Im Feld der Kindheitspädagogik sprechen wir häufig vom Bild des Kindes als aktiver und kompetenter Lerner. Ganz selbstverständlich wird hier eine ressourcenorientierte Sichtweise eingenommen. Wie steht es aber um das Bild von denjenigen, die diese aktiven, kompetenten und wissbegierigen Kinder bilden, betreuen und erziehen? Wie steht es um das Bild, das wir von pädagogischen Fachkräften haben? Regina Remsperger-Kehm ist dieser Frage nachgegangen.
Einschneidende Entwicklungen im Feld der Frühpädagogik haben dazu geführt, dass die Erwartungen an pädagogische Fachkräfte in den letzten Jahren stetig gewachsen sind – und damit auch die Anforderungen an die professionelle Ausübung des Berufs.
Im Spannungsfeld fremder Erwartungen und eigener Ansprüche
In ihrem Buch zum beruflichen Selbstverständnis pädagogischer Fachkräfte benennen Völkel und Wihstutz1 die vielfältigen Rollen, die Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung einnehmen und ausführen müssen. Hierzu gehören die Bildungsbegleitung der Kinder, der Fokus auf Familienorientierung, die Fähigkeit zur Teamarbeit, Kooperation und Vernetzung, die Umsetzung einer geschlechtssensiblen Pädagogik sowie die Notwendigkeit, eine selbst-reflexive und forschende Haltung einzunehmen.
Insbesondere die letztgenannten Faktoren finden sich auch in dem von Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann und Pietsch2 entwickelten Kompetenzmodell für frühpädagogische Fachkräfte. In dem vielfach rezipierten Modell wird der Erwerb von Kompetenzen hervorgehoben, die es »einer Fachkraft ermöglichen, in komplexen und mehrdeutigen, nicht vorhersehbaren und sich immer anders gestaltenden Situationen eigenverantwortlich, selbstorganisiert und fachlich begründet zu handeln«3. Zu den Handlungsgrundlagen frühpädagogischer Fachkräfte gehören fachlich-theoretisches Wissen, habituelles und reflektiertes Erfahrungswissen, Handlungspotentiale in Form von methodisch-praktischem Wissen sowie soziale Fähigkeiten wie Empathiefähigkeit. Zum anderen kommt es auf den Handlungsvollzug in konkreten Situationen an, der durch strukturelle Rahmenbedingungen, die aktuelle Motivationslage sowie die konkrete Situationswahrnehmung und -analyse der Fachkräfte beeinflusst wird. Da pädagogische Fachkräfte einerseits situativ spontan, nicht reflexiv vermittelt und explizit begründet handeln, andererseits jedoch auch auf eine Handlungspraxis zurückgreifen, die vorab geplant ist und die auf einem theoretischen und reflektierten Erfahrungswissen basiert, gehört das nachträgliche Reflektieren über eine Situation zu den zentralen Komponenten eines professionellen frühpädagogischen Handelns4.
Schließlich formulieren Fröhlich-Gildhoff und Kolleginnen Anforderungen an die professionelle Haltung pädagogischer Fachkräfte. Diese basiert auf handlungsleitenden Orientierungen, pädagogischen Einstellungen und Werten. In Form eines persönlichen, (berufs-)biografisch geprägten Habitus liegt die professionelle Haltung hinter jedem Handlungsvollzug der Fachkräfte. Abhängig vom Erwerb neuen Wissens und neuer Methoden – etwa durch Praxiserfahrungen, Reflexion und Biografiearbeit – kann sich die professionelle Haltung verändern. Mit Blick auf eine (forschungs-)methodisch fundierte Reflexions- und Selbstreflexionsfähigkeit müssen frühpädagogische Fachkräfte in den Augen der AutorInnen des Kompetenzmodells daher »über fundiertes wissenschaftlich-theoretisches Wissen und eine selbst-reflexive, forschende Haltung ebenso verfügen, wie über die Bereitschaft und den Wunsch, eigenverantwortlich und autonom zu entscheiden und auch unvorhersehbare, zum Teil widersprüchliche Situationen zu bewältigen«5.
