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Zeitressourcen und verlässliche Unterstützungsstrukturen in den einzelnen Bundesländern
Unter welchen Rahmenbedingungen arbeiten Kita-Leitungskräfte? Wie steht es um ihre zeitliche Ressourcenausstattung? Wie kann ihre Position gestärkt werden? Anne Münchow und Kathrin Bock-Famulla stellen Fakten und Empfehlungen aus der Schwerpunktreihe »KiTa-Leitung« der Bertelsmann Stiftung vor.
Keine Zeitressourcen für Personalmanagement, Betriebsführung und Organisationsentwicklung? Ein Gedanke, der wohl für die meisten Unternehmen kaum vorstellbar ist. In 6.938 Kindertageseinrichtungen (Kitas) bundesweit ist diese Nullausstattung allerdings Realität. Insbesondere kleine Einrichtungen mit weniger als 45 Kindern sind mit dieser Problematik konfrontiert – und zwar insgesamt 23 Prozent. »Irgendwie« geleitet werden müssen diese Kitas aber trotzdem. Wobei sich die Frage stellt, wie sich dieses »Irgendwie« auswirkt.
Die Konsequenzen fehlender zeitlicher Leitungsressourcen liegen auf verschiedenen Ebenen. Verfügt eine Kita über keine oder zu wenig Zeit für die Einrichtungsleitung, besteht das Risiko, dass Arbeitsbereiche, die für die Qualität einer Kita bedeutsam sind, wie die Weiterentwicklung des Kita-Konzepts oder Kooperationen im Sozialraum, gar nicht oder nur in einem geringen Umfang umgesetzt werden können.
Einige Tätigkeiten dürfen aber nicht »liegenbleiben«, da ansonsten der gesamte betriebliche Ablauf gefährdet wird. So werden die Tätigkeiten dann entweder in der Freizeit erledigt, was gesundheitliche Belastungen der Leitungskräfte zur Folge haben kann; oder sie werden in der Zeit durchgeführt, die für die pädagogische Arbeit mit den Kindern vorgesehen ist. Das hat wiederum zur Konsequenz, dass die Zeit für die Betreuung fehlt, worunter die Qualität der Einrichtung ebenfalls leidet.
Die Qualität leidet fast überall
Nicht nur in den 13 Prozent der Einrichtungen, die bundesweit vertraglich über keine Zeitressourcen für den Arbeitsbereich der Leitung verfügen, fehlt die Zeit die Kita professionell zu führen und zu leiten. In der Hälfte aller Einrichtungen (49,6 Prozent ohne Berücksichtigung der Horte) stehen weniger als 20 Wochenstunden für Leitungs- und Verwaltungsaufgaben zur Verfügung. Nach Meinungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist jedoch eine Grundausstattung von 20 Wochenstunden für die Einrichtungsleitung notwendig, da unabhängig von ihrer Größe in jeder Kita Tätigkeiten in denselben Verantwortungsbereichen anfallen2. Diese Grundausstattung allein reicht zudem nicht aus, da sich mit wachsender Kita-Größe auch der Leitungsaufwand erhöht – z.B. in den Bereichen des Personalmanagements – weshalb ein zusätzlicher, variabler Anteil benötigt wird.
Eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung (2017) zeigt zudem, dass neben den bundesweit unzureichenden Zeitressourcen die Leitungsausstattung in den einzelnen Bundesländern stark variiert (vgl. Abb. 1). Während die Kitas in Bayern und in Baden-Württemberg jede Woche lediglich über 1,3 bzw. 1,4 Stunden pro Fachkraft für Leitungstätigkeiten verfügen, gibt es dafür in Hamburg deutlich mehr Kapazitäten (3,3 Stunden). Im bundesweiten Durchschnitt verfügt eine Kita pro Woche und pro Fachkraft über 2,0 Stunden für die Führung und Leitung der Einrichtung.
Einheitliche Leitungsausstattung: Ein Ziel in weiter Ferne?
