Kinderkunst aus aller Welt: China
Der zweite Teil der Serie »Kinderkunst in aller Welt« gibt einen Einblick in dieTradition des chinesischen Scherenschnitts und – vor dem Hintergrund aktueller Veränderungen in der Kindergartenpädagogik in China – ihre Weiterentwicklung zum Freihand-Schneiden. China ist das viertgrößte und bevölkerungsreichste Land der Erde. Seine Geschichte ist geprägt von einer der ältesten Kulturen der Welt, einem sozialistischen Einparteienstaat seit 1949 durch Mao Ze Dong und einer heute rasant wachsenden wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung. Sibylle Haas und Sabine Plamper begegneten chinesischen KollegInnen bei der Fachtagung »Art in Early Childhood« im Januar in Wellington, Neuseeland.
Papier schneiden – klingt das nicht langweilig? Mit der Schere etwas ausschneiden gehört doch zu den gewöhnlichsten Kindergarten-beschäftigungen. Was kann daran interessant, künstlerisch und kulturell wertvoll sein? Wir begeben uns in ungewohntes Terrain und erleben, dass das scheinbar banale »Papier schneiden« viele interessante Facetten hat. Wir entdecken darin kulturelle Unterschiede und bekommen dabei einen anderen Blick auf das eigene Handeln. Denn wenn wir uns an Ungewohntem reiben, wird die eigene Position klarer. Wenn wir uns z.B. den Wandel der Pädagogik in China zum Kind orientierten Handeln anschauen, finden wir dort bekannte, überholte und auch gewünschte Haltungen wieder, ebenso Anregungen, die eigene über den Tellerrand hinaus neu zu betrachten.
Mit der Schere zeichnen
Mit dem schlichten Titel »Papier schneiden« haben chinesische Kunstpädagogen auf der Tagung in Wellington einen Workshop angeboten. Dort und auf einer angeschlossenen Ausstellung haben sie gezeigt, wie die Kinder in China »mit der Schere zeichnen«. Diese Art, eine Schere zu nutzen, unterscheidet sich sehr von dem uns gewohnten Umgang mit dem Werkzeug. Augen, Hände und Gehirn verbinden sich hier beim Schneiden zu einer Einheit. Die Kinder können dabei ihre Ideen frei entfalten und ihre Gedanken und Gefühle in die Arbeit einfließen lassen. Die Formen werden nicht vorgezeichnet, beim Schneiden kommen alle Sinne, die Fantasie, die Scheren und das Papier ins Spiel.
Schon der Film zum Einstieg in den Workshop ist ermutigend. Eine Szene zeigt einen Karton, auf dem kleine Papierschnipsel verteilt sind, leicht wie Schneeflocken. Eine andere Szene zeigt runde und eckige farbige Schnipsel. Es erinnert an eine Blumenwiese. Dann ist auf dem Bildschirm eine farbenfrohe Komposition aus rechteckigen Papierstücken in braunem Rahmen zu sehen – das Werk des französischen Malers Henri Matisse. Es diente wohl als Anregung, vielleicht auch als Legitimation für die abstrakten Papierkompositionen der Kinder. Ich bin gespannt, wie es im Workshop gelingt, die Vorstellungen von Perfektion und Korrektheit abzulegen, damit junge Kinder ohne Erfahrung im Scherenschnitt Freude an der Tätigkeit haben und schrittweise an größere Herausforderungen herangeführt werden. Yao Bingyue, eine erfahrene Pädagogin, die die hohe Kunst des traditionellen
Scherenschnitts beherrscht, führt uns in die Grundlagen des Handwerks ein.
Was ich zuallererst lerne: Die Hand mit der Schere bleibt ruhig, die andere bewegt das Papier. Die Scheren sind scharf, sie schneiden gut, sie haben keine abgerundeten Spitzen. Handliche Papierstücke, nicht größer als Postkarten werden für den Anfang verwendet. Papierstreifen laden zu Zickzack- und »Schwungübungen« ein. Sich freitanzen mit der Schere heißt es jetzt, nicht verkrampfen und locker die Hand mit dem Papier vor der Schere bewegen. Einfach probieren und spÜren, wie sich das anfühlt. Da erinnere ich mich an die Kunstwerke von Henri Matisse, der im Alter, schon bettlägerig, sich gefärbtes Papier und eine Schere geben ließ und mit einfachen Formen farbkräftige, eindrucksvolle Bilder schuf. Deshalb schere ich ein wenig aus dem Programm des Workshops aus und lasse die Schere über ein Blatt Papier tanzen. Ein Spiel mit positiven und negativen Formen entwickelt sich. So entsteht die Freude am Schneiden und die Lust, sich auch kompliziertere Schnitte zuzumuten.
Kontakt
Sabine Plamper ist Kulturpädagogin, Fotografin und Fortbildnerin und betreibt in Amsterdam das Kris Kras Atelier (www.atelierineenkoffer.nl).
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Yao Bingyue ist Direktorin der Pioneer Education Institute for Children in Peking, China
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Sibylle Haas ist Diplom-Pädagogin, Kunsttherapeutin und systemische Beraterin. Sie hat sich intensiv mit Lernwerkstätten und Lerngeschichten beschäftigt, viele Jahre den fachlichen Austausch mit Kolleginnen aus Neuseeland gesucht und damit die neuseeländische Art Lerngeschichten zu schreiben in Deutschland bekannter gemacht.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/19 lesen.