Defizitblick im politischen Diskurs
Angesichts der hohen Anforderungen, die seitens der Wissenschaft an frühpädagogische Fachkräfte gestellt werden, und der enormen gesellschaftlichen Erwartungen – gerade auch im Hinblick auf die Kompensation ungleicher Bildungschancen in der Frühpädagogik – irritiert die im politischen Diskurs offenbar wahrzunehmende Defizitsicht auf das Personal von Kindertageseinrichtungen6. Tanja Betz, die im Rahmen eines Forschungsprojekts Leitbilder einer guten Fachkraft rekonstruierte, stellte fest, dass pädagogische Fachkräfte in den Augen von PolitikerInnen ungleiche Bildungschancen eben nicht auszugleichen vermögen und darüber hinaus über zu wenig Wissen hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Eltern verfügen7. Zugleich ist laut Betz bislang nur wenig darüber bekannt, »wie die Fachkräfte den in politischen und öffentlichen Debatten artikulierten Positionen (zu guter Bildung, Betreuung und Erziehung) gegenüberstehen und wie dies ihr Selbstverständnis und die pädagogische Praxis beeinflusst«8. Wie also gehen pädagogische Fachkräfte mit dem Spannungsfeld zwischen externen Erwartungen an ihre Tätigkeit und ihrem eigenen beruflichen Selbstverständnis um?
Konfrontiert mit der von außen an sie herangetragenen Kritik hinsichtlich eines nicht ausreichenden Wissens und ihrer vermeintlich unzureichenden Kompetenz, nehmen die in der Studie von Tanja Betz befragten Fachkräfte die deutlich defizitorientierten Positionen nicht einfach an, sondern setzen sich zu ihnen in Beziehung9. Die befragten Fachkräfte teilen »die externen Erwartungen an eine ›gute‹ Kindertagesbetreuung wie die Leistungen mit Blick auf die Betreuung, Entwicklung und Förderung, Gleichheit und Integration sowie das Lebenslange Lernen (…) nicht uneingeschränkt«10 und sehen sich weder »der Wirtschaft verpflichtet, noch halten sie sich primär für die Dienstleister der Eltern«11. In der Untersuchung konnte ein differenzierteres Bild des Selbstverständnisses pädagogischer Fachkräfte rekonstruiert werden, das sie – entgegen des politischen Diskurses – »als kompetente, wissende Kräfte ausweist«12. Selbstbewusst gehen die befragten Fachkräfte davon aus, dass sie kompetent mit Eltern zusammenarbeiten und sie durchaus einen Einfluss auf die Verbesserung kindlicher Bildungschancen und zum Abbau von Chancenungleichheit haben13. Zu den seitens der Fachkräfte formulierten Erwartungen an die eigene Arbeit gehören daher auch die Kompetenz zur Grundlegung von Leistungsfähigkeit, zum Erlernen von Verantwortungsübernahme, zur Vorbereitung auf die Schule, zur Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, zur Sprachförderung sowie zum Initiieren kompensatorischer Lernimpulse14.
Personenbezogene Merkmale pädagogischer Fachkräfte
Ausgehend von den extern und intern formulierten Anforderungen an pädagogische Fachkräfte soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Eigenschaften Fachkräfte im Feld der Kindheitspädagogik – insbesondere auch aus ihrer eigenen Perspektive – aufweisen müssen, um den Erwartungen an sie gerecht werden zu können. Im Rahmen eines Workshops15 sowie eines Vortrags16 haben Sandra Tänzer (Uni Erfurt) und Regina Remsperger-Kehm (HS Ludwigshafen) die TeilnehmerInnen bzw. DiskutantInnen – tätig in Hochschule, Schule, Kindertageseinrichtungen und Bildungsadministration – gebeten, personenbezogene Merkmale für pädagogische Fachkräfte zu notieren, die sie als wesentlich für deren qualitätsvolle pädagogische Arbeit erachten. Diese Notizen verdichteten wir zu folgenden personenbezogenen Merkmalen pädagogischer Fachkräfte.