Mit welchen Zeitressourcen Kitas für den Arbeitsbereich der Leitung ausgestattet werden, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. So wird in den Kita-Landesgesetzen von Bremen und Hessen die Bemessung der Zeitressourcen für Leitungsaufgaben nicht geregelt. In anderen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt oder Schleswig-Holstein finden sich eher weichere Regelungen in den Landesgesetzen wieder, wie z.B., dass Leitungskräfte »in angemessenem Umfang vom Träger der Tageseinrichtung von der Betreuung freizustellen« sind (§ 22 KiFöG). In beiden Fällen entscheidet der Träger, in welcher Höhe die Leitungskräfte mit Zeitressourcen ausgestattet werden. Die Bundesländer Niedersachsen, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Saarland, Sachsen und Thüringen regeln hingegen präzise, wie die Leitungsressourcen bemessen werden. Die konkrete Ausgestaltung dieser Bemessungsregelungen ist wiederum sehr unterschiedlich. So variiert mal die Anzahl der Bestandteile, die eine Regelung umfasst, die Wahl der Bezugsgröße (Anzahl der Kinder, Fachkräfte, Gruppen etc.) und/oder die Höhe der Stellenanteile, die schlussendlich die Höhe der Ausstattung festlegt. Nicht zuletzt die daraus resultierende Vielzahl an Möglichkeiten die zeitlichen Leitungsressourcen zu bestimmen, führt dazu, dass die Höhe der Ausstattung je nach Regelung unterschiedlich ausfällt. Hinzu kommt, dass nach den Angaben in der KJH-Statistik deutlich wird, dass auch präzise Landesregelungen nicht immer zu der vorgesehenen Leitungsausstattung führen. Stattdessen wird auch mit weicheren Regelungen eine gute Ausstattung mit Leitungszeit erreicht.
Es ist näher zu untersuchen, ob es sich hierbei um ein Umsetzungsproblem der rechtlichen Vorgaben handelt oder andere Ursachen zugrunde liegen. Insbesondere für die Ausgestaltung von Regelungen für eine bundeseinheitliche Ausstattung von Kita-Leitungskräften wäre dieses Wissen erforderlich, damit tatsächlich eine vergleichbare Situation in den Einrichtungen realisiert werden kann.
Ohne Leitungsressourcen keine Qualität
Die Leitung einer Kita und die Führung eines pädagogischen Teams sind bedeutsame Verantwortungsbereiche im FBBE-System (FBBE = Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung). Auch internationale Studien zeigen, dass sich die pädagogische Qualität einer Kita durch professionelle Leitungsausübung verbessert3. Um entsprechend agieren zu können, sind allerdings Arbeitsbedingungen notwendig, die einen sicheren Rahmen schaffen. Zentrale Bedingung dafür und damit auch Voraussetzung für eine gute Kita-Qualität ist eine angemessene Leitungsausstattung.
Um die Arbeitssituation der Leitungskräfte zu verbessern sowie bundesweit anzugleichen und so letztendlich allen Kindern unabhängig von ihrem Wohnort vergleichbare Bildungschancen zu ermöglichen, ist es die Aufgabe aller AkteurInnen des FBBE-Systems die notwendigen Arbeitsbedingungen für Leitungskräfte bereitzustellen. Neben dem von allen AkteurInnen geteilten Bewusstsein, dass ausreichende Leitungsressourcen eine zentrale Voraussetzung für die Qualität in den Einrichtungen darstellen, besteht die Notwendigkeit, dass
- der Bund durch einen einheitlichen Standard zur Bemessung der zeitlichen Leitungsausstattung einen Rahmen schafft,
- die Bundesländer diesen Standard im Landesgesetz verankern und zudem die Kommunen bei der Finanzierung der Personalressourcen zur Gewährung des Standards unterstützen,
- den Trägerorganisationen die notwendigen finanziellen Mittel durch die öffentliche Hand zur Verfügung gestellt werden und
-
die Trägerorganisationen den Kitas ausreichende Arbeitszeiten zur Einhaltung des Standards gewähren.
