jungs mal beiseite gelassen: Es ist nicht böse gemeint, wenn Kinder so sind. Sie können noch nicht anders. Sie müssen Verlässlichkeit erst lernen. Dabei können Eltern ihnen am besten helfen. Und müssen das auch, denn die Welt, die uns umgibt, ist nicht mehr die Verlässlichste. Wahrscheinlich war sie es nie...
Hausaufgaben
Hier kommt der kleine Ratgeber für fröhliche Eltern. Nur ein Mal abschreiben, nicht 100 Mal, dafür aber hinter den Spiegel stecken:
Klare Regeln, immer die gleichen, alle halten sich daran. Wenn das nicht klappt, tritt die Nicht-geklappt-Regel in Kraft. Eine gute Nicht-geklappt-Regel ist: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Diese Reihenfolge wird nicht geändert. Nicht gearbeitet heißt: Warteschleife. Langeweile droht. Wenn Langeweile droht, sind Vorsicht und Aufmerksamkeit geboten. Wir Eltern müssen auf der Hut sein, denn die Kinder sind erheblich kreativer als wir. Sie erfinden Tricks, um uns auszuspielen...
Bitte nehmen Sie sich vor, eine Regel wenigstens ein bis zwei Wochen lang durchzuziehen. Suchen Sie sich einen Schauplatz aus, auf dem Sie sicher sind. Lassen Sie sich nicht über den Löffel balbieren, bleiben Sie konsequent. Ihr Kind wird es Ihnen viel später bestimmt danken.
Jetzt mal unter uns. Der plumpe Trick der Kinder ist: »Ich muss dringend zu meinem Freund, sonst passiert etwas ganz Schlimmes. (Der Weltuntergang wahrscheinlich.) Meine Aufgaben mache ich später...« Da droht dann eine Nachtschicht. Also: Lassen Sie sich nicht bezirzen. Ausnahmen werden, sozusagen als Belohnung, nur gestattet, wenn eine Regel gut eingehalten wurde. Ausnahmen dürfen nicht die Regel werden.
Und das kommt auch noch hinter den Spiegel: Grundsätzlich ist es hilfreich, ruhig und bestimmt seine Ansagen zu machen und darauf Wert zu legen, dass die Kinder in ruhigem Ton und mit Respekt antworten.
Was ist Sache, was ist hilfreich?
Einer meiner schlauen Sätze war: Erziehung ist Kooperation, und Verhandlung ist die Art und Weise der Auseinandersetzung.
Ich bin mir bewusst: Verhandlung läuft auf ungleichem Boden mit ungleichen Mitteln. Denn wir Eltern haben die Macht, Entscheidungen zu treffen. Damit kein Machtmissbrauch entsteht, sollten wir den Grundsatz beachten: Füge nie jemandem etwas zu, von dem du nicht möchtest, dass es dir zugefügt wird. Das heißt im Einzelnen:
! Schlagen ist tabu!
! Niederbrüllen ist ein Zeichen der Ohnmacht!
! Kein sinnloser Freiheitsentzug! Lieber eine Verhandlungspause, die Zeit zum Nachdenken und Besinnen lässt. Falls es welche gibt: Ergebnisse vorzeigen lassen und wertschätzen. Auch die eigenen.
! Kein Liebesentzug! Kinder brauchen die Gewissheit, dass sie immer das Wichtigste für ihre Eltern sind.
Sprechen Sie nur Strafen aus, wenn Sie erkennen, dass da auch etwas Lobenswertes war: Jede Schandtat hat etwas Positives. Zum Beispiel:
• Klauen in der Familie – kann man auch als loyalen Akt sehen, immerhin kommt man nicht ins Gerede.
• Prügelei – welche Grenzen sind eingehalten worden?
• Zu spät nach Hause kommen – immerhin hat das Kind vorher angerufen. Sie wussten also, dass es noch lebt...
Als Vater bemühe ich mich, bei Strafen im Kopf zu behalten: Strafen müssen Lernen ermöglichen. Menschen lernen und entwickeln sich nur, wenn es nötig ist. Will jemand etwas haben, bekommt es aber nicht, muss er sich überlegen, ob es lohnt. Wenn ja, muss er etwas tun. Oder: Leistung erfordert Gegenleistung. Das Leben besteht aus Geben und Nehmen. Zum Beispiel: Wenn du..., dann bin ich bereit, über ... zu reden.
Dieses Prinzip darf die Liebe zum Kind nicht in Frage stellen. Liebe, Schutz und Aufmerksamkeit sollten bedingungslos sein.
Kontakt
PSB
Max-Brauer-Allee 100
22765 Hamburg
Tel: 040/390 47 84
Fax: 040/390 70 35
Email:
Fortbildungen im Hamburger PPSB
Systemische Supervision und Organisationsberatung
Beginn: 2. März 2006
Systemisches Denken und Handeln in der Arbeit mit Kindern
Beginn: Sommer 2006
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/06 lesen.