Beziehungsorientierung
Die Fähigkeit, beziehungsorientiert zu arbeiten, nimmt den größten Stellenwert der für pädagogische Fachkräfte benannten Merkmale ein. Beziehungsorientierung bedeutet, Kindern und Eltern gegenüber in hohem Maße empathisch und zugewandt zu sein, Lust an Sprache und (nonverbaler) Kommunikation zu haben, zuhören zu können, die Geschichten der Kinder zu lieben und Kindern mit emotionaler Kompetenz zu begegnen.
Fachwissen
Ebenso bedeutsam wie die Beziehungsorientierung wird das Fachwissen pädagogischer Fachkräfte beurteilt. Hierzu zählen die Integration neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in die pädagogische Arbeit, eine hohe methodische Kompetenz sowie die Organisationskompetenz der Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung.
Interesse am Kind
Das pädagogische Handeln der FrühpädagogInnen soll darüber hinaus geleitet sein von einem hohen Interesse am einzelnen Kind, von der Anteilnahme an bedeutsamen Situationen und individuellen Interessen der Kinder und der Förderung ihrer Partizipation. Die Fachkräfte benötigen die Fähigkeit und die Neugierde, das Handeln der Kinder »lesen« zu können und mit ihnen forschen zu wollen.
Pädagogische Haltung
Pädagogische Fachkräfte sollten – so meinten die WorkshopteilnehmerInnen und DiskutantInnen – eine Haltung aufweisen, die geprägt ist von Offenheit, Authentizität, Optimismus, Wertschätzung und Vorurteilsbewusstsein. Dazu gehört es, selbst interessiert zu sein, sich zu engagieren, sich mitzuteilen, standzuhalten und flexibel auf Probleme einzugehen sowie an Lerngemeinschaften mitzuwirken. Ebenso sei es notwendig, ein Bewusstsein über Kinderrechte zu besitzen und das eigene Handeln kontinuierlich zu reflektieren.
Dr. Regina Remsperger-Kehm ist studierte Diplom-Sozialpädagogin (FH) und vertritt gegenwärtig die Professur für Bildung, Betreuung und Erziehung in der Kindheit an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein. Nach ihrem Studium arbeitete sie im Projekt »Bildungs- und Lerngeschichten« des DJI München. Seit ihrer Promotion zur »Sensitiven Responsivität in der Erzieher/in-Kind-Interaktion« ist sie in vielen Projekten im Bereich der Frühpädagogik tätig. Zudem arbeitet sie als Fortbildungsreferentin – u.a. zur Gestaltung von feinfühligen Beziehungen zu Kindern.
Kontakt
1 Völkel, P., Wihstutz, A. (Hrsg.) (2014): Das berufliche Selbstverständnis pädagogischer Fachkräfte. Bildungsverlag EINS.
2 Fröhlich-Gildhoff, K., Nentwig-Gesemann, I., Pietsch, S., Köhler, S., Koch, M. (2014): Kompetenzentwicklung und Kompetenzerfassung in der Frühpädagogik – Konzepte und Methoden. FEL-Verlag.
3 Ebenda, S. 21.
4 Ebenda.
5 Ebenda, S. 21.
6 Betz, T. (2015): Pädagogische Fachkräfte im Spannungsfeld zwischen Selbstverständnis und externen Erwartungen. In: Stenger, U., Edelmann, D., König, A. (Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche Perspektiven in frühpädagogischer Theoriebildung und Forschung. Beltz Juventa, S. 221-243.
7 Ebenda, S. 233 und Betz, T. (2013): Anforderungen an Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. In: Stamm, M., Edelmann, D. (Hrsg.): Handbuch frühkindliche Bildungsforschung. Springer, Verlag, S. 259-272.
8 Betz (2015), S. 222
9 Ebenda, S. 233.
10 Ebenda, S. 238.
11 Ebenda.
12 Ebenda, S. 233.
13 Ebenda, S. 239.
14 Ebenda, S. 232.
15 »Zum Professionsverständnis von LehrerInnen und pädagogischen Fachkräften«, pvf-Bundesfachtagung, 26.9.2015, Erfurt.
16 »Zum Professionsverständnis von LehrerInnen und pädagogischen Fachkräften«, GEW-Fachtagung »besser-zusammen-stärker – Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams«, 29.1.2016, Steinbach.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/16 lesen.