Wege zu einem bundesweiten Standard
Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt, dass allen Einrichtungen unabhängig von ihrer Größe eine Grundausstattung von 20 Wochenstunden plus 0,35 Stunden pro Ganztagsbetreuungsäquivalent zur Verfügung gestellt wird (vgl. Abb. 2). Die Grundausstattung ist dringend notwendig, da jede Einrichtung entlang derselben Verantwortungsbereiche geleitet werden muss. Der variable Anteil von 0,35 Stunden wird veranschlagt, um dem erhöhten Leitungsaufwand mit wachsender Kita-Größe Rechnung zu tragen.
Nach dieser Empfehlung erhält eine Kita mit rechnerisch 40 ganztags betreuten Kindern 34 Wochenstunden als Leitungsausstattung. Durch die gewählte Bezugsgröße der Ganztagsbetreuungsäquivalente werden die unterschiedlichen Bedingungen in den Kitas berücksichtigt (Gruppengröße, Betreuungsumfänge, Anzahl an Fachkräften etc.), womit eine bundesweit faire Leitungsausstattung garantiert wird. Neben ausreichenden Zeitressourcen kann der Einsatz einer Verwaltungskraft und/oder einer ständigen stellvertretenden Leitungskraft die Position der Leitung stärken.
Die häufig einfachen, allerdings zeitaufwendigen Verwaltungstätigkeiten stellen für Leitungskräfte oftmals einen hohen Belastungsfaktor dar4. Durch den gezielten Einsatz von Verwaltungskräften können Leitungskräfte von fachfremden Verwaltungsaufgaben entlastet werden, während sie ihre Ressourcen stattdessen auf die Führung ihres Teams und die Leitung ihrer Kita konzentrieren. Daher empfiehlt die Bertelsmann Stiftung, die in jeder Kita anfallenden Verwaltungstätigkeiten von einer qualifizierten Verwaltungskraft bearbeiten zu lassen.
Darüber hinaus sollte in jeder Kita, die nicht von einem Team geleitet wird, eine ständige stellvertretende Leitungskraft eingesetzt werden, bei der es sich nicht um eine Urlaubs- und sonstige Abwesenheitsvertretung handelt. Um einen regelmäßigen Austausch zwischen der Leitungskraft und ihrer ständigen Vertretung sicherzustellen, sind auch für die Stellvertretung vertraglich festgelegte Zeitressourcen zu vereinbaren.
Anne Münchow, Projektmitarbeiterin Frühkindliche Bildung, u.a. Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung. Kindheitspädagogin (B.A.) und Bildungswissenschaftlerin (M.A.). Schwerpunkte: Kita-Leitung und Qualitätsentwicklung in frühkindlichen Bildungssystemen.
Kontakt
Kathrin Bock-Famulla, Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung mit Arbeitsschwerpunkt Frühkindliche Bildung. Projektleiterin Frühkindliche Bildung, u.a. Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme. Weitere Schwerpunkte: Kita-Finanzierung und Qualitätsentwicklung in frühkindlichen Bildungssystemen.
Kontakt
1 Grundlage aller Daten und Berechnungen ist die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik (KJH-Statistik) (Stand 01.03.2016).
2 Strehmel, P. (2015): Leitungsfunktion in Kindertageseinrichtungen. Aufgabenprofile, notwendige Qualifikationen und Zeitkontingente. In: Viernickel S., Fuchs-Rechlin K., Strehmel P., Preissing C., Bensel J., Haug-Schnabel G. (Hrsg): Qualität für alle. Wissenschaftlich begründete Standards für die Kindertagesbetreuung. Freiburg, Basel, Wien, S. 131–252
3 Siraj-Blatchford I., Manni L. (2006): Effective Leadership in the Early Years Sector (ELEYS) Study [Electronic Version]. London: Institute of Education, University of London. Und: Sylva K., Melhuish E. C., Sammons P., Siraj-Blatchford I., Taggart B. (2004): The Effective Provision of Pre-School Education (EPPE) Project: Final Report [Electronic Version]. London: DfES / Institute of Education, University of London
4 Nentwig-Gesemann I., Nicolai K., Köhler L. (2016): KiTa-Leitung als Schlüsselposition. Erfahrungen und Orientierungen von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen. Gütersloh
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/17 lesen.